Viele Allgemeinmediziner finden keine Praxisnachfolge. Da, wo es am nötigsten wäre, will keiner hin. Wie fühlt es sich an, sein Lebenswerk an einen Investor abtreten zu müssen?
„Mich hat bisher noch niemand von der Presse gefragt, was wir hier eigentlich machen.“ Dr. Stefan von Zimmermann vom MVZ in der Tresckowstraße in Hannover ist erfreut über das Interesse an seiner Arztpraxis. Der Allgemeinmediziner hatte sie 2001 übernommen. Eine typische Historie: Kleine Kinder, keine Lust mehr auf Nachtschichten im Krankenhaus, außerdem der Wunsch, selbst etwas aufzubauen, Verantwortung zu übernehmen. Einen einfachen Ort hatte sich von Zimmermann dafür nicht ausgesucht: „Hannover-Mühlenberg war in den 60er und 70er Jahren ein neuer Stadtteil, modern und fortschrittlich. Später wurde es ein sozialer Brennpunkt. Und wir mittendrin.“
Von Zimmermanns Praxis lief bis 2008 als Praxisgemeinschaft. 2009 stellte der Arzt als ab dann alleiniger Praxis-Chef erstmals Kollegen an. Einen Masterplan gab es nicht, eher organisches Wachstum: „Ich habe über die Jahre mehrere KV-Sitze dazugekauft. 2012 sind wir umgezogen, ebenerdig, und haben die ehemaligen Räume einer Bank umgebaut. Heute sind wir eine Praxis mit 280 qm, fünf Sprechzimmern und 4.500 Scheinen im Quartal.“
Irgendwann in den Zehnerjahren begann der Hannoveraner Arzt, gelegentlich eine Beratungsfirma zu konsultieren, um, wie er sagt, „nicht betriebsblind“ zu werden. Bei einem Praxis-Unternehmen mit 1,4 Millionen Euro Umsatz und 18 Angestellten schadet der Blick von außen nicht. Im Dialog mit den Beratern kam dann auch langsam – ganz langsam – das Thema Nachfolge zur Sprache. In den letzten Jahren rückte diese Suche dann zunehmend ins Zentrum.
Und sie stellte sich als schwierig heraus: „Das war schon ein bisschen frustrierend. Ich habe genug Geld verdient und keine Wahnsinnspreise aufgerufen. Es ging mir primär darum, den Fortbestand der Praxis zu sichern. Das ist ja sozusagen mein Baby, das wollte ich nicht vor die Hunde gehen lassen. Aber das war mit den Interessenten nicht zu machen. Eine große Praxis in einer Brennpunktregion mit einem Anteil an Privatpatienten von nur 3 bis 4 Prozent, das wollte niemand machen.“
Zum Vergleich: Andere Praxen in Hannover haben einen Privatpatientenanteil von teilweise bis zu 30 Prozent. Die wenigen Privatpatienten und der soziale Brennpunkt waren aber nicht das Einzige, was die Nachfolgesuche erschwerte. Von Zimmermann sieht auch so etwas wie einen gesellschaftlichen Gesamttrend, ein Mindset-Problem. Es gibt eine gewisse Risikoscheu, unternehmerisches Denken ist eher auf dem Rückzug. Gleichzeitig wachsen die Ansprüche: Flexibilität, Teilzeit, Home-Office sind hoch im Kurs und sie lassen sich als Angestellter besser umsetzen denn als freiberuflicher Chef.
Entsprechend haben nicht nur Praxen in Brennpunkten Schwierigkeiten mit der Nachfolgesuche. Es geht auch anderen so. Vielen anderen: „Uns hat die Politik vor 40 Jahren versprochen, dass der Verkauf der Praxis ein Teil der Rente ist. Aber Kollegen, die ein paar Kilometer außerhalb der Stadt sind, kriegen ihre Praxis nicht mehr los. Die drehen dann mit 75 Jahren den Schlüssel um und das wars. Das ist schlimm für die Patienten, und es sind erhebliche finanzielle Verluste für die Kollegen.“
Szenenwechsel. Masurenallee 6A in Berlin. Hier residiert, nahe des westlichen Stadtrands, den Grunewald zu Füßen, die KV Berlin. Einen Steinwurf entfernt ist der Kaiserdamm. Wer von dort aus zehn Kilometer schnurgeradeaus gen Osten geht, landet am Alexanderplatz. Dahinter wird es schwieriger in Sachen Allgemeinmedizin. „Insgesamt ist die Versorgungslage in Berlin gut“, sagt Günter Scherer, KV-Vorstandsmitglied. „Allerdings bekommen wir in den Randbezirken, insbesondere in den östlichen Bezirken, zunehmend Probleme. Die Planungsbereiche Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick sind in der Allgemeinmedizin jetzt alle entsperrt. Dort haben wir zurzeit rund 140 freie Sitze.“
Ähnlich wie Hannover-Mühlenberg sind die östlichen Stadtrandlagen in Berlin Gegenden, in denen einiges zusammenkommt. Es sind keine wohlhabenden Stadtteile, der Privatpatientenanteil ist gering. Zudem ist der östliche Stadtrand der Teil Berlins, der mit Abstand am stärksten wächst, vor allem durch Zuzug aus Osteuropa. „Wir haben es geschafft, die Zahl der Ärzte einigermaßen stabil zu halten“, so Scherer im Gespräch mit DocCheck. „Aber dadurch, dass in diesen Bezirken die Bevölkerungszahl stark steigt, ist der Versorgungsgrad in einigen Bereichen deutlich rückläufig.“
Was kann eine KV in einer solchen Situation tun? „Wir fördern massiv die hausärztliche Niederlassung in den drei Bezirken. Wir haben mit den Krankenkassen für diese Bezirke in den ersten acht Quartalen eine bessere Vergütung vereinbart. Dort wird aktuell ein Zuschlag von 3 Cent pro Punkt gezahlt, das ist ein relativ dicker Brocken. Und wir bezahlen im hausärztlichen Bereich für eine Neuniederlassung 60.000 Euro Investitionskosten, kofinanziert von den Krankenkassen über den Strukturfonds. Denkbar wäre auch eine Umsatzgarantie über einen gewissen Zeitraum, aber das ist noch in der Diskussion.“
Und noch etwas macht die KV Berlin: Sie gründet eigene Praxen. Zwei gibt es bereits, eine dritte ist in Vorbereitung. Scherer sieht das nicht nur als Notmaßnahme zur Aufrechterhaltung der Versorgung, sondern auch als Angebot an die neue Generation: „Wir sind formal noch nicht zu Eigeneinrichtungen seitens der KV verpflichtet. Aber wenn wir den Sicherstellungsauftrag ernstnehmen, müssen wir jetzt was tun. Ich glaube, dass wir damit den Bedürfnissen junger Ärzte, ins Angestelltenverhältnis zu gehen, Rechnung tragen. Der Gedanke ist auf mittlere Sicht, dass Ärzte eine KV-Praxis dann auch übernehmen können.“
Ein anderer Weg aus dem Versorgungsdilemma könnte die MVZ-Gründung durch private Investoren sein. Auch hier ist Berlin ein interessanter Show-Case. In besagten Planungsbezirken am östlichen Stadtrand hat das Unternehmen Doktor.De, Tochterunternehmen des schwedischen Gesundheitsunternehmens Doktor.Se, mittlerweile fünf Praxen übernommen und daraus jeweils investorengeführte MVZ („iMVZ“) gemacht. Es ist ein recht untypisches Investorenszenario, eben weil es sich nicht um Praxen in Premiumlagen handelt.
Was hält die KV davon? Scherer ist ambivalent: „Ich gehöre nicht zu denen, die privates Kapital generell verteufeln. Was mich stört ist, wenn Arztpraxen zum Spekulationsobjekt werden. Wenn die Kapitalgeber nicht in der Unternehmensleitung sitzen, und wenn das Konzept eines Investors langfristig ist und darauf angelegt, ein Versorgungsmodell zu etablieren, dann kann man darüber reden. Wenn die Praxen aber von einem Investment-Fonds quasi eingesammelt werden, wenn dann eine Schleife um das Paket gemacht wird und das Ganze nach fünf Jahren weiterverkauft wird, dann wird das MVZ zum Spekulationsobjekt. Das halte ich dann für extrem problematisch.“
Berlin ist in Sachen Investoren insofern ein gebranntes Kind, als es Schauplatz einer Investitionssaga im Bereich Radiologie war. Ein großes radiologisches MVZ mit zwölf Standorten wurde 2020 an die im Jahr 2017 gegründete „Meine Radiologie Holding“ des Investmentfonds Triton verkauft, der in dieser Zeit viele Radiologien aufkaufte. 2021 ging das ganze Bündel aus bundesweit rund 30 MVZs an den schwedischen Investor EQT Infrastructure, der außerdem von der Deutschen Beteiligungs AG die radiologisch-strahlentherapeutisch ausgerichtete blikk Holding übernahm.
So entstand eine sehr große Radiologiegruppe mit hoher Marktdurchdringung. Scherer hält das für hoch problematisch: „Ich glaube nicht, dass das dem Gesundheitswesen guttut.“ Bei Triton scheint das Geschäft als Erfolg zu gelten: Zumindest gibt es mittlerweile einen neuen Triton Investmentfonds, TSM II genannt, der Ähnliches in der Kardiologie, der Orthopädie und der Allgemeinmedizin erreichen will. Andere Investmentsfonds tummeln sich in der Urologie. Einer Praxis mit einem EBITDA von einer halben Million Euro werden da dann schon mal vier Millionen Euro angeboten.
Vor dem Hintergrund solcher Aktivitäten wundert es nicht, dass es politisch Gegenwind gibt. Dass ein MVZ-Regulierungsgesetz kommen wird, gilt als gesetzt. Diskutiert werden eine Begrenzung der MVZ-Gründung auf einen Umkreis von 50 km um das als Träger fungierende Krankenhaus, eine Streichung des Zulassungsverzichts gemäß § 103 Abs. 4a S. 1 SGB V und anderes mehr. Die Gefahr ist, dass damit auch jenen Investoren das Leben schwer gemacht wird, denen es nicht um Spekulation geht.
Scherer sieht die Regulierungsideen des Bundesrats ambivalent: „Für die regionale Begrenzung habe ich Sympathie. Es macht keinen Sinn, eine defizitäre Klinik zu übernehmen, nur um irgendwo weit entfernt ein MVZ gründen zu können. Ich könnte mir auch eine Regelung vorstellen, wonach die Fachrichtungen in den ambulanten MVZ die Fachabteilungen der Trägerklinik spiegeln müssen."
Mit anderen Dingen ist Scherer weniger glücklich: „Das obligate Ausschreiben von KV-Sitzen halte ich für schwierig, weil man damit die MVZ-Struktur letztlich kaputtmacht. Eine solche Regelung würde auch ärztliche MVZs und Gemeinschaftspraxen treffen. Vorstellen kann ich mir, den Sitz in einem MVZ oder Gemeinschaftspraxis zu belassen, ihn aber im Rahmen eines geordneten, objektiven Verfahrens nachzubesetzen, bei dem die jeweilige Einrichtung ein Mitspracherecht hat. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir im Bereich einer grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit agieren.“
Unterschiede machen bei der Regulierung zwischen haus- und fachärztlichen Praxen würde Scherer eher nicht: „Wir stellen zunehmend fest, dass auch in der Allgemeinmedizin Zuweiserstrukturen geschaffen werden. Differenzieren könnte man nach Geschäftsmodell: Geht es um Versorgung, oder geht es um Spekulation? Diese Differenzierung ist schwierig, aber sie ist möglich. Keine Investoren in der Geschäftsführung wären aus meiner Sicht ein denkbares Kriterium. Man könnte auch über Haltefristen nachdenken, um zu verhindern, dass Praxen nach ein paar Jahren gebündelt weiterverkauft werden.“
Klar ist allerdings auch, dass Regulierungen, die es Geldgebern erschweren, Geld in die ambulante Versorgung zu stecken, unter Umständen dazu führen, dass stationäre Versorger stärker begünstigt werden. Insbesondere Klinikketten könnten frohlocken. Denn sie haben bereits regionalisierte Strukturen und können eigene MVZ künftig möglicherweise mit weniger „ambulantem Störfeuer“ platzieren. Führt ein MVZ Regulierungsgesetz zu einer weiteren Helios-isierung der Versorgung?
Einige befürchten das. Scherer sieht es anders: „Das Problem sind nicht fehlende Investitionen, sondern eine krankenhauslastige Politik. Ob bei der Digitalisierung oder beim Inflationsausgleich, die ambulanten Praxen werden im Regen stehengelassen. Mit Ausnahme der Kinderärzte, die halbherzig entbudgetiert wurden, sind die allermeisten Arztgruppen weiterhin in engen Budgets. Die Zusage aus dem Koalitionsvertrag, wonach auch Hausärzte entbudgetiert werden, wurde bisher nicht eingehalten. Da ist man wortbrüchig.“
Zurück nach Hannover. Allgemeinarzt von Zimmermann war bei seiner Suche letztlich erfolgreich. Er verkaufte an einen Investor, an Doktor.De. Bis auf Weiteres führt er die Praxis weiter: „Wir wollten eigentlich ein Modell mit mir als Geschäftsführer des MVZ Hannover. Das war aus Gründen, die ich bis heute nicht verstanden habe, mit der KV Niedersachsen nicht zu machen, obwohl es juristisch möglich ist. Wir haben das dann pragmatisch gelöst. Ich habe jetzt Prokura, bin für den Standort Hannover zuständig, das MVZ hat aber eine separate Geschäftsführung.“
Was hat sich geändert? Es gab zum Beispiel prompte Hilfe bei der schwierigen Nachbesetzung von MFA-Stellen: „Wir haben massive Unterstützung erhalten, die Stellen wurden ruckzuck aufgefüllt. Das war schon beeindruckend.“ Geändert hat sich auch, dass Telemedizin einen höheren Stellenwert bekommen hat. Für die eigenen Patienten wird das noch kaum genutzt, aber es soll kommen.
Medizinisch reingeredet habe ihm bisher niemand, so der Allgemeinmediziner: „Wir haben keine Großgeräte, kaum Privatpatienten, machen überwiegend sprechende Medizin. Ich sehe da keinen großen Hebel für Profitmaximierung. Natürlich bieten wir extrabudgetäre Leistungen an: Wir machen Gesundheits-Checks, beraten zu Koloskopien. Aber das sind alles Dinge, die würde ich als alleiniger Praxisinhaber auch machen bzw. habe das vorher schon gemacht.“
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