Hör auf zu masturbieren und du wirst selbstbewusster, kreativer und dein Penis wird größer! Das sind die Versprechen der Reboot-Bewegung. Warum das nicht nur falsch, sondern auch gefährlich ist, lest ihr hier.
Wieder ein Internet-Trend, der negative Auswirkungen auf die Psyche junger Männer haben kann – Rebooting („neu starten“). Dabei handelt es sich um Programme, bei denen vor allem heterosexuelle Männer (überwiegend Teenager und junge Erwachsene) zur sexuellen Abstinenz aufgerufen werden. Alles zum Wohle der Gesundheit, laut der Gründer solcher Gruppen.
Insbesondere in den USA gibt es eine große Anti-Pornografie-Bewegung. Dem zugrunde liegen unter anderem religiöse, ideologische aber auch konspirative Gründe. In dieser Bewegung wird das Nutzen pornographischer Inhalte mit einer Sucht gleichgesetzt. Wer also Pornografie konsumiert, ist abhängig und muss geheilt werden. Dabei listen die Rebooting-Programme eine große Bandbreite (angeblicher) negativer Effekte von Masturbation, Pornos und sogar von sexuellen Gedanken auf. Diese führen angeblich zu erektilen Dysfunktionen, Abgeschlagenheit und einem geringen Selbstwertgefühl. Ziel des Rebootings ist es, einen längeren Zeitraum abstinent zu bleiben und damit die Gesundheit wieder „neu zu starten“. Eine Möglichkeit dafür ist z. B. der „Monk Mode“, bei dem 90 Tage auf jegliche sexuelle Handlung (Masturbation, Sex, Fantasien, sexuelle Gedanken usw.) verzichtet werden soll. Der Erfolg – aber auch Rückfälle – werden mit der Online-Community in speziellen Foren geteilt.
Ein Anbieter innerhalb der Rebooting-Bewegung ist NoFap, der insbesondere über Foren auf Reddit aktiv ist, aber auch eine eigene Anwendung für Smartphones anbietet. Nach eigenen Aussagen soll NoFap dabei helfen, die angebliche Pornosucht zu überwinden – mit selbst ernannten Experten. Plattformen wie diese werden aber in der Regel von Laien ohne wirkliche Expertise betrieben. In den Foren werden Informationen und Erfahrungen ausgetauscht, aber auch die Erfolge der Teilnehmer nachgehalten. So werden Teilnehmer regelmäßig dazu aufgefordert, dort öffentlich mitzuteilen, ob sie standhaft geblieben sind oder rückfällig wurden.
In den Foren dokumentieren Teilnehmer ihre Fortschritte und Rückschläge. Unter den Kommentaren und Beiträgen findet man viel Misogynie und beleidigende Sprache. Auch teilen Nutzer ihre Selbstzweifel und sprechen von einem geringen Selbstwertgefühl. Insbesondere besorgniserregend sind Beiträge, die von Depression, ausgelöst durch NoFap, sprechen. Andere Nutzer raten dazu, durchzuhalten und weiter zu machen, was dazu führen könnte, dass sich einzelne Personen nicht die Hilfe holen, die sie benötigen. Doch wie wirkt sich dieses Verhalten und der Umgangston in den Foren auf die Gesundheit aus?
Ein Team aus Wissenschaftlern hat eine fragebogenbasierte Studie durchgeführt, um die Auswirkungen dieser Bewegung zu untersuchen. Dabei fanden sie vor allem einen großen Einfluss auf die mentale Gesundheit von jungen Männern.
An ihren Umfragen nahmen sowohl Männer teil, die bereits ein Rebooting absolviert hatten, als auch solche, die dies noch nicht ausprobiert hatten. Teilnehmer, die bereits ein Rebooting durchgeführt haben, waren im Schnitt jünger und sexuell unerfahrener als Nicht-Rebooter. Auch waren die bereits Reboot-Erfahrenen eher von erektilen Dysfunktionen, Depression und Angststörungen betroffen. Sie konsumierten im Schnitt weniger pornografische Inhalte, wobei die Forscher warnen, diese Aussagen mit Vorsicht zu betrachten, da Pornografie durch z. B. NoFap sehr mit Scham behaftet werden und Teilnehmer möglicherweise die Fragen zum Porno-Konsum nicht wahrheitsgemäß beantworten könnten. Nichtsdestotrotz standen erektile Dysfunktionen bei Personen, die nie an einem Reboot teilgenommen haben, nicht in Korrelation mit dem Konsum von pornografischen Inhalten. Außerdem wurden erektile Dysfunktionen insgesamt seltener bei Nicht-Rebootern gemeldet.
Aber wie passt das zu den Versprechungen von NoFap, Reboot Nation und Co.? Anders als von den Anbietern propagiert, verschlimmere der Konsum von pornografischen Inhalten erektile Dysfunktionen nicht – die Ursache läge viel mehr bei der psychischen Gesundheit, so die Autoren der Studie. Die Wissenschaftler konnten einen Zusammenhang von Depression und Angststörungen mit erektilen Dysfunktionen feststellen. Diese psychischen Erkrankungen könnten möglicherweise von der Durchführung des Rebootings und auch der Teilnahme an den Foren ausgelöst werden.
Zwar ist die Studienlage zurzeit noch nicht eindeutig, jedoch gibt es erste Hinweise darauf, dass eine „anerzogene“ oder vorgelebte Scham in Bezug auf Masturbation nachteilig für die psychische Gesundheit sein können. Dies wird auch als Masturbationsscham bezeichnet und oftmals durch religiöse Hintergründe oder die individuelle Erziehung ausgelöst.
Eine weitere Studie gibt Aufschluss darüber, dass das Predigen von Abstinenz auch den gegenteiligen Effekt haben kann und junge Erwachsene größere sexuelle Risiken – auch aufgrund mangelnder Aufklärung – eingehen. Um das zu vermeiden, aber auch um gefährlichen Internet-Trends vorzubeugen, sollten junge Erwachsene offen und ohne Tabuisierung über Sexualität aufgeklärt werden. So werden sie auch weniger schnell Opfer von falschen Versprechungen und Ideologien, die behaupten, dass der Penis von Abstinenz größer würde.
Trotzdem ist zu erwähnen, dass es sehr wohl eine zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung gibt, unter die auch ein übermäßiger, exzessiver Pornografie-Konsum fällt. Betroffene sollten aber in solchen Fällen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und nicht auf Laien-Programme zurückgreifen.
Bildquelle: Scott Sanker, Unsplash