In der Tierarztpraxis mag die Kastration von Katzen ein schneller Routineeingriff sein. Um wildlebende Katzenpopulationen einzudämmen, ist der Eingriff aber oft zu aufwändig. Gibt es bald eine einfachere Lösung?
Leben Hauskatzen in freier Wildbahn, vermehren sie sich ziemlich schnell. Eine Katze kann zwei- bis dreimal im Jahr tragend werden, mit einem Wurf kommen zwei bis acht Welpen zur Welt. Nach ein paar Jahren kann also aus einem Ursprungs-Paar eine vierstellige Anzahl an Nachkommen entstehen. Dass das auf die Dauer zu einem Problem werden kann, sieht man vor allem in Ländern, die kaum Maßnahmen dagegen ergreifen.
Die Lösung des Problems besteht meist darin, wildlebende Katzen einzusammeln und chirurgisch zu kastrieren. Trotzdem sind viele Tierheime irgendwann überfüllt. Forscher haben jetzt eine andere Lösung gefunden. Eine einzige Spritze verhinderte in ihren Versuchen den Eisprung und die Empfängnis bei weiblichen Katzen für mindestens zwei Jahre. Ihre Ergebnisse konnten die US-Forscher vom Massachusetts General Hospital zusammen mit ihren Kooperationspartnern in Nature Communications veröffentlichen.
„Achtzig Prozent der schätzungsweise 600 Millionen Hauskatzen auf der Welt sind Freigänger. Diese Katzen leben meist unter schlechten Bedingungen und verursachen durch ihr Jagdverhalten Schäden in anderen Tierpopulationen. Darüber hinaus wirft die Praxis der Euthanasie gesunder Tiere in überbevölkerten Tierheimen ethische Fragen auf“, schreibt das Team um Veterinärin Lindsey Vansandt in seiner Publikation. Da eine chirurgische Kastration sehr aufwändig und in vielen Ländern nur schwer flächendeckend durchzuführen ist, wandten sich die Forscher bei ihrem Ansatz einem Körpereigenen Hormon zu: dem Anti-Müller-Hormon (AMH).
AMH spielt im Rahmen der Embryonalentwicklung eine Rolle in der sexuellen Differenzierung. Außerdem wird es im Erwachsenenalter von den Granulosazellen des Ovars produziert und dient der Protektion der Eizellreserve. In früheren Arbeiten konnte das Team bereits zeigen, dass supraphysiologische AMH-Spiegel die Follikulogenese in der Maus unterdrücken und eine dauerhafte Empfängnisverhütung bewirken können. „Der Mechanismus unterscheidet sich von dem anderer hormoneller Verhütungsmittel, da er in erster Linie auf die frühen Gonadotropin-unabhängigen Schritte der Follikelentwicklung einwirkt und sowohl die Aktivierung der Primordialfollikel als auch die Reifung der präantralen Follikel hemmt“, schreiben die Autoren im Paper.
Genau diesen Mechanismus wollten sich die Wissenschaftler dann auch bei der Katze zunutze machen. Um den AMH-Spiegel bei weiblichen Katzen zu erhöhen, entwickelten sie einen Adenovirus-basierten Vektor, der eine leicht veränderte Version des felinen AMH-Gens enthält. Hierbei orientierten sie sich an humanen Verfahren, bei denen ähnliche Vektoren zur Verabreichung therapeutischer Gene verwendet werden. „Eine einzige Injektion des Vektors veranlasst die Muskelzellen der Katze, AMH zu produzieren, das normalerweise nur in den Eierstöcken gebildet wird und erhöht den AMH-Gesamtwert um das Hundertfache“, sagt Letztautor David Pépin, Forscher und Professor an der Harvard Medical School. Die Wirkung von AMH entdeckte Pépin, als er am Einsatz des Hormons bei der Frau zum Schutz der Eizellreserve während einer Chemotherapie forschte.
Nach dem Mausmodell wandte sich Pépins Team schließlich Katzen zu. Und tatsächlich: Eine einzige Injektion sorgte auch hier dafür, dass die AMH-Werte über zwei Jahre lang erhöht blieben und damit die Follikelreifung unterdrückt wurde. „Wir sind zuversichtlich, dass diese empfängnisverhütende Wirkung bei den Tieren noch viel länger aufrechterhalten werden kann“, sagt Tiermediziner Philippe Godin, Mitautor des Papers. Um die Ergebnisse zu bestätigen, seien jedoch weitere Studien mit einer größeren Anzahl von Katzen erforderlich.
Doch die Forscher bemerkten auch einige Unterschiede zwischen Mäusen und Katzen: Erhöhte AMH-Spiegel unterdrücken bei Mäusen die Granulosazelldifferenzierung und -proliferation und damit die Entwicklung der Primär- und frühen Sekundärfollikel. Es kommt also zu einem nahezu vollständigen Fehlen von Sekundärfollikeln.
Bei der Katze vermuten die Wissenschaftler, dass einige Follikel der AMH-Suppression entgehen und bis zu einem antralähnlichen Stadium wachsen könnten, bevor sie schließlich zum Stillstand kommen. Sie schreiben: „Trotz der angeblichen Rolle von AMH bei der Hemmung der Estradiol-Produktion und der direkten Beeinflussung der hypophysären Gonadotropine deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass supraphysiologisches AMH die Estradiol-Konzentration bei Katzen nicht unterdrückt – möglicherweise, weil die hypophysäre Rückkopplung die Homöostase auch angesichts einer abnormalen Follikelentwicklung wiederherstellen kann.“
Eine Ovulation wird bei der Katze außerdem meist durch die vaginale Stimulierung bei der Paarung ausgelöst, auch wenn es ebenfalls zur spontanen Ovulation kommen kann. „Bei mit dem Vektor behandelten Katzen beobachteten wir einen signifikanten Rückgang der Häufigkeit der Lutealphase, was wiederum stark auf eine Verringerung der hohen spontanen Ovulationsrate hindeutet, die häufig bei in Gruppen gehaltenen Katzen zu beobachten ist“, schreiben die Autoren. Weitere Studien seien erforderlich, um die Follikelpopulationen in AMH-behandelten Katzen zu untersuchen und um festzustellen, ob ihre Sekundärfollikel weiterhin auf einen induzierten LH-Anstieg reagieren und sich daraufhin Corpora lutea bilden könnten.
„Diese Technologie mag ihrer Zeit ein wenig voraus sein“, räumt Pépin ein und weist darauf hin, dass die Infrastruktur, die für die Herstellung ausreichender Dosen zur Behandlung von Millionen von Katzen mittels Gentherapie erforderlich ist, noch nicht existiere. Das Ziel ihrer Arbeit aber sei, zu zeigen, dass eine sichere und wirksame dauerhafte Empfängnisverhütung bei Haustieren durch Gentherapie möglich ist. „Wir hoffen, dass mit der Zunahme dieser Verfahren beim Menschen auch die Herstellungsmöglichkeiten für virale Vektoren zunehmen werden“. Ob also vielleicht schon in ein paar Jahren Katzen mittels Gentherapie sterilisiert werden, bleibt abzuwarten.
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