Seit rund 40 Jahren ist Ebola bekannt. Dennoch gibt es keine erprobte Therapie. Die Hersteller konzentrierten sich bisher eher auf veritable Krankheitsbilder wie Hepatitis C. Nun wollen sie sich verstärkt auf vernachlässigte Krankheiten fokussieren. Mehr als nur Imagepflege?
Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), 1976. In einem belgischen Missionskrankenhaus erkranken mehrere Nonnen und Krankenschwestern an einem neuen „Gelbfieber mit hämorrhagischen Merkmalen“. Knapp 40 Jahre später haben Forscher viel über molekulare Strukturen des Ebola-Virus in Erfahrung gebracht. Sie kennen Übertragungswege, Mortalitäten und Reservoire – aber evidenzbasierte Therapien sucht man bis heute vergebens.
Ebola ist kein Einzelfall. Leiden wie die lymphatische Filariose, Lepra, die afrikanische Schlafkrankheit, Trachome, die Bilharziose, Chagas, die viszerale Leishmaniose, die Flussblindheit und Medina-Wurm-Infektionen treten vor allem in armen Ländern auf. Grund genug für 13 Unternehmen, sich der Problematik bis 2020 anzunehmen. Laut Angaben des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) befinden sich derzeit mehrere Arzneimittel in späten Entwicklungsphasen. Damit nicht genug: Ende August gründeten fünf akademisch Einrichtungen, drei NGOs und vier Vertreter aus der Privatwirtschaft das „Deutsche Netzwerk gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten“ (DNTDs). „Die Mitglieder eint das Anliegen, Krankheiten wie etwa Bilharziose und afrikanische Schlafkrankheit, die vor allem in tropischen Ländern auftreten und meist armutsbedingt sind, zu eliminieren“, sagt Prof. Dr. Jürgen May als Sprecher des Netzwerks. „Der Schulterschluss von Nicht-Regierungsorganisationen, Wissenschaft und Wirtschaft wird diese Initiativen noch effizienter machen.“
Für die BUKO Pharma-Kampagne steckt dahinter ein cleverer Schachzug: „Sicher kann die Pharmaindustrie mit DNTDs ihr Image aufpolieren. Und vor allem hat sie den Fuß bei NGOs und ForscherInnen in der Tür“, heißt es in einer Stellungnahme. Aus wissenschaftlicher Sicht bestehen Zweifel: Etliche Forschungseinrichtungen arbeiten schon seit Jahren gemeinsam mit regierungsnahmen Organisationen an Therapien gegen „vernachlässigte Erkrankungen“ – allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Wie Belen Pedrique, Forscherin bei der Drugs for Neglected Diseases initiative (DNDi), berichtet, hatten von 1979 bis 1999 etwa 1,1 Prozent aller neuen Wirkstoffe vernachlässigte Erkrankungen als Indikation. Zwischen 2000 und 2011 waren es 4,0 Prozent. Darunter befanden sich vier innovative Moleküle: drei gegen Malaria, eines gegen Durchfallerkrankungen. Das entspricht einem Prozent aller 336 Neuzulassungen von Wirkstoffen. Weitere Studien bestätigen diesen Trend.
Jill A. Fisher von der University of North Carolina nahm jetzt pharmazeutische Pipelines unter die Lupe und wertete öffentlich zugängliche Datenbanken aus. Von Juli 2006 bis Juni 2011 befanden sich 2.477 Arzneistoffe in 4.182 klinischen Studien. Die Zulassung erreichten im Schnitt 19 Prozent aller Pharmaka. Moleküle zur Behandlung großer Volkskrankheiten in einkommensstarken Ländern kamen um den Faktor 3,46 häufiger vor als Stoffe, deren künftige Märkte in ärmeren Nationen liegen. An erster Stelle rangieren Medikamente zur Tumortherapie (26,2 Prozent), speziell bei Lymphomen und Leukämien. Kein Wunder: Maligne Lymphome, AML und CLL betreffen vor allem ältere Menschen, der Gipfel liegt im sechsten Lebensjahrzehnt. Höhere Lebenserwartungen in Ländern mit funktionierendem Gesundheitssystem ließen entsprechende Fallzahlen rapide ansteigen. An zweiter Stelle aller Innovationen sind Wirkstoffe bei Erkrankungen des Nervensystems zu nennen (13,5 Prozent), gefolgt von Antiinfektiva (10,5 Prozent). Tatsächlich stammten nur zwölf Prozent aller Zulassungen aus Labors der größten 20 Konzerne. Bestes Beispiel ist Sovaldi® (Sofosbuvir). Gilead kaufte die Innovation, indem Pharmasset übernommen wurde. Ausgaben von elf Milliarden Dollar haben sich binnen kürzester Zeit amortisiert – die Behandlungskosten liegen bei etwa 120.000 Euro im Jahr.
Entsprechende Probleme werden sich bei Erstzulassungen kaum ändern. Allerdings gerät das sogenannte „Evergreening“ mehr und mehr in die Kritik. Zur Erklärung nennt NeurologyFirst „fünf faule Tricks, um auslaufende Arzneimittelpatente zu verlängern“: Retardpräparate, Stereoisomere, geringe Veränderungen der Molekülstruktur, neue Dosierungen oder Kombinationspräparate. Im letzten Jahr bremsten indische Richter Novartis bei dieser Strategie. Sie waren nicht bereit, Imatinibmesilat als Wirkstoff von Glivec® zu schützen. Madineedi Adinarayana vom Generikaunternehmen Natco lobt: „Davon profitieren nicht nur wir, sondern auch alle armen Menschen, die auf billige Medikamente angewiesen sind.“ Patentrechtliche Entscheidungen allein werden aber das Problem nicht lösen können. So oder so bedarf es zusätzlicher Anstrengungen im Bereich von Forschung und Entwicklung sowie entsprechender, finanzieller Investitionen für neue Wirkstoffe und effektive Therapien bei vernachlässigten Krankheiten.