Inflammatorische Prozesse oder mukosale Barrierestörungen: zwei Angriffspunkte bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Dank zielgerichteter Therapien gelingt es immer häufiger, Patienten erfolgreich zu behandeln, meist ohne schwerwiegende Nebenwirkungen.
Über lange Jahre hinweg führten Wissenschaftler chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn auf Störungen der adaptiven Immunität zurück. Ganz so einfach ist die Sache nicht – mittlerweile konnten Humangenetiker im Erbgut mehr als 200 Anomalien nachweisen. Auffällige DNA-Abschnitte steuern nicht nur die erworbene Immunität, sondern auch zahlreiche Funktionen von Epithelzellen. An diesen beiden Achillesfersen setzen Wissenschaftler heute an. Ihre Ziele: Entzündungen bekämpfen und die Barrierefunktion optimieren.
Bei Colitis ulcerosa vermuten Wissenschaftler schon lange, dass niedrige Phosphatidylcholin-Spiegel der Darmschleimhaut Krankheitsprozesse fördern. Das bestätigt eine placebokontrollierte, multizentrische Phase IIb-Studie mit 156 Patienten. Alle Teilnehmer litten an einer refraktären Colitis ulcerosa. Sie erhielten 0,8, 1,6 oder 3,2 Gramm retardiertes Phosphatidylcholin („LT-02“). Als Begleitmedikation waren 5-Aminosalicylsäure, Kortikosteroide und/oder Purinanaloga möglich. Bei hohen Dosierungen an LT-02 verringerte sich die Krankheitsaktivität signifikant im Vergleich zu Placebo. Auf dem Simple Clinical Colitis Activity Index (SCCAI) sanken entsprechende Werte von 8,5 auf 4,1 Punkte (minus 51 Prozent). Zum Vergleich: Bei Placebo verringerte sich der SCCAI-Score von 9,0 auf 6,0 (minus 33 Prozent). Jetzt läuft eine industriegesponserte Phase-III-Studie, bei der 3,2 Gramm LT-02 pro Tag verabreicht werden.
Damit nicht genug: Um inflammatorische Prozesse bei CED einzudämmen, steht mittlerweile ein ganzes Arsenal an Therapien zur Verfügung. Je nach Schweregrad setzen Ärzte auf verschiedene Wirkstoffe. Leiden Patienten an einer schwachen, räumlich begrenzten Entzündung, verschreiben sie zunächst 5-Aminosalicylsäure-Derivate zur rektalen Applikation. Bleibt der Erfolg aus, sollte ein Versuch mit topischen oder systemischen Steroiden gewagt werden. Kritisch wird die Sache bei blutigen Durchfällen, Fieber oder Tachykardie. Dann ist es an der Zeit, zusätzlich Ciclosporin oder Tacrolimus einzusetzen.
Als letzte Möglichkeit bleiben noch Biologicals wie Adalimumab, Golimumab oder Infliximab. Sie richten sich gegen den Tumornekrosefaktor (TNF) α. Dass Erkrankte auch langfristig von dieser Therapie profitieren, zeigten Wissenschaftler um Jean-Frederic Colombel, New York. Patienten mit CED konnten nach Ende der zwölfmonatigen Adalimumab-Zulassungsstudie für eine Langzeitstudie bewerben. Sie erhielten das Biological über insgesamt vier Jahre hinweg. Nach diesem Zeitraum befanden sich 80 Prozent aller Patienten, die bereits früh auf die Behandlung angesprochen hatten, weiter in Remission. Dänische Ärzte wollten wissen, ob TNF-α-Inhibitoren zu einem höheren Krebsrisiko führen. Zusammen mit Kollegen hat Nynne Nyboe Andersen, Kopenhagen, Daten von 56.146 CED-Patienten analysiert. Insgesamt erhielten 4.553 Personen Adalimumab, Certolizumab oder Infliximab – und 81 (1,8 Prozent) erkrankten tatsächlich an Krebs. In der Gruppe ohne TNF-α-Inhibitoren waren es 6,7 Prozent. Adjustierten Wissenschaftler weitere Risikofaktoren wie Alter oder Dosierung, ließ sich trotzdem kein Gefährdungspotenzial erkennen. Bleibt als Problem, dass es schwankende Raten an Non-Respondern gibt. Raja Atreya, Erlangen, entwickelte deshalb eine Möglichkeit, um Erfolge vorherzusagen. Er koppelte therapeutische Antikörper mit Fluoreszenzfarbstoffen und sprayte sein Konjugat auf die Darmschleimhaut. Färbten sich Bereiche an, kam es laut Atreya zur Expression von TNF-α, und Patienten profitierten von entsprechenden Inhibitoren.
Jetzt sorgt ein weiteres Biological für Furore: Vedolizumab blockiert ein Integrin namens alpha4beta7. Ohne dieses Protein gelingt es Gedächtnis-T-Zellen nicht, an Endothelzellen zu binden und Blutgefäße zu verlassen. Patienten mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, bei denen konventionelle Therapien versagt hatten, erhielten den monoklonalen Antikörper. Ihre Ansprechrate lag bei 47 beziehungsweise 31 Prozent, unter Placebo waren es 26 Prozent. Anfang 2013 beantragte Takeda die Zulassung bei mittelschweren bis schweren Formen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen. Seither sprachen sich sowohl das US-amerikanische FDA Advisory Committee als auch das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der European Medicines Agency (EMA) für Zulassungen aus. Behörden sind jedoch vorsichtig geworden. Ein Pharmakovigilanz-Plan soll sicherstellen, dass keine schweren Komplikationen übersehen werden, wie vor längerer Zeit bei Natalizumab. Diesen Integrin-Inhibitor erhalten Patienten mit Multipler Sklerose. Vereinzelt kam es zu progressiven multifokalen Leukenzephalopathien (PML).
Doch zurück zu CED: Leitliniengerechte Therapien und experimentelle Studien machen deutlich, dass die Versorgung von Patienten mit CED auch heute noch ein komplexes Thema ist. Grund genug für den Berufsverband Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands, CED-Schwerpunktpraxen zu zertifizieren. Um das Prädikat zu erhalten, müssen Ärzte mindestens 100 Patienten pro Jahr versorgen. Fortbildungen, spezielle CED-Sprechstunden und kollegiale Netzwerke kommen hinzu.