Die exakte Ursache für die Entstehung von Alzheimer ist bis heute unbekannt. Zur Plaquebildung oder dem Absterben von Nervenzellen gesellt sich ein neuer, begründeter Verdacht: Astrozyten schütten verstärkt den Neurotransmitter GABA aus, der als Gedächtnisblocker fungiert.
Bereits Jahre vor dem ersten Auftreten der typischen Alzheimer-Symptome wie Vergesslichkeit oder Sprachschwierigkeiten verändert sich das Gehirn der Betroffenen. Sogenannte Plaques bilden sich aus. Dies sind Ablagerungen im Gehirn, die durch „Verklumpung“ zweier Proteine namens Beta-Amyloid entstehen. Ab einem bestimmten Punkt stören sie die Kommunikation und Energieversorgung der Nervenzellen. Aber auch die Zellen in der Nähe der Plaques verändern sich. Sternförmige Astrozyten beispielsweise synthetisieren und schütten andere Botenstoffe aus als unter normalen Umständen. Betroffen hiervon ist auch der hemmende Neurotransmitter GABA. Die Kurzform GABA steht für γ-Aminobuttersäure. Bereits 2011 zeigten Wissenschaftler, dass die Konzentration dieses Botenstoffes in der Hirnflüssigkeit von Alzheimer-Patienten abnormal hoch ist. Unklar blieb jedoch, wie es zu dieser erhöhten GABA-Menge kommt und welche Auswirkungen diese hat.
Die koreanischen Forscher führten ihre Studien an genetisch veränderten Mäusen durch. Diese erkrankten, wenn sie älter wurden, an Alzheimer. Interessant ist, dass bereits bei vier Monate alten Nagern erste Plaques auftraten. Angesiedelt waren diese hauptsächlich im Gyrus dentatus, der „Eingangsstation“ in das Gedächtniszentrum Hippocampus. Mit acht Monaten zeigten die Mäuse kognitive Beeinträchtigungen, mit zwölf Monaten begannen Nervenzellen abzusterben. Reaktive Astrozyten fand das Forscherteam jedoch unabhängig vom Alter der kleinen Nager. Von „normalen“ Sternzellen unterscheiden diese sich hauptsächlich durch ihr Aussehen. Sie sind deutlich größer, weisen ein weit ausladendes Zytoplasma sowie zahlreiche sternförmige Zellfortsätze auf. Im nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler die GABA-Konzentration innerhalb der Zellen. Das Ergebnis: Lagen die reaktiven Astrozyten des Gyrus dentatus zwischen 20 und 80 µm von den Plaques entfernt, wiesen sie im Vergleich zu den Proben der Kontrollgruppe einen fünffach höheren Gehalt an hemmenden Neurotransmittern auf. War die Entfernung jedoch größer als 80 µm, war die GABA-Konzentration innerhalb der Astrozyten ähnlich hoch wie die der Sternzellen aus den Proben der Kontrollmäuse. Freigesetzt wird die Aminosäure über sogenannte Bestrophin-1-Kanäle. Diese befinden sich im Hippocampus auf Astrozyten in der Nähe der Synapsen.
Für eine erhöhte Konzentration eines bestimmten Stoffes innerhalb einer Zelle gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: entweder wird mehr synthetisiert oder weniger abgebaut. Im Fall von GABA heißt das, dass drei Enzyme Schuld an dem Überschuss sein können. Die Glutamat-Decarboxylase stellt den hemmenden Botenstoff aus dem Neurotransmitter Glutaminsäure her, indem sie ein Kohlenstoffdioxid-Molekül von dieser abspaltet. Die zweite Möglichkeit bildet die Synthese aus einer Substanz namens Putrescin, an der auch das Enzym Monoaminooxidase B, kurz MAOB genannt, beteiligt ist. Abgebaut wird GABA in den Gliazellen durch ein Enzym namens Transaminase. Während die Glutamat-Decarboxylase als auch das abbauende Enzym in den reaktiven Astrozyten nicht häufiger als in den „normalen“ Sternzellen vorkamen, fanden die Wissenschaftler für MAOB deutlich erhöhte Werte und Aktivität. Blockierten die Forscher in einem weiteren Versuch dieses Enzym mit dem irreversiblen MAOB-Hemmer Selegilin, sank die GABA-Konzentration der reaktiven Astrozyten ab. Diese Überproduktion und anschließende Ausschüttung der hemmenden Aminosäure wirkt sich auf die Umgebung aus. So befinden sich in der Nähe der reaktiven Astrozyten hauptsächlich glutamaterge Synapsen. Über diese Verbindungsstellen verständigen sich Nervenzellen mit anderen Zellen, indem sie den Neurotransmitter Glutaminsäure ausschütten. Dieser aktiviert sodann die Nachbarzelle. Laut den Forschern inhibiert GABA die Wirkung des erregenden Botenstoffes und unterdrückt so die Kommunikation der Nervenzellen, wodurch die Lern- und Gedächtnisfunktion beeinflusst wird. Dies zeigten auch die anschließenden Orientierungs- und Gedächtnistests, in denen Alzheimer-Mäuse schlechter abschnitten als ihre Artgenossen. Erhielten sie aber das Arzneimittel Selegilin, das das Enzym MAOB hemmt und so eine übermäßige Synthese der GABA verhindert, zeigten die Nagetiere deutlich verbesserte Ergebnisse.
Der MAOB-Hemmer Selegilin wird bereits als Monotherapeutikum zur Behandlung der Parkinson-Erkrankung eingesetzt. Ein positiver Effekt auf die Lern- und Gedächtnisfunktion von Alzheimer-Patienten wurde auch bereits diskutiert. Jedoch kam die 2003 durchgeführte Metaanalyse zu dem Ergebnis, dass ein Einsatz von Selegilin bei Alzheimer-Patienten nicht angebracht ist, da die Wirksamkeit des Präparats nicht nachgewiesen werden konnte. Auch die koreanischen Wissenschaftler halten Selegilin zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit für ungeeignet. Denn das Arzneimittel verbesserte die Hirnleistung der genetisch veränderten Mäuse nur für kurze Zeit. Grund hierfür könnte eine verstärkte Synthese des Enzyms MAOB sein. Jedoch könnten sich mit den Erkenntnissen, wie Selegilin die Lern- und Gedächtnisfunktion beeinflusst, neue Ansatzpunkt für die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten ergeben. Als neue Drug Targets kämen hier beispielsweise MAOB oder die Bestrophin-1-Kanäle der reaktiven Astrozyten in Frage.