Als „vatikanisches Roulette“ war die Verhütungsmethode nach dem Kalender einst verschrien. Nun erlebt sie mit den Zyklus-Apps eine Renaissance – mit möglicherweise fatalen Folgen für Frauen, die „Periodentracker“, „Menstruationskalender-App“ und Co. nutzen.
Was Frauen früher mit unscheinbaren Kreuzchen von Hand im Kalender markierten, übernimmt heute die Zyklus-App. Die „Periodentracker“ oder „Menstruationskalender-Apps“ gibt es von verschiedenen Anbietern. Alle Apps basieren auf einem Kalender, in den Frau den ersten Tag ihrer Monatsblutung einträgt. Auch Detailinformationen wie Schmerzen, Stimmungen, Blutungsdauer und der Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs lassen sich, wenn gewünscht, ergänzen. Bereits nach der ersten Eingabe des Periodenbeginns trägt die App im Kalender die fruchtbaren Tage im laufenden Zyklus ein.
„Als Zyklustagebuch, mit dem Frauen ihre Periode beobachten oder den nächsten Arzttermin planen, sind diese Anwendungen völlig unproblematisch“, sagt Dr. Elisabeth Raith-Paula. Eine weitere Funktion bereitet der Ärztin allerdings Bauchschmerzen: Die Anzeige der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage im Zyklus der Frau. „Diese Funktion ist höchst problematisch und gefährlich! Sie basiert auf einem völlig veralteten Wissen, das noch aus der Zeit der Vor-Pillen-Ära der 50er Jahre stammt und damals unter dem Stichwort „Knaus-Ogino“ bekannt war“, so Raith-Paula. Denn grundsätzlich lasse sich die fruchtbare Zeit einer Frau im aktuellen Zyklus nicht bestimmen, sondern immer nur berechnen. „Das geschieht entweder nach der starren, simplen, aber falschen Rechenregel: Der Zyklus hat 28 Tage und der Eisprung ist am 14. Zyklustag. Oder die Berechnung bezieht alle bisher eingetragenen Zyklen mit ein und wird je nach Anwendungsdauer ein wenig genauer“, sagt Raith-Paula. Unabhängig davon, wie viele Monatszyklen einer solchen Berechnung zugrunde lägen, sie bezögen sich dennoch ausnahmslos auf vergangene Zyklen, mahnt die Ärztin. Für den aktuellen Zyklus könnten mit der Kalendermethode in keinem Fall verlässliche Aussagen getroffen werden.
Denn der Zyklus der Frau ist natürlichen Schwankungen unterworfen. Das belegen Zahlen aus Europas größter Datenbank zur Zyklusforschung. Dort wurden seit den späten Achtzigerjahren mehr als 33.000 Selbstbeobachtungszyklen von gesunden Frauen im Alter von 19 bis 45 Jahren erfasst und nach verschiedensten Fragestellungen ausgewertet. Die Erkenntnis daraus: Keine Frau hat eine starre, individuelle Zykluslänge. „Bei 60 % aller Frauen schwankt die Zykluslänge innerhalb eines Jahres um mehr als eine Woche. Von diesen 60 % erlebt fast jede zweite sogar im Laufe eines Jahres Schwankungen von mehr als zwei Wochen. Bei knapp 30 % aller gesunden Frauen pendelt die Zykluslänge also zum Beispiel zwischen 24 und 38 Tagen oder zwischen 28 und 42 Tagen“, hat Dr. Raith-Paula in ihrem Buch „Natürliche Familienplanung heute: Modernes Zykluswissen für Beratung und Anwendung“ zusammengefasst. Bei mehr als der Hälfte aller Frauen findet der Eisprung nach dem 14. Zyklustag statt. „Da sich bei jungen Mädchen der Eisprung signifikant später ereignet, sind die Angaben der Zyklus-App gerade für diese Altersgruppe besonders bedenklich“, so Raith-Paula. Auch der umgekehrte Fall ist plausibel: In 20 % der Zyklen findet der Eisprung schon vor dem 14. Zyklustag statt. Dr. Raith-Paula rechnet vor: „Damit beginnt die fruchtbare Zeit in all diesen Fällen bereits zu einer Zeit, die von diesen Apps noch als unfruchtbar definiert wurde.
Für Frauen mit Kinderwunsch, sei das weniger problematisch, höchstens enttäuschend, so die Frauenärztin. Wird die App allerdings zur Verhütung benutzt und die Frau verlässt sich auf die Angaben zu fruchtbaren und unfruchtbaren Tagen, kann ein Sexualkontakt in dieser Zeit zu einer ungewollten Schwangerschaft führen. Denn zu den ungenauen Berechnungen addiere sich noch das Risiko, dass Spermien im Körper der Frau bis zu fünf Tage überleben können. Viele App-Anbieter wissen, dass sich ihre kleinen Smartphone-Programme nicht zur Verhütung eignen. Installiert man die App auf dem Smartphone, erscheint daher auch ein diesbezüglicher, allerdings einmaliger Hinweis darauf. „Wenn die App einmal auf dem Handy geladen ist und verwendet wird, haben einmalige Warnungen in der Beschreibung vor dem Download kein Gewicht mehr, werden vergessen oder von vornherein nicht wahrgenommen“, so Raith-Paula. „Wir machen die Erfahrung, dass viele junge Mädchen diese Apps benützen und halten das für extrem problematisch“, sagt die Ärztin. Bereits seit 14 Jahren engagiert sich Dr. Raith-Paula als Gründerin des MFM (My Fertility Matters) Deutschland e.V. für ein sexualpädagogisches Präventionsprogramm, das Mädchen, Jungen und deren Eltern in die Pubertät begleitet. Ihr Fazit: „Wir dürfen es nicht zulassen, dass aus diesem Unfug ungeplante Schwangerschaften bzw. Abtreibungen resultieren!“ Die Hersteller sollten entweder gezwungen werden, die „Fruchtbarkeits-Funktion“ gänzlich zu eliminieren oder mit einem regelmäßigen Warnhinweis zu versehen: „Darf nicht zur Empfängnisverhütung angewandt werden!“