Rettung alarmieren, Patient stabilisieren, Herzdruckmassage: Erste Hilfe rettet Leben. Aber was, wenn der Notfall nicht physischer, sondern psychischer Natur ist? Auch dafür gibt es Erste Hilfe. Lest hier mehr.
Wer ans Erste-Hilfe-Leisten denkt, hat wahrscheinlich sofort das Bild eines Unfalls im Kopf. Sei es ein Autounfall, zu dem man als Ersthelfer dazu kommt, oder ein Arbeitsunfall eines Kollegen. Woran die meisten Menschen bei den Worten „erste Hilfe“ nicht denken, sind psychiatrische Notfälle. Aber auch diese existieren und profitieren genauso von fähigen Ersthelfern, wie Notfälle physischer Art. Nun haben die meisten Menschen zumindest im Zuge des Führerscheins oder vielleicht sogar bereits in der Schule einen Ersthelferkurs absolviert und wissen zumindest in der Theorie, was bei einem Notfall zu tun ist. Wenn es sich um einen psychiatrischen Notfall handelt, sind die meisten allerdings ratlos.
Die Wahrscheinlichkeit, entweder im privaten Umfeld oder auch als Hausarzt in der Praxis mit einem psychiatrischen Notfall in Berührung zu kommen, ist hoch. Trotzdem wissen viele nicht, wie man in einer solchen Situation am besten reagiert. Was tue ich, wenn mein Gegenüber eine Panikattacke hat? An wen kann ich mich wenden, wenn mir gegenüber jemand Suizidabsichten äußert? Das sind Fragen, die man zwar im Kopf oft durchspielen kann, aber wenn es dann zur akuten Situation kommt, ist man oft hilflos – und kann somit den Betroffenen auch nicht helfen. Eben sehr ähnlich, wie bei einem Unfall.
„Wir erleben es oft, dass sich Menschen aus Unsicherheit nicht trauen, psychische Probleme anzusprechen, wenn sie diese bei Mitmenschen wahrnehmen“, erklärt Lisa Naab, psychologische Psychotherapeutin und Instruktorin für MHFA Ersthelfer (Mental Health First Aid, Erste Hilfe für psychische Erkrankungen) – ein Programm, das sich der Ausbildung von Ersthelfern und Instruktoren für psychische Erste Hilfe widmet – im Gespräch mit DocCheck.
„Durch diese Hemmungen vergeht oft eine sehr lange Zeit zwischen dem Erstauftreten psychischer Symptome und der Inanspruchnahme von Hilfe“, so Naab. „Die psychische Störung breitet sich dann leider oft aus oder chronifiziert – und beeinträchtigt Betroffene in vielen Lebensbereichen.“ Um die Zeit zwischen Auftreten der Störung und dem Hilfesuchen zu verkürzen – und Angehörigen die Werkzeuge in die Hand zu geben, mit denen sie sich in akuten Situationen sicher fühlen, Hilfe leisten zu können – gibt es MHFA-Kurse für psychische Ersthilfe. In 12 Stunden lernen Laien Basiswissen zu psychischen Störung, Gesprächsführung mit Betroffenen falls Warnsignale erkannt wurden und an welche Stellen sie sich wenden können, sollte ein psychischer Notfall eintreten und akuter Handlungsbedarf bestehen.
Natürlich sind solche Kursangebote für medizinische Laien ausgelegt – aber auch Ärzte können davon profitieren. Einerseits kann man seinen Patienten eine weitere Anlaufstelle an die Hand geben, wenn im sozialen Umfeld eine entsprechende Situation bereits bekannt ist. Andererseits können sich Ärzte auch zu Instruktoren und somit zu psychischen Ersthelfern ausbilden lassen. „Hausärzte sind ja sehr häufig die erste Kontaktperson von jemandem, der psychisch belastet ist und es besteht oft ein Vertrauensverhältnis“, so Naab. „Patienten können ihre Situation oft besser verstehen oder greifen, wenn ihr langjähriger Hausarzt mit ihnen darüber spricht.“
Ärzte, Psychotherapeuten und anderes medizinisches Fachpersonal mit fachlichem Vorwissen und Erfahrung in der Arbeit mit psychisch kranken Menschen, können sich zu MHFA-Instruktoren ausbilden lassen. Instruktoren können dann auf freiberuflicher Basis ihrerseits Kurse zur psychischen Ersthilfe anbieten.
Aber was genau bringt diese Ausbildung und in weiterer Folge die Wissensvermittlung zu psychischer Ersthilfe an Laien und Patienten? Eine Metaanalyse von 18 Studien und 5.936 Teilnehmern konnte zeigen, dass MHFA zu einem besseren Verständnis über psychische Ersthilfe, zur Erhöhung der Absicht Hilfe zu leisten und zur Zuversicht, einer Person mit psychischen Problem wirklich helfen zu können, geführt hat. Außerdem kam es zu einer leichten Verbesserung der Stigmatisierung und des Glaubens an eine wirksame Behandlung. Die Autoren der Veröffentlichung stehen jedoch in Verbindung mit den Gründern des Programms.
Die Daten stützen sich auf internationale Studien – denn das lizensierte Programm hat seinen Ursprung in Australien. Dort wird es seit der Gründung im Jahr 2000 wissenschaftlich begleitet. Die erste Veröffentlichung mit Teilnehmern aus Deutschland würde noch dieses Jahr erwartet, so Naab.
Neben häufigen Erkrankungen wie etwa Depression wird in den MHFA-Kursen zudem Basiswissen zu weniger verbreiteten Erkrankungen wie Schizophrenie, aber auch zu noch immer sehr stigmatisierten Erkrankungen wie beispielsweise Suchterkrankungen vermittelt. „Wir wollen mit dieser Ausbildung – wie bei den körperlichen Erste-Hilfe-Kursen – keinen Druck aufbauen“, so Naab. „Man ist nach dem Kurs kein Diagnostiker, kein Arzt und auch kein Therapeut. Sondern es geht darum, die Hemmschwellen abzubauen, auf Betroffene zuzugehen und nicht wegzuschauen.“
„Wenn möglichst viele Menschen niederschwellig Zugang zu Wissen über psychologische Störungen bekommen […], dann werden Unsicherheiten reduziert und dann haben wir eine Chance, dass psychische Krankheiten genauso ernst genommen werden, wie körperliche“, konkludiert Naab. Denn, und das gilt bei psychischen wie bei körperlichen Notfällen: Alles ist besser, als nichts zu tun.
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