Etwa jede zweite Frau ist im Laufe ihres Lebens von einer Blasenentzündung betroffen. Die Therapie der Wahl: Antibiotika! Doch Resistenzen sind ein Problem. Welche Alternativen es gibt, lest ihr hier.
Blasenentzündungen sind nicht nur schmerzhaft und potenziell gefährlich, sondern stellen auch ein großes Dilemma für Ärzte dar. Da Antibiotikaresistenzen bei Harnwegsinfektionen weit verbreitet sind und ständig zunehmen, sind Ärzte oft gezwungen, blind Antibiotika zu verschreiben, ohne deren Wirksamkeit gegen den Erreger der Infektion zu kennen. Der Grund dafür ist, dass es mehrere Tage dauert, bis ein spezifischer Erreger mit konventioneller Diagnostik identifiziert werden kann.
Forschende der ETH Zürich haben nun in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Balgrist einen Schnelltest entwickelt, der die natürlichen viralen Fressfeinde der Bakterien, die Bakteriophagen, nutzt. Die Forscher haben die Phagen zudem gentechnisch so verändert, dass sie die krankheitserregenden Bakterien noch effizienter abtöten. Ihre Ergebnisse veröffentlichte das Team jetzt in Nature Communications.
Phagen sind hochspezialisierte Viren. Jede Phagen-Art infiziert nur eine bestimmte Art oder einen bestimmten Stamm von Bakterien. Diese einzigartige Eigenschaft machen sich nun ETH-Wissenschaftler der Forschungsgruppe Lebensmittelmikrobiologie um Prof. Martin Loessner zunutze. Die drei wichtigsten Bakterientypen, die bei Harnwegsinfektionen auftreten sind: Escherichia coli, Klebsiella und Enterococcus. In einem ersten Schritt wurden die Phagen identifiziert, die gegen diese Bakterien wirksam sind. Die natürlichen Phagen wurden dann so verändert, dass alle Bakterien, die sie erkennen und infizieren, dazu gebracht werden, ein einfach zu messendes Lichtsignal zu erzeugen.
Elektronenmikroskopische Aufnahme von Phagen, Credit: Matthew Dunne / ScopeM / ETH Zürich
Mit dieser Methode konnten die Forscher die krankheitserregenden Bakterien aus einer Urinprobe in weniger als vier Stunden zuverlässig nachweisen. Die Methode könnte es in Zukunft ermöglichen, sofort nach der Diagnose ein geeignetes Antibiotikum zu verschreiben und damit die Resistenzentwicklung zu minimieren und das Antibiotika-Management zu verbessern.
Die Methode hat noch einen weiteren Vorteil: Sie ermöglicht es Ärzten, vorherzusagen, welche Patienten besonders gut auf eine maßgeschneiderte Phagen-Therapie ansprechen werden, denn die Stärke des im Test erzeugten Lichtsignals zeigt bereits an, wie effizient die Phagen das Bakterium angreifen – je stärker die Probe leuchtet, desto besser wird das Bakterium auf die Therapie ansprechen.
Phagen-Therapien werden seit über 100 Jahren eingesetzt, gerieten aber mit der Entdeckung des Penicillins in den westlichen Industrieländern in Vergessenheit. Angesichts der zunehmenden Antibiotikaresistenzen erleben sie derzeit eine Renaissance. Sie haben zudem den entscheidenden Vorteil, dass sie – ähnlich wie ein Scharfschütze – nur ein einziges Zielbakterium angreifen.
Bisherige Therapieansätze haben jedoch ein Problem: „Phagen sind nicht daran interessiert, ihren Wirt, das pathogene Bakterium, vollständig abzutöten“, erklärt ETH-Forscher Samuel Kilcher, einer der beiden Endautoren der Studie. Um die Wirksamkeit der Phagen zu erhöhen, veränderten die Forscher sie gentechnisch. Die veränderten Phagen produzieren im infizierten Wirtsbakterium nicht nur neue Phagen, sondern auch Bakteriocine. Einmal freigesetzt, sind diese bakterientötenden Proteine besonders wirksam gegen Bakterienstämme, die Teile ihrer Oberfläche so verändert haben, dass Phagen sie nicht mehr erkennen. Dieser doppelte Angriff macht die Behandlung noch wirksamer.
In Einzelfällen, wie kürzlich bei der Rettung eines Lungenpatienten am Universitätsspital Genf, wurden Phagen-Therapien bereits erfolgreich experimentell eingesetzt. „Außerdem laufen weltweit zahlreiche akademische und kommerzielle klinische Studien, in denen das Potenzial natürlicher und genetisch optimierter Phagen systematisch untersucht wird“, sagt Matthew Dunne, einer der Endautoren der Studie. Bis zu einer breiteren Anwendung solcher Therapien in den westlichen Ländern ist es jedoch noch ein weiter Weg. Neben umfangreichen klinischen Studien wären auch regulatorische Anpassungen sinnvoll, die berücksichtigen, dass Phagen biologische Einheiten sind, die sich gemeinsam mit ihren bakteriellen Wirten entwickeln, d. h. sie entwickeln sich ständig weiter.
Die vorliegende Studie ist ein Proof-of-Concept. Als nächstes werden die ETH-Forscher zusammen mit ihren Partnern von der Uniklinik Balgrist die Wirksamkeit der neuen Phagen Therapie in einer klinischen Studie mit ausgewählten Patienten testen.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der ETH-Zürich. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: National Cancer Institute, Unsplash