Patienten schonen sich gern, wenn ihre Gelenke schmerzen. Bei Arthrose ist das aber alles andere als hilfreich. Wie ihr eure Patienten zu Bewegung motiviert, und was ihr sonst über die Gelenkerkrankung auf dem Schirm haben solltet, lest ihr hier.
In Deutschland werden jährlich rund 200.000 künstliche Hüftgelenke und fast genauso viele Kniegelenksprothesen eingesetzt. Das letzte Mittel der Wahl hat beim Gelenkverschleiß zwar eine hohe Erfolgsquote, aber „so weit muss es nicht kommen“, macht Prof. Oliver Tobolski in der DocCheck-CME-Veranstaltung „Arthrose – Kampf um die Gelenke“ deutlich. Der Facharzt für Chirurgie und Sportmedizin sagt: „Wir können viel tun, um den Krankheitsverlauf von arthrotisch veränderten Gelenken vorher positiv zu beeinflussen.“
Arthrose, also die degenerative Zerstörung des Gelenkknorpels, ist eine der häufigsten Gelenkerkrankungen, die insbesondere Ältere betrifft. Bei fast 50 % der über 65-Jährigen Frauen findet man arthrotisch veränderte Gelenke, bei Männern sind es knapp 30 %. Betroffen sind am häufigsten die Kniegelenke (Gonarthrose) und die Hüftgelenke (Coxarthrose). Als Ursachen kommen oft angeborene oder erworbene Funktionsstörungen in Frage, also Achsfehlstellungen (X- oder O-Bein) oder Hüftdysplasien. Auch Übergewicht und Überbelastung kann zum Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit des Gelenkknorpels führen. Die Folge ist ein gestörtes Gleichgewicht des Knorpelstoffwechsels und ein langsam fortschreitender Knorpelabbau. Nach Jahren entstehen so irreversible Schäden am Gelenk. „Eine einmal zerstörte Knorpelzelle kommt nicht wieder!", sagt Tobolski.
Durch den Abbau der Knorpelsubstanz kommt es zu einer Druckerhöhung im subchondralen Knochen, die zu Mikrofrakturen führen kann. Daraufhin bildet der Knochen Pseudozysten aus nekrotischem Knorpel- und Knochengewebe, die man als Geröllzysten bezeichnet. Um den erhöhten Druck auf den subchondralen Knochen aufzufangen, bilden sich am Gelenkrand Osteophyten aus.
Was also tun, wenn ein Patient mit schmerzend in Knien oder Hüfte in der Praxis aufläuft? Erste Hinweise, dass es sich um Arthrose handelt, geben die Symptome: Bei der Gonarthrose treten bei Belastung Schmerzen auf und die Beweglichkeit im Kniegelenk ist eingeschränkt. Die Beschwerden treten vor allem beim Abwärtsgehen bzw. Absteigen auf Treppen auf und können mit einem Instabilitätsgefühl im Knie einhergehen. Nach längerer Belastung schwillt das Knie an (Kniegelenkserguss) und der Patient beginnt zu Hinken. Bei der Coxarthrose hat der Patient meist Schmerzen in der Leiste, die in den Oberschenkel ausstrahlen. Auch hier ist die Beweglichkeit des Gelenks eingeschränkt.
Generell gilt laut Tobolski bei der Anamnese: „Keine Diagnose durch die Hose!“ Um mögliche Achsfehlstellungen oder geschwollene Gelenke sehen zu können, muss man sich die Patienten genau anschauen – und zwar unbekleidet. Bei einer schmerzenden Leiste, die oft auf eine Coxarthrose hindeutet, sollte man auch einen Blick auf Knie- und Sprunggelenk werfen, da eine kombinierte Arthrose nicht selten ist. Dann gilt es herauszufinden, wo das Hauptproblem liegt.
Anschließend folgt die Röntgenuntersuchung. „Das ist der Goldstandard“, meint Tobolski. „Nicht jede arthrotische Veränderung braucht ein MRT.“ In der radiologischen Untersuchung lassen sich verschiedene Arthrosezeichen erkennen, u.a.:
Anhand des Kellgren-Lawrence-Score lassen sich die Patienten so in Stadien von 0 bis 4 einteilen. Oft befinden sich die Patienten im Stadium 2 bis 3, wenn sie das erste Mal einen Arzt aufsuchen. Hier könne man noch viel machen, meint Tobolski. „Wenn wir Geröllzysten sehen, sind wir meist schon zu spät dran, um mit konservativen Maßnahmen noch etwas bewirken zu können.“ Wichtig ist aber auch zu wissen: Ein Patient mit akuten Schmerzen, aber ohne Befund im Röntgenbild, kann trotzdem Arthrose haben – nicht selten hängt das Röntgenbild dem klinischen Verlauf hinterher.
Ist die Erkrankung noch nicht so weit fortgeschritten, gilt es, den Patienten zu Bewegung zu motivieren. Denn: „Ein arthrotisches Gelenk braucht Muskulatur“, wie der Experte betont. Eine knorpelregeneriende Therapie gibt es nicht, daher muss man sich auf die Verlangsamung der Krankheitsprogression fokussieren. Die gelingt durch gezielte Kräftigung der gelenksumgebenden Muskulatur. Auch eine Gewichtsabnahme bei übergewichtigen Patienten kann die Gelenksbelastung verbessern und Schmerzen reduzieren. Wichtig ist, dass der Arzt mit seinem Patienten gemeinsam ein Konzept für Bewegung erarbeitet, denn nicht jeder Sport ist für jeden Patienten geeignet. Die Empfehlung kann vom Kauf eines Schrittzählers über Fahrradfahren bis hin zu gezielten Übungen im Fitnesstudio reichen. „Hauptsache, der Patient bewegt sich und bleibt dabei.“
Das Problem, das Ärzten in der Praxis aber oft begegnet: Die Patienten schonen sich aufgrund ihrer schmerzenden Gelenke. Hier dürfe man auch ruhig mal nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) verschreiben, um dem Patienten den Einstieg in die Bewegung wieder zu ermöglichen, stellt Tobolski klar. Physiotherapeutische Maßnahmen sind ebenfalls wichtig und sollten den Patienten dahin führen, die Übungen selbständig durchzuführen. Keinesfalls dürfe er sich aber allein darauf verlassen.
Immer mehr in den Fokus bei der Arthrose-Therapie rücken intraartikuläre Injektionen, etwa mit Hyaluronsäure oder plättchenreichem Plasma (PRP), die unter Orthopäden derzeit heiß diskutiert werden. Man müsse laut Tobolski allerdings festhalten: Auch damit kommt der einmal abgenutzte Knorpel nicht wieder zurück.
Sind alle konservativen Maßnahmen erschöpft, muss der Chirurg ran. Eine Gonarthrose ist allerdings keine Indikation zur Durchführung einer therapeutischen Arthroskopie, wie Tobolski betont. Eine Menisketomie und die Entfernung freier Gelenkkörper können aber sinnvoll sein. Generell gilt: Je höher der Grad der Schädigung, desto weniger sinnvoll sind Knorpelersatztechniken wie Mikrofrakturierung, Pridie-Bohrung oder autologe Knorpelzelltransplanation – dann hilft eher der Gelenkersatz bzw. die Prothese. Bei der Coxarthrose spielt die Gelenkerhaltung sowieso eher eine untergeordnete Rolle, meist bekommen die Patienten nach Ausschöpfung der konservativen Maßnahmen und hohem Leidensdruck einen Gelenksersatz (Hüft-TEP).
Abschließend macht Prof. Tobolski nochmals auf den Stellenwert von Bewegung sowohl bei der Prävention als auch Therapie von Arthrose aufmerksam: Es gilt, die Patienten dafür zu sensibilisieren, wie wichtig Sport für gesunde Gelenke ist. Man könne den Patienten zum Beispiel Radfahren als sanfte Sportart vorschlagen, das ließe sich meist leicht umsetzen. Prof. Tobolski: „Der Patient muss das wollen. Wenn er nicht mitarbeiten will, dann kann man ihm leider auch nicht helfen.“
Bildquelle: Thomas Verbruggen, unsplash