ARTHROSE-KLARTEXT | Darf man Patienten mit schmerzender Hüfte das Joggen empfehlen? Verhindern Bandagen den Muskelaufbau? Und wie sinnvoll sind orale Hyaluron-Präparate? Ihr habt gefragt, hier gibt’s die Antworten!
In der aktuellen Doccheck CME-Veranstaltung ging es um „Arthrose – Kampf um die Gelenke“. Im Live-Stream beantwortete unser Experte Prof. Oliver Tobolski eure Fragen rund um das Thema Arthrose – von Nahrungsergänzungsmitteln bis hin zu neuen Behandlungsmethoden. Was unser Experte dazu zu sagen hatte, lest ihr hier.
Eine Gewichtsreduktion ist ein ganz wichtiger Schlüssel. Jedes Kilo erhöht die Last auf ein normal-achsiges Knie um 15–20 %. Bei einem X- oder O-Bein ist der Effekt sogar noch stärker. Der Zielkorridor für Patienten sollte, meines Erachtens nach, beim BMI bei 27 liegen. Das ist nicht immer erreichbar, aber da freuen wir uns über jedes Kilo, was weniger auf das Knie wirkt.
Ich würde immer präferieren, dass ein Patient mehr Muskulatur hat, wenn er auch dadurch etwas schwerer wird. Gewichtsreduktion, bzw. Fettreduktion ist wichtig und gut, mir ist eine muskuläre Stabilisierung aber wichtiger. Die Rolle der Adipozyten auf die Arthrose ist noch nicht vollständig durchleuchtet. Wir wissen aber, dass die Adipozyten eine immense Auswirkung auf die Knorpelgesundheit haben. Deswegen ist die Reduktion der Fett-Masse sinnvoll, noch wichtiger ist es aber, Muskulatur aufzubauen.
Mit einer fortgeschrittenen Coxarthrose ist das Joggen kein schöner Sport. Da wäre Radfahren besser. Es muss ehrlich Beraten werden, dass es wahrscheinlich nicht lange dauert, bis aus einer Grad-3-Arthrose eine Grad-4-Arthrose wird. Ein Sportartwechsel kann also einer Prothese vorbeugen. Alle Rückschlagsportarten sind schlecht für arthrotische Veränderungen. Wenn der Patient keine ausgebrannten, arthritischen Veränderungen aufweist, in guter muskulärer Verfassung ist und keine Instabilität des Sprunggelenks hat, kann er auch weiterlaufen. Die Läufer können aber auch mal eine Walking-Einheit machen. Der Umstieg vom Joggen aufs Walken reduziert den Impact um fast 50 %.
In der Leitlinie für Gonarthrose Therapie ist das Chondroitinsulfat bereits aufgenommen worden. Ich bin ein großer Freund davon. Weniger sinnvoll empfinde ich Hyaluronsäure oral zu applizieren, da Bioverfügbarkeits-Messungen bereits zeigten, dass das Hyaluron nicht im Gelenk ankommt. Wenn sie indiziert ist, dann sollte die Hyaluronsäure direkt ins Gelenk injiziert werden. Das Chondroitinsulfat kann auch über Nahrungsergänzungsmittel in den Körper. Die Applikation sinnvoller Kollagen-Zubereitungen bei Tendinopathie und bei Arthrose ist nützlich. Die Industrie fängt gerade an, in den Bereichen nachzuarbeiten. Ich halte davon sehr viel.
Grob geschätzt sind 35 % der Patienten nicht zufrieden nach einer Knie-Prothese. Das liegt daran, dass wir eine große Fläche an Metall haben, die mit dem Gewebe darunter interagiert. Das ist bei der Hüfte nicht so. Das heißt Schmerzen nach Hüftprothesen sind ganz selten. Aber es gibt eben Menschen, die reagieren, Stichwort: Biofilm oder Ionen-Diffusion ins Gewebe und das sind die Patienten, die uns Sorgen machen. Ich möchte nach jeder OP im Kniegelenk, dass der Patient aus dem OP rauskommt und innerhalb der ersten vier Wochen auf 90° Beugung kommt. Wenn er das nicht schafft, dann müssen wir mit ganz viel Energie dafür sorgen, dass der Rehabilitationsprozess optimiert wird. Diese Schmerzen sind sehr ernst zu nehmen. Deswegen möchte ich Patienten, die nach der Knie-TEP Schmerzen haben, auch sehr engmaschig sehen, damit wir frühzeitig eingreifen können. Damit meine ich nicht, dass das nicht in die Hände der Hausärzte gehört, aber Patienten sollten frühzeitig zurück zum Operateur oder Orthopäden überwiesen werden. Das, was wir in den ersten vier bis sechs Wochen nicht aufgeholt haben, das hängt uns hinten unglaublich lange hinterher.
Nein, es gibt keine einzige Studie die uns beweist, dass das Anpassen einer Orthese zu einem Rückgang von Muskeln kommt. Eine Strick-Bandage sorgt dafür, dass das Gelenk etwas komprimiert wird und dass so die neuro-muskuläre Aktivierung etwas hochgesetzt wird. Länger als 90–120 Minuten muss die Bandage nicht getragen werden. In dieser Zeit hat das Gelenk eine Habachtstellung und kann vielleicht etwas fokussierter arbeiten. Zum Sport kann eine solche Bandage definitiv genutzt werden. Nachts sollte diese aber nicht getragen werden und auch nicht den ganzen Tag. Eine Orthese ist was ganz anderes. Mit Rahmen-Orthesen können Bewegungs-Limitierungen eingestellt werden, z. B. bei einem Kreuzbandschaden. Damit wird die Translations-Instabilität eingedämmt.
Unstrittig ist, dass der Puffer-Absatz die Stoßbelastung reduziert. Der Puffer wird in den Absatz eingebracht, um die Stoßkräfte zu reduzieren. Das muss natürlich eine gewisse Aufbauhöhe haben, um effektiv zu sein. Es gibt eine Einlage, die individualisiert ist, die eine Rückfuß-Stabilisierung herbeiführt. Diese hat einen engmaschigen Indikationsbereich. Grundsätzlich sollte eine Einlage an den Fuß angepasst werden. Sie haben immense Auswirkungen auf Spreizfuß, Knickfuß, etc. aber wenig Auswirkungen auf Knie oder Hüftarthrose.
Ich persönlich mache keine Akupunktur, glaube aber daran und ich gebe es gerne in die Hände derjenigen, die es können. Ich habe nur gute Erfahrungen damit gemacht. Eine Studie aus 2003 hat dazu geführt, dass die Akupunktur von Kassen übernommen wird. Iin den Händen eines erfahrenen Behandler ist es aus meiner Sicht sehr sinnvoll. Wenn es nicht funktioniert, ist das nicht schlimm, dann ist nichts passiert. Der Patient hat keine Invasivität über sich ergehen lassen. Deswegen ist eine Empfehlung für die Akupunktur ein Bestandteil bei uns.
Ich bin ein großer Fan vom Kinesio-Taping. Ein arthrotisch verändertes Knie, das ein gewisses Streck-Defizit und eine Schwellneigung hat profitiert von einer Hyaluronsäure-Therapie, von Akkupunktur, von einer Laser-Therapie, von einer radialen Stoßwelle zur Kniegelenk übergreifenden Strukturen und von einem Kniesio-Tape. Das ist für mich multifaktoriell und gehört dazu. Nur weil wir keine Studien haben, die das beweisen, glaube ich trotzdem nicht, dass es nicht hilft. Wir können uns uns herleiten wie auf Ebene der Faszien, Schichten verschoben werden. Ein Thema der Arthrose ist eben nicht nur die Erkrankung des Knorpels, sondern auch der Kapsel-Bandstrukturen. Eine positive Auswirkung auf diese Strukturen durch Kinesio-Tape sind immens. Der Patient leidet gar nicht so sehr unter der Knorpeldegeneration, sondern unter den Verkürzungen der Gelenk übergreifenden Strukturen, der Muskulatur und der Faszien.
Aktuell ist es noch sehr schwierig, weil die gesetzliche Situation noch nicht viel zulässt. Aber ich glaube, die Potenz der Stammzellen wird immer mehr in den Vordergrund kommen. Eine nicht differenzierte Stammzelle erkennt durch Chemotaxis in der Struktur, in der sie angekommen ist, zu was sie sich spezifizieren muss. Irgendwann wird kommen, dass wir Stammzellen in chondrale Defekte applizieren und die Zellen erkennen, dass sie zu Knorpel werden müssen. Wenn das kommt, sind wir im neuen Jahrtausend der orthopädischen Therapien angekommen.
Bildquelle: DocCheck