Die neuen Abnehm-Spritzen kommen mit vielen Nebenwirkungen daher – sie können auch die Psyche betreffen. Was ihr bei euren Patienten im Blick haben solltet, lest ihr hier.
Seit Anfang Juli 2023 prüft der Sicherheitsausschuss der EMA Daten zum Risiko von Suizidgedanken und Gedanken an Selbstverletzung in Zusammenhang mit den GLP-1-Rezeptor-Agonisten Semaglutid sowie Liraglutid. Die Untersuchung wurde durch die isländische Arzneimittelbehörde veranlasst.
Bisher liegen der Behörde 150 Berichte über mögliche Fälle vor, die aktuell analysiert werden. Ein Ende der Untersuchungen wird für November diesen Jahres erwartet. Die Überprüfung wird laut der EMA im Rahmen eines sogenannten Signalverfahrens durchgeführt. Ein Signal ist eine Information über ein neues unerwünschtes Ereignis, das in Zusammenhang mit einem Arzneimittel beobachtet wurde. Es bedeutet nicht, dass wirklich ein Kausalzusammenhang zwischen dem Medikament und dem unerwünschten Ereignis besteht. Es wird nun untersucht, ob die gemeldeten Fälle mit den GLP-1-Rezeptor Agonisten selbst, oder mit den Grunderkrankungen der Patienten oder anderen Faktoren zusammenhängen.
Die GLP-1-Rezeptor-Agonisten haben in den letzten Jahren vor allem wegen ihrer gewichtsreduzierenden Wirkung große Bekanntheit auch in der Laienpresse und sozialen Medien erlangt. Liraglutid (Saxenda®) ist für diese Indikation bereits seit 2015 zugelassen. Semaglutid war bisher unter dem Handelsnamen Ozempic® der Behandlung von Diabetes vorbehalten und wurde zur Gewichtsreduktion nur Off-Label eingesetzt. Dadurch kam es zu Lieferengpässen und in der Folge Kritik an solchen Verschreibungen. Seit Kurzem ist der Wirkstoff Semaglutid mit der Indikation der Gewichtsreduktion unter dem Namen Wegovy® auf dem Markt. Es kann zusammen mit einer Diät und körperlicher Aktivität angewendet werden, wenn ein BMI über 30 kg/m² oder ein BMI größer 27 kg/m² in Kombination mit gewichtsbedingten Gesundheitsproblemen wie zum Beispiel Diabetes, Bluthochdruck oder einem OSAS vorliegt. Es kann auch bei Jugendlichen über 12 Jahren mit einem BMI über der 95. Perzentile eingesetzt werden.
In der ersten Zulassungsstudie, an der 1.961 Personen teilnahmen, verloren die mit Wegovy® behandelten Personen nach 68 Wochen durchschnittlich 15 % ihres Körpergewichts – im Vergleich zu 2 % Gewichtsverlust bei Behandelten im Placeboarm. Außerdem gelang es 84 % der Personen in der Wegovy®-Gruppe, mindestens 5 % ihres Gewichts abzunehmen vs. 31 % in der Placebo-Gruppe. Diese gewichtsreduzierenden Effekte können allerdings nur aufrechterhalten werden, wenn das Medikament dauerhaft angewendet wird. Das zeigt die dritten Studie, bei der 902 Personen teilnahmen. Zunächst erhielten alle Teilnehmer 20 Wochen lang Wegovy®. Anschließend wurde bei einigen die Einnahme beendet und sie erhielten stattdessen ein Placebo. Nach weiteren 48 Wochen hatten diejenigen, die Wegovy® weiterhin einnahmen, weitere 8 % ihres Körpergewichts verloren, während diejenigen, die ein Placebo einnahmen, 7 % ihres Körpergewichts wieder zugenommen hatten.
Sehr häufige Nebenwirkungen von Wegovy® (> 1 von 10 Behandelten) sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Obstipation und abdominelle Schmerzen. Ferner verweist der Hersteller Novo Nordisk auf seiner Website auf das mögliche Risiko von medullären Schilddrüsenkarzinomen unter der Einnahme. Diese traten bei Nagetieren unter einer Verabreichung von Semaglutid gehäuft auf und hingen in ihrer Häufigkeit sowohl von der Dosis, als auch der Anwendungsdauer ab. Ob ein erhöhtes Risiko auch für Menschen besteht, ist bisher unklar. Dennoch rät der Hersteller von einer Behandlung bei Patienten mit erhöhtem Risiko ab. Weitere schwere mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind unter anderem: akute Pankreatitis, akute Cholezystitis und Cholelithiasis (insbesondere bei Jugendlichen), Hypoglykämien (insbesondere in Kombination mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin), akutes Nierenversagen und eine Zunahme der Herzfrequenz.
Auf der englischsprachigen Website weist Novo Nordisk zudem darauf hin, dass suizidales Verhalten in klinischen Studien mit anderen Gewichtsmanagement-Produkten berichtet worden seien. Möglicherweise ist damit Liraglutid gemeint, das ebenfalls von Novo Nordisk unter dem Handelsnamen Saxenda® vertrieben wird. Für Saxenda lag der Anteil an Behandelten mit Suizidgedanken laut Novo Nordisk bei 0,3 % im Vergleich zu 0,1 % in der Placebogruppe. Innerhalb einer pädiatrischen Studie mit 125 Personen im Verum-Arm kam es zu einem Suizid unter den Behandelten.
Zwar gab es laut Herstellerangaben keine Belege für einen Kausalzusammenhang, dennoch ist auf der Website von Novo Nordisk folgender Warnhinweis zu finden: „Überwachen Sie Ihre Patienten auf Depression, Suizidgedanken oder -verhalten und/oder ungewöhnliche Veränderungen der Stimmung oder des Verhaltens. Setzen Sie Wegovy® bei Patienten mit Selbstmordgedanken oder -verhalten ab und vermeiden Sie die Einnahme bei Patienten mit Selbstmordversuchen oder aktiven Selbstmordgedanken in der Vergangenheit.“
Bisher ist die Suizidalität in der EU-Produktinformation für keinen GLP-1-Rezeptor-Agonisten als Nebenwirkung aufgeführt. Die EMA rät jedoch – wie bei allen Arzneimitteln – auch GLP-1-Rezeptor-Agonisten nur gemäß der zugelassenen Produktinformation anzuwenden und hält Patienten und Angehörige der Gesundheitsberufe dazu an, vermutete Nebenwirkungen zu melden.
Bildquelle: Joel Filipe, Unsplash