Trockene Augen können zu starken Beschwerden führen. Herkömmliche Augentropfen schaffen oft keine Abhilfe – wie schlagen sich künstliche Tränen im Vergleich?
Tränen sind eine komplexe Flüssigkeit, die unter anderem Lipide, Kohlenhydrate, Proteine, Salz und Wasser enthalten. Sie reinigen die Bindehaut des Auges von Fremdkörpern, befeuchtet und ernähren die Hornhaut des Auges (Cornea), können Unebenheiten ausgleichen und so die Sehfähigkeit verbessern. Weiterhin enthalten sie Immunglobuline wie Albumin und Globulin, die vor Krankheitserregern schützen.
Vor allem bei Menschen im höheren Lebensalter wird häufig zu wenig Tränenflüssigkeit produziert. Manche Betroffenen haben dadurch keine Beschwerden, andere leiden jedoch unter einem Trockenheits- oder Fremdkörpergefühl im Auge oder roten und brennenden Augen. Man spricht auch vom Syndrom des trockenen Auges (Dry Eye Disease, DED). Auch durch trockene Heizungsluft, Kontaktlinsen, Rauch, Wind oder bei Erkrankungen wie Diabetes kann es zu trockenen Augen kommen. Häufig werden dann künstliche Tränen in Form von Augentropfen oder Gels eingesetzt, die Hyaluronsäure enthalten. Sie sollen die fehlende Tränenflüssigkeit ergänzen und so die Beschwerden lindern. Allerdings ist die Zusammensetzung menschlicher Tränen deutlich komplexer als die künstlicher Tränen, die aus deutlich weniger Inhaltsstoffen bestehen.
Nun hat ein spanisches Forscherteam vom Instituto de la Estructura de la Materia (IEM) in Madrid und weiteren Instituten menschliche Tränen von gesunden Personen und 10 verschiedene Rezepturen künstlicher Tränen mit dem Hauptbestandteil Hyaluronsäure untersucht. Ziel ihrer Forschung ist, möglichst geeignete Augentropfen zur Behandlung des DED und anderer Augenerkrankungen zu entwickeln. Die Ergebnisse ihrer Studie sind jetzt in der Fachzeitschrift Physics of Fluids erschienen.
In der Studie ging es darum, die Bewegungseigenschaften von mikrometergroßen Partikeln in den verschiedenen Flüssigkeiten, wie Viskosität, Elastizität und Stabilität genauer zu verstehen. Weiterhin untersuchten die Forscher das Verhalten der Flüssigkeiten bei physikalischer Belastung, die etwa beim Blinzeln entsteht. Für ihre Untersuchungen kombinierten sie die so genannte dynamische Licht-Streuung (Dynamic Light Scattering, DLS) mit Methoden der Mikro-Rheologie. Bei der DLS wird gemessen, wie Licht die in Flüssigkeiten aufgelösten Partikel reflektiert, um so die Eigenschaften und das Verhalten der Partikel genauer zu bestimmen. Unter Rheologie versteht man die Wissenschaft, die sich mit dem Verformungs- und Fließverhalten von Materie beschäftigt. Mithilfe dieser Methoden konnten die Wissenschaftler die Auswirkungen verschiedener Konzentrationen der Bestandteile in den Flüssigkeiten genauer verstehen.
„Künstliche Tränen sollten eine Reihe von Eigenschaften erfüllen, um das Syndrom des trockenen Auges wirksam zu lindern und auch bei anderen Augenkrankheiten effektiv wirksam zu sein“, erläutert Dr. Juan F. Vega, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IEM und Erstautor der Studie. „Sie sollten längere Zeit auf der Augenoberfläche verbleiben, so dass die Feuchtigkeit längere Zeit erhalten bleibt. Dafür ist zum einen die Viskosität wichtig: Sie sorgt für eine gute Verteilung der Flüssigkeit im Auge und verlängert die Zeit, die sie auf der Augenoberfläche bleibt. Weiterhin sind Bestandteile, die die Lipidschicht stabilisieren und stärken, wichtig, da diese das Verdunsten von Flüssigkeit reduziert. Darüber hinaus sollten die Substanzen gut verträglich sein – was jedoch nicht Gegenstand der aktuellen Untersuchung war.“
Bei ihren Analysen stellten die Wissenschaftler fest, dass die visko-elastischen Eigenschaften künstlicher Tränen mit der Konzentration und der makromolekularen Größe der Hyaluronsäure-Partikel zusammenhängen. Dabei war die Viskosität künstlicher Tränen mit einem Hyaluronsäuregehalt von 0,1 Prozent am ehesten mit der Viskosität menschlicher Tränen vergleichbar.
Allerdings erreichte keine der Rezepturen künstlicher Tränen das Verhältnis von Viskosität zu Relaxationszeit, das bei menschlichen Tränen beobachtet wurde. „Mit Relaxationszeit ist die Zeit gemeint, die eine Flüssigkeit braucht, um nach einer Störung in ihren ursprünglichen Zustand zurückzukehren – im Fall von Tränenflüssigkeit zum Beispiel nach Blinzeln oder anderen mechanischen Störungen“, erläutert Vega. „Unsere Ergebnisse bedeuten, dass künstliche Tränen nicht die gleichen Fließeigenschaften und die gleiche [Relaxationszeit] haben wie menschliche Tränen.“ So bleiben menschliche Tränen länger auf der Augenoberfläche, befeuchten sie somit besser und schützen besser vor Störfaktoren wie Fremdkörpern im Auge oder Krankheitserregern.
„Ziel unserer Studien ist zum einen, die Eigenschaften mikrobiologischer Flüssigkeiten besser zu verstehen“, sagt Vega. „Weiterhin könnten die Ergebnisse dazu beitragen, Flüssigkeiten mit spezifischen, gewünschten Eigenschaften zu entwickeln.“ So könnten letztlich möglichst wirksame, individuell auf eine Person zugeschnittene künstliche Tränen entwickelt werden. „Das Syndrom des trockenen Auges kann verschiedenen Ursachen haben, etwa Veränderungen in der Stabilität des Tränenfilms oder Störungen im Aufbau der Lipidschicht“, erläutert der Forscher. „Künstliche Tränen könnten an die Ursache sowie an den Schweregrad der Beschwerden angepasst werden, um ein möglichst hohes Wohlbefinden der Betroffenen zu erreichen.“
Die verwendete Methodik könnte auch dazu beitragen, individuell angepasste Augentropfen für eine Reihe anderer Augenkrankheiten zu entwickeln. „Das könnten zum Beispiel ein Glaukom, eine allergische, bakteriell oder viral bedingte Bindehautentzündung (Konjunktivitis), Hornhauterkrankungen oder ein Keratokonus – eine fortschreitende Ausdünnung und Vorwölbung der Hornhaut des Auges – sein“, so der Wissenschaftler. „In diesen Fällen würden die Augentropfen spezifische Wirkstoffe gegen die jeweilige Augenerkrankung enthalten, etwa augeninnendrucksenkende Substanzen, Antihistamine, Antibiotika oder antimikrobielle Wirkstoffe.“
Wie möglichst geeignete künstlichen Tränen aussehen müssten, wissen die Forscher bisher noch nicht. „Vermutlich sollten sie visko-elastische Eigenschaften haben, die denen natürlicher Tränen möglichst ähnlich sind – also eine ähnliche Stabilität, Befeuchtungsfähigkeit und Schmierfähigkeit“, sagt Vega. „Wir nehmen an, dass die günstigen Eigenschaften menschlicher Tränen auf ihrer extrem komplexen Zusammensetzung beruhen.“ Daher plant das Forscherteam, in weiteren Studien komplexere Rezepturen künstlicher Tränen zu untersuchen – etwa, um herauszufinden, wie ein möglichst langes Verbleiben auf der Hornhaut erreicht werden kann. Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler menschliche Tränenflüssigkeit und ihre Veränderungen bei verschiedenen Augenerkrankungen untersuchen.
Neben der Augenheilkunde könnten mikro-rheologische Untersuchungen in vielen anderen medizinischen Bereichen nützlich sein, um das Verständnis visko-elastischer Eigenschaften von pharmazeutischen Substanzen zu verbessern. „Das könnten Emulsionen, Suspensionen oder Cremes sein“, erläutert Vega. „Auch Transporter von Arzneimittelverabreichungssystemen (Targeted Drug Delivery Systems) wie Liposome oder Nanopartikel oder proteinbasierte Medikamente wie monoklonale Antikörper oder Impfstoffe könnten Gegenstand der Untersuchungen sein.“
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