Die Zulassung von Psilocybin und MDMA wird heftig diskutiert. Die Psychedelika sollen bei psychischen Erkrankungen zum Einsatz kommen – aber reicht die Evidenz für einen solchen Schritt?
Seit dem 1. Juli sind die Psychedelika MDMA und Psilocybin von der Therapeutic Goods Administration (TGA) in Australien als Medikamente zugelassen. MDMA, kurz für 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin, ist auch als die Partydroge Ecstasy bekannt. Nun soll es innerhalb einer Psychotherapie bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) helfen. Psilocybin, das in halluzinogenen „Zauberpilzen“ gefunden wird, darf bei behandlungsresistenter Depression eingesetzt werden, ebenfalls psychotherapeutisch begleitet. Damit ist Australien eines der ersten Länder, die diese Psychedelika von verbotenen Substanzen zu kontrollierten Medikamenten erheben.
Australische Forscher sind überrascht, teils auch empört: 2020 hatte die TGA einen entsprechenden Antrag von Mind Medicine Australia (MMA) noch abgelehnt. Diese eingetragene Charity-Organisation hat es sich auf die Fahne geschrieben, Psilocybin und MDMA als klinische Behandlungen für psychische Erkrankungen zu etablieren. Um der darauffolgenden Kritik zu begegnen, gab die TGA einen unabhängigen Bericht in Auftrag, der die Risiken und Vorteile der Psychedelika abwägen sollte. Das Ergebnis: Auch wenn beide Substanzen in bestimmten Personengruppen vielversprechende Resultate lieferten, war die Evidenz bisher sehr unsicher und die Studienlage nicht ausreichend für klare Antworten. Somit blieb die TGA bei ihrer Entscheidung gegen eine Zulassung – bis sie sich im Februar 2023 plötzlich umentschied.
Die abrupte Kehrtwende wunderte viele Forscher, darunter Steve Kisley, Psychiater und Psychologieprofessor an der University of Queensland, der am Bericht für die TGA mitgearbeitet hatte. Er plädierte darin deutlich für das Abwarten weiterer, qualitativ hochwertigerer Studien. Auch der Mannheimer Experte für Psychedelika, Gerhard Gründer, hätte Psilocybin nicht für eine Zulassung vorgeschlagen: „Die Datenlage ist nach den üblichen Standards nicht ausreichend.“ Er leitet eine klinische Studie (EPIsoDE) zur besseren Erforschung von Psilocybin bei Depression, die helfen soll, diese Lücke zu füllen. Anders sehe es bei MDMA aus: „Hier sind die Daten so überzeugend, dass die amerikanische Food and Drug Administration, FDA, die Substanz wohl schon 2024 zulassen könnte.“
Andere australische Forscher um die Neuropsychologin Susan Rossell bemängeln, dass sie gar nicht erst gefragt wurden. Hinter der plötzlichen Gesinnungsänderung der TGA vermuten sie die Lobbyarbeit der MMA. Laut Kisley flossen zudem rund 3.500 Einsendungen in die Entscheidung ein, die größtenteils Einzelmeinungen statt fundierter Informationen von Experten seien.
Die TGA verteidigte ihre Vorgehensweise, indem sie auf die strengen Richtlinien hinwies. „Wir erwarten keine ausgedehnten Verschreibungen von MDMA oder Psilocybin, da die Behandlung auf diejenigen mit bestimmten psychischen Erkrankungen begrenzt ist, die gegen zugelassene Behandlungen resistent sind“, heißt es in einer Meldung vom 3. Juli. „Psychiater werden weiterhin zunächst Behandlungen mit zugelassenen Medikamenten in Erwägung ziehen, die im Australian Register of Therapeutic Goods (ARTG) beinhaltet sind.“ Die Behörde betonte zudem, dass nur dazu autorisierte Psychiater eine solche Behandlung anbieten dürfen.
Das könnte wiederum zu logistischen Problemen führen: Woher kommen die autorisierten Psychiater, wer bildet sie aus und wie? Rossell und ihre Kollegen bemängeln, dass es keine klaren Informationen über die Voraussetzungen gibt. Denn selbst ausgebildete Psychotherapeuten kennen sich nicht notwendigerweise mit Psychedelika-Behandlungen aus. Derzeit gebe es nur eine sehr begrenzte Anzahl von qualifizierten Personen in Australien und es brauche Zeit, um entsprechende Programme zu entwickeln und umzusetzen. Interessant dabei: Die MMA bietet selbst ein zertifiziertes Ausbildungsprogramm für psychedelisch-begleitete Therapien an – was die Ärztin Hester Wilson als Zeichen sieht, dass die Lobbyorganisation sozusagen die Aufsicht über die Verwendung von MDMA und Psilocybin an sich ziehen möchte.
Außerdem: Wenn nur wenige Psychotherapeuten die Behandlungen anbieten, könnte es nicht nur zu zeitlichen Engpässen kommen. „Die Therapie wird so teuer sein, dass nur besonders betuchte Patienten sich diese leisten können“, sagt Gründer. Klinische Studien hingegen seien grundsätzlich jeder Person zugänglich, unabhängig vom sozioökonomischen Status – ein Argument dafür, Psychedelika sehr konservativ zu beurteilen, statt sie so schnell wie möglich zuzulassen. Auch die Medikamente selbst drücken den Preis möglicherweise in die Höhe, denn häufig werden vor allem patentierte Substanzen getestet, die dann entsprechend teuer verkauft werden könnten.
Mit Blick auf die unsichere wissenschaftliche Beweislage berufen sich Befürworter auf die relativ seltenen oder geringen Nebenwirkungen. Diese wurden allerdings in kontrollierten Studien festgestellt, in denen dafür ausgebildete Fachleute die psychedelischen Erlebnisse begleiteten. Kisley, Rossell und andere befürchten, dass manche Patienten ernsthaft zu Schaden kommen könnten, wenn Psychotherapeuten ohne Erfahrungen die Wirkstoffe einsetzen.
Trotz all dieser Bedenken ist die Entscheidung der TGA gefallen. Bleibt abzuwarten, wie sich die Situation entwickelt. Immerhin geben manche Studien Grund zur Hoffnung, dass sie – richtig eingesetzt – tatsächlich Menschen mit PTBS und Depression helfen können. Dass die australischen Entwicklungen sich auf Deutschland oder Europa auswirken werden, hält Gründer für unwahrscheinlich: „Hier gibt es zwar auch erheblichen Druck von Lobbygruppen, aber nach meiner Einschätzung werden hier die Behörden auf der Einhaltung der Regeln der Arzneimittelprüfung beharren.“ Schon, wenn er die hitzigen Diskussionen um die Legalisierung von Cannabis betrachte, sei für ihn kaum vorstellbar, dass die weit wirkmächtigeren Psychedelika kurzfristig einem breiteren Therapeutenkreis zur Verfügung stehen könnten.
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