Vor allem Jungen entwickelten während der COVID-19-Pandemie häufiger Typ-2-Diabetes. Einer aktuellen Studie zufolge haben womöglich Maßnahmen wie Schulschließungen und Sportverbote eine wichtige Rolle gespielt.
Während der ersten beiden Jahre der COVID-19-Pandemie ist es zu einem Anstieg von Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland gekommen, der im zweiten Pandemiejahr sogar signifikant war. Besonders betroffen waren Jungen. Dies zeigen Ulmer Forscher aus der Epidemiologie und der Kinder- und Jugendmedizin in einer neuen Studie, in der sie Daten einer der weltgrößten Patienten-Datenbanken für Diabetes ausgewertet haben. Den Wissenschaftlern erscheint es naheliegend, dass Corona-Maßnahmen wie Schulschließungen und ein Verbot des Freizeitsports dabei möglicherweise eine wichtige Rolle gespielt haben. Erschienen ist die Studie in der renommierten Fachzeitschrift Diabetes Care.
Untersucht haben die Forscher Angaben in der Ulmer DPV-Datenbank. Aufgrund ihrer großen Abdeckung im Kindes- und Jugendalter erlaubt sie Analysen, die auf die ganze Bevölkerung rückschließen lassen. „Wir konnten feststellen, dass das Auftreten von Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen 2021, also im zweiten Jahr der COVID-19-Pandemie, in Deutschland signifikant angestiegen ist und mehr als 40 % oberhalb des Erwartungswertes lag“, sagt Erstautor Dr. Christian Denzer, Oberarzt der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Uniklinik Ulm. Dr. Nicole Prinz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Epidemiologie und Medizinische Biometrie der Uni Ulm und Koordinatorin der Studie, fügt hinzu: „Bereits vor der Pandemie bestand der Trend zu steigenden Typ-2-Diabetes-Erkrankungen bei männlichen Jugendlichen. 2021 hat sich das Geschlechterverhältnis in Deutschland erstmals sogar umgekehrt und es erkrankten mehr Jungen als Mädchen.“
Die zugrundeliegenden Ursachen für dieses Phänomen sind noch unklar und sollten weiter erforscht werden. Neben klassischen Risikofaktoren wie Gewichtszunahme oder weniger körperlicher Aktivität, die durch Pandemiemaßnahmen noch verstärkt wurden, erscheinen auch direkte und indirekte Effekte einer SARS-CoV-2-Infektion denkbar. „Eine Möglichkeit ist, dass Diabetes als Komplikation einer akuten SARS-CoV-2-Infektion auftreten kann. Zudem zeigen neue Studiendaten, dass das Risiko für Diabetes auch in der postakuten Phase der Erkrankung bei erwachsenen und jungen Patientinnen und Patienten erhöht sein könnte“, so Denzer.
Die beobachtete Inzidenz von Typ-2-Diabetes bei Jugendlichen im Jahr 2021 in Deutschland übersteigt die prognostizierte Inzidenz um mehr als 40 Prozent. Credit: Denzer et al.
Letztlich überraschte es die Wissenschaftler, wie unmittelbar deutlich die Zunahme gegenüber den Erwartungswerten auftrat: mit einer über 40 Prozent höheren Inzidenz im Kindes- und Jugendalter sowie einer 55 Prozent höheren Inzidenz bei Jungen. „Interessanterweise war das Ausmaß des Übergewichtes bei neudiagnostizierten Patienten nicht ausgeprägter als im präpandemischen Beobachtungszeitraum. Es liegt also nahe, dass insbesondere ein Mangel an körperlicher Aktivität und somit eine Verstärkung der Insulinresistenz eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Typ-2-Diabetes gespielt haben könnte“, erklärt Prinz. Weitere Beobachtungen (Häufigkeit der diabetischen Ketoazidose und des HbA1c-Wertes bei Manifestation) zeigten außerdem, dass sich die Dauer bis zur Diagnosestellung des Typ-2-Diabetes während der Pandemie wahrscheinlich nicht verlängert hat.
Als erstes Fazit ihrer Studie zu Typ-2-Diabetes im Kinder- und Jugendalter fordern die Autoren, die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und die getroffenen Pandemie-Maßnahmen auf Kinder und Jugendliche intensiv zu untersuchen und kritisch zu bewerten. „Nur so könnten neue Strategien entwickelt werden, die helfen, vergleichbare Herausforderungen für das Gesundheitssystem – wie eine erneute Pandemie – besser zu bewältigen“, so die Wissenschaftler.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Ulm. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Christophe Hautier, Unsplash