Feinstaub könnte für weltweit steigende Antibiotikaresistenzen mitverantwortlich sein. Das ist zumindest das Ergebnis einer aktuellen Studie – doch die wird heftig kritisiert.
Feinstaub in der Luft könnte das Problem der Antibiotikaresistenz verschlimmern. Darauf deutet zumindest eine aktuelle Studie hin, die in The Lancet Planetary Health erschienen ist. Die Forscher haben Daten aus 116 Ländern zwischen 2000 und 2018 gesammelt und wollten wissen, ob es eine Verbindung zwischen winzigen Staubpartikeln mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern (PM 2,5) in der Luft und Antibiotikaresistenz gibt.
Aber wie kommen sie überhaupt zu einem möglichen Zusammenhang zwischen zwei scheinbar so unterschiedlichen Phänomenen? Der Hintergrund: Antibiotikaresistente Bakterien und ihre resistenten Gene können sich nicht nur über Nahrung, Wasser oder direkten Kontakt mit infizierten Tieren oder Menschen verbreiten. Sie können sich auch an kleinste Staubpartikel heften und sich so durch die Luft tragen lassen.
Laut der Forscher zeigt ihre Analyse einen klaren Zusammenhang zwischen Feinstaub und Antibiotikaresistenz. Je mehr Feinstaub in der Luft herumfliegt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich resistente Bakterien ausbreiten. Sie zeigten zum Beispiel, dass ein Anstieg der Feinstaubbelastung um 1 % mit einem Anstieg resistenter Klebsiella-pneumoniae-Bakterien um 1,5 % verbunden war. Die weltweite zunehmenden Antibiotikaresistenzen könnten insgesamt zu über 43.000 vorzeitigen Todesfällen führen. Je nach Region und Bakterium unterschieden sich die Ergebnisse allerdings stark. Die Regionen mit der niedrigsten auf PM 2,5 zurückzuführenden Veränderung der Antibiotikaresistenz sind Nordamerika und Europa.
Natürlich haben es sich die Wissenschaftler nicht nehmen lassen, auch ein paar alarmierende Szenarien zu modellieren: Wenn die weltweite Luftverschmutzung zunimmt und nichts dagegen unternommen wird, so die Autoren, könnte die Antibiotikaresistenz bis 2050 um ganze 17 % ansteigen. Sollten wir es aber schaffen, die Luftqualität zu verbessern und den von der WHO empfohlenen Grenzwert von 5 Mikrogramm pro Kubikmeter PM 2,5 einzuhalten, ließe sich die Antibiotikaresistenz bis 2050 um schätzungsweise 16,8 % reduzieren.
Die Studie ruft reichlich Kritik hervor. So meint Prof. Martin Göttlicher, Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie vom Helmholtz Zentrum München, man dürfe nicht die Gesamtmenge PM 2,5 mit Antibiotikaresistenzen tragendem Feinstaub PM 2,5 gleichsetzen. „Bei uns ist PM 2,5 im Wesentlichen durch Verbrennungsprozesse und Straßenverkehr getrieben – aus diesen Quellen kommen offensichtlich keine Antibiotikaresistenzen her.“
Das könnte ein Unterschied zu Regionen der Welt sein, die anders mit Abwässern und Abluft aus Haushalt, Viehzucht, Krankenhaus und Landwirtschaft – ebenfalls bekannte Feinstaubquellen – umgehen, so Prof. Göttlicher. Würde man die Studienergebnisse ohne Erklärung lesen, dann könne man aber auch hineininterpretieren, dass Dieselfahrverbote gegen Antibiotikaresistenzen und schwere Infektionskrankheiten helfen würden. „Und das wäre grober Unfug.“
Prof. Nino Künzli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut Basel, geht sogar noch einen Schritt weiter und spricht von „kühner Zahlenakrobatik“: „Die Verwendung von geografischen Korrelationen als Ersatz für nicht vorhandene Kausalzusammenhänge ist wissenschaftlich unsinnig.“ Der Forscher, der selbst jahrelang zu Feinstaub geforscht hat, erklärt, die Studie hätte so gar nicht veröffentlicht werden dürfen.
Etwas versöhnlicher gibt sich Prof. Hans-Peter Hutter, Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. Er sagt: „Die Auswirkungen der Schadstoffbelastung allein – vor allem jene durch Feinstaub – auf die Sterblichkeit und Krankheitslast sind ja hinlänglich erwiesen.“
Ob Feinstaub nun ein Treiber von Antibiotikaresistenzen ist oder nicht, sei weniger wichtig als auf den massiven Handlungsbedarf hinzuweisen. Der EU-Grenzwert für PM 2,5 sei z. B. 5-mal höher als der von der WHO empfohlene. Hutter: „Die Erkenntnisse der aktuellen Studie sind ein weiterer triftiger Grund, die WHO-Luftgüteleitlinien für PM 2,5 beziehungsweise die seitens des EU-Parlaments vorgeschlagene Absenkung der europäischen Grenzwerte endlich in rechtliche Vorgaben zu gießen.“
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