Der Barbie-Film bewegt gerade die Medienwelt. Ich habe ihn mir angesehen und stellte mit Entsetzen fest, dass ich die zwei Welten, die im Film gezeigt werden, auch in der Tiermedizin erlebe.
Für alle, die sich den neunzigminütigen Barbie-Werbespot auf Großleinwand (noch) nicht angesehen haben, fasse ich den Plot gern zusammen: Barbie-World ist eine Welt voller lebensgroßer Puppen, die im Film von menschlichen Schauspielern verkörpert werden. In dieser Welt sind sämtliche wichtigen Positionen mit Frauen besetzt und Frauenfreundschaften bestimmen die Freizeit. Aufkommende Probleme in der Barbie-Welt zwingen die Hauptfigur Barbie dazu, in die „richtige“ Welt zu reisen und dem Vorstand von Mattel (der Herstellerfirma von Barbie) einen Besuch abzustatten. Dieser Vorstand besteht aus einer Reihe überheblicher Männer, die von außen die Geschicke der Puppenwelt leiten, während sie in der „realen“ Welt hoch oben in ihrem Managerturm sitzen. Barbie ist entsetzt, dass die Verhältnisse so anders sind als sie ihr bisher schienen.
Ähnlich wie Barbie ging es mir, als ich vor ein paar Jahren zum ersten Mal die Delegiertenversammlung des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte (bpt) besuchte. Die Versammlung war dem bpt-Kongress angeschlossen und ich hatte vorher schon Vorträge besucht und mich auf der Industrieausstellung beschäftigt. Sowohl in den Vortragssälen als auch auf der Ausstellungsfläche passte die Gesellschaft zu meinem allgemeinen Eindruck von der Tiermedizinbranche: Viele Frauen und deutlich weniger Männer bildeten sich weiter und informierten sich über neue Produkte. Alle, unabhängig vom Geschlecht, sorgen in ihrem beruflichen Alltag für ihre tierischen Patienten und menschlichen Kunden. Die meisten tragen zusätzlich die Verantwortung für mehr oder weniger Personal und halten einen Betrieb am Laufen.
Im Barbie-Film wird die Situation natürlich extrem überzogen dargestellt. Die Frauen sind durchgehend heteronormativ, jugendlich, zumeist dünn und langbeinig, dafür aber im Brustbereich äußerst üppig ausgestattet. Unsere Branche ist dagegen sehr real und im Allgemeinen auch recht bodenständig. Aussehen spielt eine untergeordnete Rolle, neben den vielen unterschiedlichen Frauen gibt es fähige und engagierte Männer und Menschen anderen Geschlechts, sowie viele Tierärzte der älteren Generation, die innovatives Denken befürworten und einen offenen Umgang mit anderen Generationen pflegen. Zahlenmäßig überwiegen auf einem Tierärztekongress aber die Frauen.
Dann durchschritt ich die Tür zur Delegiertenversammlung. Erstaunlicherweise änderte sich damit das Geschlechterverhältnis um mich herum. Spontan schätzte ich das Männer-Frauen-Verhältnis 50:50 ein. Es erstaunte mich ein wenig, hier verhältnismäßig viele männliche Kollegen anzutreffen, aber ich dachte zunächst nicht weiter darüber nach.
Doch dies änderte sich schlagartig mit einem Blick auf die Tribüne. Dort thronte eine rein männliche, nicht mehr besonders jugendliche Gesellschaft, die sich daran machte, ihre Erfolge im letzten Jahr zu präsentieren und anschließend ihre Pläne für die kommende Zeit vorzustellen. Mir schoss der geflügelte Ausdruck „alte, weiße Männer“ durch den Kopf, der in den Medien gern genutzt wird, um das konservative Establishment zu beschreiben.
Die Gruppe hatte tatsächlich einige positive Entwicklungen unterstützt und auch die angestrebte Digitalisierung ist im Anbetracht der allgemeinen Entwicklung eine gute Idee. Doch die persönliche und finanzielle Anerkennung der Leistung praktischer Tierärztinnen liegt auch heute, mehrere Jahre später, noch hinter der der männlichen. Die Arbeit des Vorstands war nicht sehr hilfreich dabei, das zu ändern. Die Umsetzung der Digitalisierung, für die noch „ältere, weiße Männer“ engagiert worden waren, wurde vom Publikum hart kritisiert. Die Kritik zeigte, dass vor allem jüngere Digital Natives unzufrieden waren.
Das wirft die Frage auf, ob eine solche Berufsvertretung tatsächlich geeignet ist, um den gesamten Berufsstand zu vertreten. Oder richtet der überzogene pinke Barbie-Streifen, der derzeit alle Welt ins Kino lockt, doch den Scheinwerfer auf ein reales Problem? Eine Gruppe Außenstehender lenkt die Geschicke einer ganzen Welt, obwohl sie diese gar nicht selbst repräsentiert – zumindest nicht in ihrer ganzen Diversität.
Der Kreis auf der Bühne schien dennoch sehr zufrieden mit sich und ließ sich größtenteils gern bei den Vorstandswahlen am Ende der Veranstaltung bestätigen. Nachrückende Mitglieder machten die Gruppe leider nicht viel heterogener.
Als Barbie in dem Film nach ihrem Abstecher in die „richtige“ Welt zurück nach Barbie-World kommt, haben auch hier die Männer die Macht ergriffen. Die Frauen müssen zusammenarbeiten, um sowohl in der Barbie-Welt als auch in der realen Welt Frauen wieder zu einem angemessenen Einfluss zu verhelfen.
Zum Glück gibt es auch in der Vet-Welt immer mehr jung denkende Menschen, die sich engagieren, um die Branche zu modernisieren. Gemeinsam haben sie alle, dass sie nicht dem Stereotyp vom „alten, weißen Mann“ entsprechen. Stattdessen gehören sie unterschiedlichen Altersgruppen und Geschlechtern an und nutzen sowohl bekannte als auch innovative Wege, die Branche in der Öffentlichkeit zu vertreten. Einige sind in den sozialen Medien aktiv, andere sprechen in den klassischen Medien. Sie publizieren Videos, schließen sich auf verschiedenen Plattformen zusammen und starten gemeinsam Info-Kampagnen – zum Beispiel gegen Qualzuchten, für mehr Aufklärung über Krankheiten oder für gesundheitsbewusste Tierhaltung.
Und auch in die Berufsverbände, die oft noch einen verstaubten Eindruck erwecken, kommt Bewegung. Das Präsidium verzeichnet weibliche Mitglieder und der AK Junges Netzwerk wurde innerhalb des bpt ins Leben gerufen. Diese Gruppe konzentriert sich auf die Anliegen der angehenden und frisch approbierten Tierärzte, die zumeist mit viel Elan und neuen Ideen in den Beruf eintreten. Sowohl die Mitglieder dieses Arbeitskreises als auch die Tierärzte, die sie ansprechen, sind geeignet, an der zeitgemäßen Weiterentwicklung der Tiermedizinbranche mitzuwirken.
Ich hoffe, dass auch sie bald Schlüsselpositionen im Verband besetzen können, damit die Vertretung der Tiermediziner nicht „von oben herab“, sondern „von innen heraus“ die Interessen aller Mitglieder vertreten kann. Wir brauchen mehr Diversität auf den Bühnen unserer Versammlungen.
Bildquelle: Lucas Swennen, unsplash