Die meisten Patienten mit vermeintlicher Penicillin-Allergie haben gar keine. Ärzte überprüfen das nur selten – dabei könnte die Diagnose bald noch einfacher werden.
Viele Menschen glauben, allergisch auf Penicillin zu reagieren. Dabei trifft das in den wenigsten Fällen tatsächlich zu. In einer US-Studie etwa konnten allergologische Tests bei über 90 % der vermeintlich Betroffenen keine Penicillin-Allergie nachweisen. Eine Untersuchung aus Deutschland kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Etwa 75 % der Patienten, die annehmen, an einer Penicillin-Allergie zu leiden, vertragen sogar alle Beta-Laktam-Antibiotika. Zu dieser Gruppe zählen neben Penicillinen auch Cephalosporine, Monobactame und Carbapeneme.
Aber warum nehmen überhaupt so viele Menschen fälschlicherweise an, sie seien allergisch gegen Penicillin? Oft erinnern sich Patienten an allergische Reaktionen wie Hautausschläge, die sie als Kind nach der Einnahme von Penicillin entwickelt haben. Dabei könnte es sich allerdings auch um ein Virusexanthem oder eine Infektion begleitende Urtikaria handeln – das Antibiotikum wäre in diesem Fall also gar nicht der Auslöser.
Aber auch Ärzte selbst scheinen eine mögliche Penicillin-Allergie ihrer Patienten nur selten kritisch zu hinterfragen und verzichten stattdessen auf die Gabe sämtlicher Beta-Laktam-Antibiotika – obwohl Patienten mit einer tatsächlichen Penicillin-Allergie durchaus andere Substanzen dieser Gruppe vertragen würden. Der gänzliche Verzicht bringt Nachteile mit sich, da anstelle der hochwirksamen Beta-Laktame weniger effektive Antibiotikaklassen zum Einsatz kommen. Das kann zum einen mit mehr Nebenwirkungen einhergehen, zum anderen die Entstehung von Resistenzen fördern.
Um eine Penicillin-Allergie auszuschließen, wird zunächst ein Hauttest empfohlen, gefolgt von einem oralen Provokationstest, der als Goldstandard bei der Diagnose einer Penicillin-Allergie gilt. Möglicherweise kann man aber auch auf den Hauttest verzichten, wie aus den Ergebnissen einer aktuellen Studie hervorgeht. Sie ist in JAMA Internal Medicine erschienen.
Insgesamt 377 Patienten mit einer vermuteten Penicillin-Allergie wurden nach dem Zufallsprinzip der Gruppe mit einer direkten oralen Penicillin-Probe (Internventionsgruppe) oder mit einem vorgeschalteten Standard-Penicillin-Hauttest (Kontrollgruppe) zugewiesen. Das Risiko einer Penicillin-Allergie wurde bei den Probanden mittels PEN-FAST-Score ermittelt. Dieser Test beruht einzig auf der Anamnese und liefert ohne labordiagnostische Methoden eine erste Vorhersage über das Allergie-Risiko (s. Abb.).
Abb: PEN-FAST-Regel nach Trubiano et al. Es werden drei klinische Kriterien verwendet: Zeit seit dem Auftreten der Penicillin-Allergie, Phänotyp und erforderliche Behandlung. Mit dem PEN-FAST-Score im oberen Feld wird ein Gesamtscore berechnet. Die Interpretation des Risikos ist im unteren Feld angegeben.Das funktioniert so: Wenn eine allergische Reaktion innerhalb der letzten 5 Jahre auftrat, bekommt der Patient 2 Punkte. Für das Auftreten einer Anaphylaxie, einem Angioödem oder einer schweren Hautreaktion gibt es 2 weitere Punkte sowie 1 Punkt, wenn eine Therapie der allergischen Reaktion notwendig war. Erhält der Patient weniger als 3 Punkte, ist eine Penicillin-Allergie eher unwahrscheinlich.
Die meisten Teilnehmer der Studie hatten einen PEN-FAST-Score von 0 oder 1. Sowohl in der Kontrollgruppe als auch in der Interventionsgruppe trat bei jeweils einem Probanden eine allergische Reaktion auf (0,5 %), bestehend aus einer leichten Hautreaktion. Bei insgesamt 4 Probanden aus der Kontrollgruppe kam es zu einem positiven Ergebnis im Hauttest, weswegen bei ihnen auf den oralen Provokationstest verzichtet wurde.
Die Forscher ermittelten in ihrer Analyse eine Risikodifferenz von 0,0084 %-Punkten (90 % Konfidenzintervall [KI]: –1,22 bis 1,24 %-Punkte) und ein einseitiges 95%-KI unterhalb von 5 %-Punkten – hier hatten die Forscher die Nichtunterlegenheitsgrenze angesetzt. Da diese unterschritten wurden, könne man laut der Wissenschaftler auf den Hauttest vor einem oralen Provokationstest verzichten.
„Im Vergleich zu Hauttests ist ein direkter oraler Penicillin-Test weniger ressourcen- und zeitintensiv, weniger teuer und kann auch außerhalb der spezialisierten Allergiesituation durchgeführt werden“, schreiben die Autoren. Letztlich konnte übrigens bei insgesamt 372 Studien-Teilnehmern die Angabe einer Penicillin-Allergie im Allergiepass gestrichen werden. Wenn das mal kein Grund ist, die vermeintliche Penicillin-Allergie seiner Patienten genauer unter die Lupe zu nehmen.
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