Du sitzt vorm PC, deine Augen schmerzen. Dagegen könnte eine blaulichtfilternde Brille helfen – das behauptet zumindest die Werbung. Was ist dran?
Seit Jahren werden zunehmend Brillen mit Blaulichtfiltern vermarktet und von Augenärzten empfohlen. Sie sollen das blaue Licht, das beispielsweise von Bildschirmen ausgeht, reduzieren – und so die Netzhaut schützen, Sehkraft und Schlafqualität verbessern. Die Studienlage darüber ist allerdings äußerst durchwachsen (DocCheck berichtete), wie jetzt auch ein Cochrane-Review zeigt.
Die meisten Menschen können Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums zwischen ca. 400 und 780 nm mit dem Auge wahrnehmen. Blaulicht liegt mit einer Wellenlänge von etwa 420 bis 490 nm am unteren Ende dieses Bereichs. Damit ist das kurzwellige blaue Licht energiereicher als anderes Licht und macht es – rein theoretisch – auch gefährlicher für die Augen. In Tier- und Zellkultur-Experimenten konnten Wissenschaftler immerhin zeigen, dass die gezielte Bestrahlung mit blauem Licht Oxidationsprozesse in Gang setzt, die die Sehzellen zerstören. Das klingt höchst dramatisch. Allerdings ist die Menge an blauem Licht, das von handelsüblichen Displays ausgestrahlt wird, viel zu gering, als dass sie dem menschlichen Auge direkt schaden könnten.
„Die Menge an blauem Licht, die unsere Augen von künstlichen Lichtquellen erreichen, beträgt etwa ein Tausendstel dessen, was wir von natürlichem Tageslicht bekommen“, meint Dr. Sumeer Singh. „Brillengläser mit Blaulichtfilterung filtern je nach Produkt in der Regel etwa 10–25 % des blauen Lichts heraus.“ Würden mehr blaues Licht herausgefiltert, müssten die Brillengläser eine deutliche Bernsteintönung aufweisen, was die Farbwahrnehmung erheblich beeinträchtigen würde, so Singh weiter. Blaulichtfilter-Brillen zum Schutz der Netzhaut scheinen daher nicht besonders sinnvoll zu sein. Das zeigt auch das aktuelle Cochrane-Review zu dem Thema.
Darin analysierte ein australisches Forscherteam die Daten von insgesamt 17 randomisierten kontrollierten Studien aus 6 Ländern. Die Zahl der Teilnehmer an den einzelnen Studien reichte von 5 bis 156 und der Zeitraum, in dem die Brillen mit Blaulichtfilter untersucht wurden, reichte von weniger als einem Tag bis zu 5 Wochen. Das Ergebnis: In Bezug auf Sehleistung und den Makulaschutz scheint die Verwendung dieser speziellen Brillengläser bei der Computernutzung im Vergleich zu Brillengläsern ohne Blaulichtfilterung wohl keine kurzfristigen Vorteile zu bringen. Sie konnten zudem keinerlei Schlussfolgerungen über mögliche langfristige Auswirkungen auf die Netzhautgesundheit ziehen. Müde und schmerzende Augen während der Bildschirmarbeit sind übrigens nicht auf Blaulicht zurückzuführen, sondern auf eine angestrengte Augenmuskulatur.
Aber könnten die speziellen Brillengläser wenigstens zu besserem Schlaf verhelfen? Immerhin reagieren die in der Netzhaut lokalisierten photosensitiven retinalen Ganglienzellen vor allem (aber nicht nur) auf blaues Licht. Dadurch regulieren sie den Schlaf-Wach-Rhytmus, indem das Licht unter anderem die Unterdrückung der Ausschüttung von Melatonin vermittelt. Da klingt es natürlich plausibel, dass zu viel Blaulicht am Abend, etwa durch stundenlanges Starren auf TV- und Smartphonebildschirme, nicht gerade förderlich für erholsamen Schlaf ist. Auch diesem Thema haben sich die Wissenschaftler im Cochrane-Review angenommen – ob die Blaulichtfilter-Brillen die Schlafqualität beeinflussen, sei, auf Basis der Studienergebnisse, unklar.
Fest steht aber auch: Die Qualität und Dauer der untersuchten Studien lassen zu wünschen übrig. Erstautor Singh erklärt: „Qualitativ hochwertige, groß angelegte klinische Forschungsstudien mit längerer Nachbeobachtung in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sind nach wie vor erforderlich, um die potenziellen Auswirkungen von Brillengläsern mit Blaulichtfilterung auf die Sehleistung, den Schlaf und die Gesundheit der Augen genauer zu bestimmen.“
Prof. Laura Downie, leitende Autorin der Studie, sagt: „In den letzten Jahren wurde viel darüber diskutiert, ob Brillengläser mit Blaulichtfilterung in der augenärztlichen Praxis sinnvoll sind.“ Diese Brillengläser würden in vielen Teilen der Welt häufig verschrieben und es gebe eine Reihe von Werbeaussagen zu ihren potenziellen Vorteilen. „Die Ergebnisse unserer Überprüfung, die sich auf die derzeit besten verfügbaren Erkenntnisse stützt, zeigen, dass die Beweise für diese Versprechen nicht schlüssig und unsicher sind“, resümiert Downie.
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