Spezialisierte Sportschuhe sollen vor Verletzungen schützen – aber einige scheinen den Füßen eher zu schaden. Wir zeigen euch an drei Beispielen, wo die Gefahren lauern.
Ob auf dem Trail im Wald, beim Klettern in der Felswand oder leichtfüßigen Tanz im Ballett – unsere Füße werden bei vielen Sportdisziplinen großen Belastungen ausgesetzt. Oft können die richtigen Schuhe wie etwa High-Tech-Lauf-, Kletter- oder Spitzenschuhe die Füße dabei unterstützen. Aber könnten sie ihnen anderer Stelle auch schaden?
Laufschuhe haben mit Alltagsschuhen wenig gemein. Sie sind speziell dafür gemacht, den Fuß bei extremen Belastungen während der Laufbewegung zu unterstützen. „Als banale, aber wichtige Grundregel beim Kauf von Laufschuhen gilt: Die Schuhe müssen zum Läufer passen“, erklärt Dr. Jürgen Kosel, Facharzt für Orthopädie im Gespräch mit DocCheck News. Dabei seien besonders die Lauftechnik und der Laufstil (Vorfuß-, Mittelfuß-, Rückfußläufer, Körpervorlage) zu beachten. Außerdem sollte unbedingt auf anatomische Gegebenheiten wie Bein- und Fußachsen (Innen-, Außenrotationsgang, O-Bein, X-Bein, Knick-, Senk-, Spreiz- oder Plattfüße), Körpergewicht des Läufers, Laufstrecke (Sprint, Mittel- oder Langstrecke) und Bodenbeschaffenheit (Asphalt, Tartanbahn, Waldboden etc.) Rücksicht genommen werden, so Kosel.
So unterschiedlich die Voraussetzungen für Laufschuhe also sind, so unterschiedlich sind auch die Modelle und deren Features. Manche Modelle sollen den Fuß beim Aufprall ruhig halten, andere versuchen mit dämpfenden und federnden Sohlen zu überzeugen. Aber wie wirken sich diese professionellen Laufschuhe nun auf das Verletzungsrisiko aus? Dieser Frage sind Forscher jetzt in einem Cochrane-Review nachgegangen. „Je nach ihren Konstruktionsmerkmalen können Laufschuhe grob in Bewegungskontrolle, Stabilität oder neutrale/gedämpfte Schuhe eingeteilt werden. Oder als minimalistisch, wenn sie nur wenig Bewegungskontrolle oder Dämpfungsmerkmale bieten“, definieren die Forscher die für ihre Arbeit relevanten Schuhtypen.
Sie analysierten 12 randomisierte oder quasi-randomisierte Studien mit insgesamt 11.240 Teilnehmern. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, welche Laufschuhe das Verletzungsrisiko in den unteren Extremitäten minimieren und ob ärztlich verschriebene Schuhe besser vor Verletzungen schützen als nicht verschriebene.
Das klare Ergebnis: Nichts ist klar. Die untersuchten Studien hatten keine einheitliche Definition für Verletzungen und manche inkludierten neben Verletzungen der unteren Extremitäten auch andere Laufverletzungen. Neutrale bzw. gedämpfte Schuhe zeigten keinen oder einen sehr geringen Unterschied im Sachen Verletzungsrisiko verglichen mit minimalistischen Schuhen. Ob Schuhe mit Bewegungskontrolle einen positiven Effekt verglichen mit gedämpften Schuhen hatten, konnten die Forscher nicht sicher sagen. Sie fanden jedoch heraus, dass „die Verordnung von Laufschuhen und die Auswahl von Laufschuhen unter Berücksichtigung der Fußhaltung wahrscheinlich keinen oder nur einen geringen Unterschied bei Verletzungen der unteren Gliedmaßen beim Laufen machen.“
Wichtig sei eher, den richtigen Schuh für den richtigen Läufer und dessen Füße zu finden, anstatt pauschal eine bestimmte Art von Laufschuh zu verschreiben. „Schuhe mit besonderen Features können das Verletzungs- bzw. Überlastungsrisiko reduzieren, wenn sie genau zu den persönlichen Laufeigenschaften passen. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass das Risiko für Verletzungen oder Fehl-/Überlastungsschäden steigt, wenn die Laufschuhe nicht auf den Läufer abgestimmt sind“, so Kosel.
Es scheiden sich also weiterhin die Geister beim Thema Laufschuh und deren Auswirkungen auf das Verletzungsrisiko. Generell seien moderne Laufschuhe aber wohl eher zu weich als zu hart. Zu stark gepolsterte oder federnde Laufschuhe würden das Verletzungsrisiko nicht verringern. „Der Grund liegt darin, dass stark gedämpfte Schuhe die federnde Mechanik des Laufens verändern. So verlagert sich der Ort des Fuß-Erstkontaktes mit dem Boden weiter nach hinten Richtung Ferse, je größer die Schuhdämpfung ist“, erklärt Kosel. „Ballen- oder Mittelfußläufer verändern ihre Lauftechnik und werden zu Fersenläufern. Setzt ein Fuß mit der Ferse auf, werden alle Beingelenke steifer. Die härtere Landung des steiferen Beines übersteigt den Dämpfungseffekt der weicheren Schuhsohle.“ Dieses Phänomen untersuchte auch eine finnische Studie. „Wir haben festgestellt, dass stark gepolsterte Maximalist-Schuhe die federnde Laufmechanik verändern und die Aufprallbelastung eher verstärken als abschwächen“, schreiben die Autoren. Allerdings war diese Studie mit nur 12 Läufern sehr klein.
Nicht nur beim Laufen brauchen Füße besondere Unterstützung, auch beim Tanz sind die Schuhe wichtig – und ganz besonders im Ballett. Der Spitzenschuh ist nicht nur optisch ein absolutes Muss. Die speziell gefertigten Sportschuhe sollen die Tänzer bei ihren spezialisierten Bewegungen unterstützen und somit vor allem Verletzungen verhindern. Dabei sei der Fuß allerdings immer unphysiologischen Belastungen ausgesetzt. Die natürlichen Knochen- und Gelenkverhältnisse seien zusammen mit Bändern, Faszien und Kapseln nicht für eine derartige Belastung ausgelegt, so Kosel.
Der Schuh sollte, wenn der Fuß in einer flachen Position am Boden steht, eng anliegen. Im Plié (eine Beugung der Knie, die normalerweise in einer der sechs Fußstellungen ausgeführt wird) dürfen aber weder Zehen noch Nägel schmerzen – der perfekte Sitz der Schuhe ist unabdingbar. Das sieht auch Kosel so: „Spitzenschuhe müssen genau passen, um ihre Stützwirkung voll entfalten zu können. Deshalb ist ein Kauf immer unter fachkundiger Beratung vorzunehmen. Andernfalls drohen Fehl- und Überbelastungen mit erhöhtem Verletzungsrisiko.“
Aber nicht nur der perfekte Sitz ist wichtig, auch der Allgemeinzustand der Schuhe. So zeigte ein systematisches Review von neun Studien, dass „die Beschaffenheit des Spitzenschuhs der wichtigste Faktor ist, der zu einer Fußverletzung beiträgt. Überlastungsschäden stehen im Zusammenhang mit hochintensivem Training und betreffen sowohl den Knöchel als auch den Fuß. Verletzungen des Großzehengrundgelenks stehen im Zusammenhang mit der Funktion und der Struktur des Fußes.“ Während der Spitzenschuh also als Stabilisator für den Fuß dient, kann ein falscher oder alter Schuh das Gegenteil bewirken.
Wie wichtig die Beschaffenheit eines Ballettschuhs für die Sicherheit der Balletttänzer ist, zeigt auch eine Studie, die im Journal Human Movement Science veröffentlicht wurde. Hier wurden Balletttänzerinnen gebeten, eine Reihe von Bourreés (Gehen auf der Spitze) in neuen und abgenutzten Spitzenschuhen (> 20 h Abnutzung) durchzuführen. Die Wissenschaftler führten Kraft- und Druckanalysen durch und bestimmten durch eine 2D-Kinematik-Analyse die Mittelfußreflexion sowie die Knöchelplantarflexion. Die abgenutzten Spitzenschuhe führten zu einer signifikant größeren Mittelfußflexion (P < 0,01) und Knöchelplantarflexion (P < 0,01).
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass ein zu sehr abgetragener Spitzenschuh den Fuß nicht mehr adäquat unterstützen kann. Das kann dazu führen, dass die Tänzer Haltungsschwankungen schlechter korrigieren können – was wiederum zu schnellerer Ermüdung der Muskeln, Verstauchungen im Knöchelbereich und vermehrten Stürzen führen kann. „Die geringere strukturelle Integrität des getragenen Spitzenschuhs kann ein kausaler Faktor für kinematische Veränderungen und nachfolgende Schmerzen und Verletzungen der unteren Gliedmaßen bei professionellen Tänzern sein“, fassen die Studienautoren ihre Ergebnisse zusammen. Jedoch ist jahrelanges regelmäßiges Tragen von Spitzenschuhen generell mit einem erhöhten Verletzungsrisiko verbunden, egal ob die Schuhe neu oder bereits abgetragen sind. Typische Verletzungen wären etwa ein Distorsionstrauma der Sprunggelenke mit Kapselschädigung, Bandrupturen, Frakturen und Muskelverletzungen.
Ein weiterer Sport, bei dem die richtigen Schuhe unabdingbar sind, ist Klettern. Der Klettersport erfreut sich in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit. Der Deutsche Alpenverein gibt an: Im Jahr 1990 hätte es geschätzte 70.000 aktive Kletterer in Deutschland gegeben, 2021 seien es bereits mehr als 600.000 gewesen – ungefähr die Hälfte davon Boulderer. Mit dieser rasant gestiegenen Zahl an Sportlern kommen auch zunehmende Beschwerden bzw. Probleme mit dem Schuhwerk.
„Kletterschuhe sind Spezialschuhe, die in der Regel barfuß getragen werden, hauteng anliegen und dünn sind. Sie dürfen nicht zu groß sein, da das Risiko steigt, dass man beim Klettern schwitzt und aus dem Schuh rutscht – und schlimmstenfalls stürzt. Deshalb empfehlen Fachleute, Kletterschuhe kleiner zu kaufen als Konfektionsschuhe“, erklärt Kosel. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie. Befragt wurden 417 Teilnehmer im Alter von 18–34 Jahren mit einer durchschnittlichen Kletterzeit von 5–10 Stunden in der Woche und einer durchschnittlichen Klettererfahrung von sieben Jahren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Diskrepanz zwischen den Schuhgrößen normaler Straßenschuhe und Kletterschuhe zunahm, je professioneller der Sport ausgeübt wird. Im Durchschnitt lag der Unterschied bei 0,83 Schuhgrößen.
In einer weiteren Studie zu Fußverletzungen im Klettersport gaben 45 % der Befragten Kletterer an, während des Kletterns Schmerzen im Fußbereich zu verspüren, der auf schlechte oder falsche Schuhwahl zurückzuführen sein könnte. Die häufigsten Fußbeschwerden seien laut den Studienautoren das Entwickeln von Krallenzehen (59 %). Die häufigsten Hautverletzungen seien Schleimbeutelentzündungen an der ersten Zehe (62 %) – sie traten bei Personen mit kleineren Schuhen und einem höheren Schwierigkeitsgrad der Kletterrouten häufiger auf. Außerdem sei die häufigste Gelenkverletzung mit 52 % der Hallux limitus, gefolgt von Hallux valgus mit 40 %. Zudem kam es bei 51,3 % der Studienteilnehmer zu einer Hyperkeratose an der ersten Zehe.
„Sind die Schuhe vorne zu eng, wird die Großzehe zum zweiten Zeh nach außen gedrückt, was die Entwicklung eines Hallux valgus begünstigt. In zu kleinen Schuhen ist die natürliche Zehenstellung gestört. Fußverformungen wie Hammer- oder Krallenzehen können die Folgen sein. Auch Zehennägel können durch Druck geschädigt werden. Sie sollten kurz geschnitten sein“, fasst Kosel zusammen.
Interessant: Offenbar sind proportional mehr Frauen als Männer von Fußverletzungen im Klettersport betroffen. Die Wissenschaftler geben an, dass das eventuell daran liegen könnte, dass der Standard-Kletterschuh für die männliche Anatomie produziert würde. „Kletterschuhe sind in erster Linie für den männlichen Knöchel konzipiert, wodurch die weibliche Achillessehne einem stärkeren Druck ausgesetzt ist“, mutmaßen die Studienautoren.
Eines geht aus diesen drei Beispielen jedenfalls hervor: Jeder Sportschuh ist einzigartig und muss individuell auf den Sportler angepasst werden. Eine „One Size Fits All“-Lösung gibt es nicht. „Der Kauf von Spezialschuhen sollte immer unter fachkundiger Beratung und Kontrolle erfolgen. Sie müssen die anatomischen und statisch-dynamischen Gegebenheiten des Sportlers berücksichtigen und auf sein Anforderungs- und Leistungsniveau abgestimmt sein“, findet auch Kosel.
Für den Kauf des richtigen Sportschuhs gilt – zusätzlich zu den jeweiligen spezialisierten Anforderungen – aber auch das, was für den Alltagsschuhkauf gilt:
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Zahlen und Fakten zum Klettersport in Deutschland, Deutscher Alpenverein (eingesehen am: 17.08.2023).
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