Algorithmus vs. Arzt: Künstliche Intelligenz erkennt Tumoren genauso gut wie Radiologen. Ob sie euch entlastet oder euren Job kostet, erfahrt ihr hier.
Deep Learning, Maschinenlernen, Künstliche Intelligenz – wer naturwissenschaftliche und medizinische Studien liest, kommt an diesen Begriffen nicht mehr vorbei. Beim molekularen Design neuer Arzneimittel oder bei der Auswertung von Mikroskopien im Hochdurchsatz-Screening setzen viele Forscher nahezu selbstverständlich auf innovative Tools.
Doch können sich Ärzte auch bei der Diagnose von Krankheiten auf „Doktor Silizium“ verlassen? Kann und soll eine KI jahrelang geschulte Ärzte ersetzen, um aus einer Vielzahl möglicher Diagnostik-Daten Aussagen über den Gesundheitszustand eines Patienten zu treffen? Dieser Frage sind Forscher um Kristina Lång von der Abteilung für Translationale Medizin an der Lund Universität in Malmö jetzt nachgegangen.
In The Lancet Oncology berichten sie über Ergebnisse der MASAI-Studie. Der innovative Ansatz: Wissenschaftler haben die Sicherheit der diagnostischen Leistung einer KI mit Ärzten verglichen – speziell bei der Auswertung von Mammographie-Scans im Rahmen eines schwedischen Screening-Programms.
Das Team teilte Probandinnen des schwedischen Brustkrebs-Screening-Programms zufällig in zwei Gruppen ein. In der Kontrollgruppe untersuchten Radiologen mit mindestens zwei Jahren Erfahrung Bilder aus der Mammographie in einem Standard-Verfahren – also im Verdachtsfall mit dem Vier-Augen-Modell mit einem weiteren Radiologen.
In der anderen Gruppe schalteten die Forscher das Analyse-Programm Transpara Version (Screen Point Medical, Nijmegen) in den Diagnostik-Workflow ein. Es basiert auf Deep Learning: Neuronale Netze werden verwendet, um Muster in komplexen Bilddaten zu erkennen. Deep-Learning-Modelle lassen sich durch Trainings mit großen Datensätzen optimieren. Während der Vorbereitungsphase passen Forscher etliche Parameter an, damit ein Algorithmus Aufgaben bestmöglich übernimmt. Erst danach ist eine KI reif für die Praxisphase.
In der Studie gab dieser Algorithmus anhand einer Risikoskala von 1 bis 10 an, ob ein oder zwei Radiologen die Befunde betrachten sollten. Skalenwerte von eins bis sieben galten als geringes Risiko, acht und neun als mittleres Risiko und zehn als hohes Risiko. Nur bei 10 Punkten fand eine Doppel-Befundung statt. Außerdem unterstützte die KI Ärzte bei der Diagnose, indem sie verdächtige Stellen mit Markierungen versah.
An der Studie nahmen 80.033 Frauen teil. Von allen Bilddaten wurden 40.003 mit KI-Unterstützung und 40.030 im Standard-Verfahren ausgewertet. 39.996 blieben nach Ausschlusskriterien in der KI-Gruppe, 40.024 in der Kontrollgruppe. Als erste Ergebnisse der noch laufenden Studie kamen in der KI-Gruppe 244 erkannte Krebserkrankungen und insgesamt 817 wegen Auffälligkeiten erneut untersuchte Patientinnen zusammen, gegenüber 203 erkannten Tumoren und 817 erneuten Untersuchungen in der Kontrollgruppe.
Als Krebs-Erkennungsrate errechneten die Autoren 6,1 Fälle pro 1.000 Patientinnen in der KI-Gruppe versus 5,1 pro 1.000 Patientinnen in der Kontrollgruppe. Die Studienautoren ziehen daraus den Schluss, dass die KI-Methode sicher sei. Sie könne in jedem Fall die Arbeitsbelastung von Radiologen verringern. Ob ihr Ansatz auch die Zahl unerkannter Tumoren senkt, wird sich erst mit Abschluss der Studie mit 100.000 gescreenten Patientinnen voraussichtlich im Jahr 2025 zeigen.
Die endgültige Entscheidung für die nächsten Schritte haben übrigens immer Radiologen getroffen. Dies sei „ein praktischer Ansatz, um medizinisch-rechtliche Anforderungen zu erfüllen, denen derzeitige ethische und rechtliche Unsicherheiten bei der Anwendung von KI als einziger Diagnostik entgegenstehen”, schreiben die Autoren.
In einem Kommentar im gleichen Fachmagazin schreiben Nereo Segnan und Antonio Ponti von der CPO Piemonte in Turin, dass die Studie „atemberaubende Ergebnisse“ geliefert habe, aber ein Wort der Mahnung dennoch angebracht sei. Das Potenzial des Algorithmus, Patientinnen anhand der Kriterien in Hoch- und Niedrigrisikogruppen einzuteilen, sei zwar bemerkenswert. Eine Gefahr sehen sie aber darin, dass die KI deutlich mehr gutartige Läsionen entdecken werde.
Die wichtigste Forschungsfrage bleibe damit noch offen, schreiben die Kommentatoren. „Ist KI, wenn sie entsprechend trainiert ist, in der Lage, relevante biologische Merkmale vorherzusagen – also etwa, ob ein Tumor wächst und sich auszubreiten kann?” Hintergrund der Kritik ist, dass bei älteren Patienten mit harmloser Tumorbiologie eine Intervention nicht immer sinnvoll erscheint.
Bleibt als Fazit: Erste Ergebnisse der MASAI-Studie zeigen, dass künstliche Intelligenz richtig angewendet ein durchaus verlässlicher Partner in der Praxis sein kann und Ärzten ihre Arbeit erleichtern und reduzieren kann. Kein Algorithmus wird den menschlichen Arzt aber vorerst ersetzen.
Bildquelle: Eric Krull, Unsplash