Forscher gewannen nun Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen der Häufigkeit chromosomaler Neuordnungen und der Aktivität mobiler genetischer Elemente im Gibbon-Genom. Solche chromosomalen Neuordnungen sind beteiligt an der menschlichen Tumorentstehung.
Chromosomale Neuordnungen (chromosomal rearrangements) finden gelegentlich während der Evolution statt, können aber auch an der Tumorentstehung beteiligt sein. So ereignen sich chromosomale Neuordnungen in humanen pluripotenten Stammzellen relativ häufig. Aufgrund des damit verbundenen erhöhten Risikos der Krebsentstehung stellen sie ein Problem für klinische Zellersatztherapien mit Stammzellen dar. Ein besseres Verständnis der Ursachen für die Entstehung solcher Neuordnungen ist daher wichtig, um auf pluripotenten Stammzellen basierende Zellersatztherapien zukünftig sicherer zu machen. Im Genom der Gibbons haben chromosomale Neuordnungen im Laufe der Evolution mit einer ungewöhnlich großen Häufigkeit stattgefunden. Daher ist das Gibbon-Genom ein wichtiges Instrument, um die zugrundeliegenden Mechanismen zu erforschen. Bei der Analyse des Gibbon-Genoms wurde ein neues mobiles genetisches Element identifiziert und eine wesentliche Funktion entschlüsselt. Dieses als „LAVA“ (zusammengesetzt aus den Modulen der mobilen genetischen Elemente L1ME, AluSz6, und SVA_A) bezeichnete mobile Element ist nahe verwandt mit den im menschlichen Genom vorhandenen „SVA“ (SINE-VNTR-Alus)-Retrotransposons. Es liegt in mehr als 1.000 Kopien im Gibbon-Genom vor. Viele dieser LAVA-Elemente finden sich in einer Gruppe von Genen, die für die korrekte Trennung von Chromosomen während der Zellteilung wichtig sind. Prof. Gerald Schumann und Nina Fuchs, Abteilung Medizinische Biotechnologie des Paul-Ehrlich-Instituts, zeigten experimentell, dass LAVA-Elemente in bestimmte Abschnitte dieser Gene (Introns) eingebaut werden (Insertionen), was dazu führt, dass diese Gene weniger häufig abgelesen werden (Verminderung der Transkription). Dadurch wird die Synthese der von diesen Genen kodierten Genprodukte (bestimmte Proteine) gehemmt. Da diese Proteine für eine korrekte Trennung der Chromosomen bei der Zellteilung bedeutsam sind, kann es bei einer verminderten Expression dieser Gene durch die LAVA-Elemente zu einer Zunahme chromosomaler Neuordnungen kommen. Die Untersuchungen zeigten auch, dass viele der Gene, deren Expression im Gibbon durch LAVA-Insertionen beeinträchtigt wird, genau solche Gene sind, die im Menschen bei der Tumorentstehung eine Rolle spielen.
„Wenn wir die Mechanismen verstehen, die im Gibbon den Prozess der chromosomalen Neuordnung unterstützen, an dem auch Gene beteiligt sind, die bei der Tumorentstehung im Menschen eine Rolle spielen, kann uns das helfen, den Mechanismus der Krankheitsentstehung im Menschen zu entschlüsseln“, erklärt Schumann die Bedeutung dieser Forschungsarbeiten. Originalpublikation: Gibbon genome and the fast karyotype evolution of small apes Gerald Schumann et al.; Nature, doi: 10.1038/nature13679; 2014