Rheumatische Erkrankungen werden bei Frauen oft später diagnostiziert als bei Männern. Woran das liegen könnte und was ihr zum Thema Rheuma noch wissen solltet, lest ihr hier.
Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl an rheumatischen Erkrankungen gestiegen. Die Häufigkeit der entzündlichen rheumatischen Erkrankungen ist dabei höher als bisher angenommen – man geht inzwischen von etwa 3 Millionen Patienten aus, von denen 14.000 Kinder sind. Auf diese Zahl des deutschen Rheumazentrums machte Prof. Christoph Bearwald, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, heute auf einer Pressekonferenz zum deutschen Rheumatologiekongress 2023 aufmerksam. Es zeichnen sich unter den Erkrankten zwar sozioökonomische Unterschiede ab, dennoch ist unklar, wie sehr äußere Einflüsse bei dem Anstieg eine Rolle spielen. Vorerst wird angenommen, dass das Mehr an rheumatischen Erkrankungen mit besseren Diagnosemöglichkeiten zusammenhängt.
Höhere Patientenzahlen gehen aber nicht Hand in Hand mit einer höheren Zahl an Rheumatologen. Die Versorgung der Betroffenen müsse dennoch gewährleistet werden, so Bearwald. Zurzeit begegnen Patienten auf dem Weg zur Behandlung langen Wartezeiten und wenig verfügbaren Terminen. Doch je früher eine Therapie beginnt, desto besser. Laut der Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga, Rotraut Schmale-Grede, brauche es schnellere Überweisungen, Sprechstunden und eine durch Fachpersonal betreute Fachversorgung. Hausärzte spielen in diesem Prozess ebenfalls eine wichtige Rolle, meint Schmale-Grede. Von ihnen werde erwartet, Symptome zu erkennen, richtig einzuordnen und die Dringlichkeit einer Therapie zu bestimmen.
Auf der Pressekonferenz machten die Verbandsvertreter auch auf ein besonderes Problem bei der Diagnose aufmerksam. „Bei der Diagnostik rheumatischer Erkrankungen lassen sich geschlechterspezifische Unterschiede feststellen“, erklärt Prof. Uta Kiltz, Oberärztin am Rheumazentrum Ruhrgebiet. Derzeit werden Frauen im Durchschnitt später mit einer rheumatischen Erkrankung diagnostiziert als Männer. „Die geschlechterspezifischen Unterschiede beruhen oft auf hormonellen, immunologischen und genetischen Faktoren“, so Kiltz. Da Frauen tendenziell häufiger Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen und sich auch oft gesünder ernähren als Männer, gehen diese Unterschiede mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Geschlechterunterschied zurück.
Auch Symptome und Krankheitsverlauf weisen bei Männern und Frauen Unterschiede auf und können zu einer verspäteten Diagnose beitragen. Frauen schildern oft eine größere Symptomvielfalt, die zu Verwechslungen führen kann. Zum Beispiel sind bei Patientinnen die peripheren Gelenke vermehrt betroffen, was bei der Diagnosestellung mit primär peripher auftretenden Gelenkerkrankungen verwechselt werden könnte. Bei Männern wiederum ist der Krankheitsverlauf oft schwerer. Das kann dazu führen, dass es zu einer früheren Bildung von Antikörpern und Blutmarkern kommt. Serologische Entzündungsmarker können demnach frühzeitig nachgewiesen werden – das erleichtert die Diagnose.
Nicht nur die Diagnostik, sondern auch die Form der rheumatischen Erkrankungen variiert. Während männliche Patienten häufiger von Morbus Behcet und einer durch radiologische Veränderungen definierten ankylosierende Spondylitis betroffen sind, treten bei Frauen vor allem Kollagenosen und rheumatoide Arthritis (RA) auf. Auch hier können radiologische Veränderungen bei männlichen Erkrankten früher nachgewiesen werden, was wiederum zu einer früheren Diagnosestellung führt. Andere Formen rheumatischer Erkrankungen, wie die Psoriasisarthritis sowie die nichtradiologische Spondyloarthritis, zeigen wiederum keine geschlechterspezifische Verteilung.
Komorbiditäten sind von den geschlechterspezifischen Unterschieden nicht ausgeschlossen. Das habe Einfluss auf die medikamentöse Therapie des Patienten oder der Patientin. Bei Patientinnen lasse sich, so Kiltz, eine niedrigere Persistenz der immunsuppressiven Therapie beobachten, genau wie seltener zu erreichende Therapieerfolge oder Remission. Häufig basieren die Parameter, die zur Evaluierung der Therapieerfolge herangezogen werden, auf einer patientenberichteten Selbstauskunft. Bei dieser geben Frauen Werte an, die auf durchschnittlich geringere Therapieerfolge schließen lassen.
Da Krankheitsbewältigungsstrategien von Männern und Frauen unterschiedlich eingesetzt werden, ist für Kiltz eine gute Arzt-Patienten-Kommunikation in der Therapie entscheidend. Auch sollten soziale und psychische Folgen sowie sozioökonomische Unterschiede – über die Patientinnen häufiger berichten – bei der Therapie berücksichtigt werden. Eine offene Kommunikation, auch in privaten Lebensbereichen, könnte den sozialen Leidensdruck der Betroffenen ebenfalls mindern.
Eine geschlechtssensible, individuelle Diagnostik sowie die Berücksichtigung unterschiedlicher Krankheitsmanifestationen bei bildgebenden Verfahren könnten laut Kiltz helfen, eine rheumatische Erkrankung auch unter Patientinnen früher zu erkennen.
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