Veterinäre setzen Xylazin bei Narkosen ein. Aber es wird auch als Streckmittel für Drogen benutzt – mit fatalen Folgen. Welche das sind und was ihr sonst noch wissen müsst, lest ihr hier.
In den USA scheint zurzeit ein weiteres Kapitel im Buch der Drogenkrisen geschrieben zu werden: Die „Zombie-Droge“ „Tranq“, auch als „Pferdebetäubungsmittel“ bezeichnet, führte dort zu einem erneuten Anstieg der drogenassoziierten Todesfälle. Schon zwischen 2019 und 2020 stiegen die tödlichen Überdosen um 30 Prozent an, zum Jahr 2021 dann nochmals um 15 Prozent. Die USA stecken seit einigen Jahren mitten in der sogenannten Opioid-Krise. Millionen Menschen sind dort abhängig von Opioiden – meist nachdem sie diese von ihrem Arzt zunächst verschrieben bekommen haben. Nun gibt es einen neuen Trend: Drogendealer mischen seit einiger Zeit das in der Tiermedizin eingesetzte Mittel Xylazin unter Opioide wie Fentanyl und verkaufen diese Mischung unter dem Namen „Tranq“.
Das sedativ-hypnotische Xylazin wird in der Tiermedizin meist in Kombination mit anderen Sedativa und Analgetika verwendet. Der Alpha-2-Adrenozeptoragonist (kurz: Alpha-2-Agonist) wurde lange gängigerweise zur Kombinationsanästhesie eingesetzt, kann aber auch zur epiduralen Anästhesie oder (hauptsächlich bei der Katze) als zentral wirksames Emetikum zum Einsatz kommen. Xylazin und seine potenteren Derivate wie Detomidin, Medetomidin oder Dexmedetomidin sind lipophil und wirken durch die Aktivierung präsynaptischer alpha2-Adrenozeptoren sedativ und zentral analgetisch. Durch die Aktivierung postsynaptischer alpha2-Rezeptoren in der Chemotriggerzone kann auch Erbrechen ausgelöst werden.
Die Wirkung beim Tier ist stark dosis- und speziesabhängig. Die Sedation tritt schon bei niedrigen Dosen auf und hält länger an als die analgetische und muskelrelaxierende Wirkung. Beim Pferd wirkt Xylazin gut bei viszeralen Schmerzen und kann zur Sedation eingesetzt werden. Bei Hund und Katze wurde es lange standardmäßig zusammen mit Ketamin bei kurzen operativen Eingriffen zur dissoziativen Anästhesie verwendet. „In der Tiermedizin haben wir Xylazin an vielen Stellen durch andere Medikamente ersetzt, um die Narkosesicherheit für unsere Patienten zu erhöhen“, sagt Dr. Dominique Tordy, Kleintierärztin in Köln. „Große und kleine Tiere, sogar Kaninchen und Meerschweinchen, werden heute eher mit Medetomidin narkotisiert, da es einen ähnlichen Wirkmechanismus hat, für das es aber im Notfall ein Gegenmittel gibt.“
Denn: Wer Xylazin anwendet, muss auch immer die diversen Nebenwirkungen im Auge haben. Nach einer anfänglichen Hypertonie kann es zur hochgradigen zentralen Hypotonie mit Bradykardie, Arrhythmie, Hypothermie und Atemdepression kommen – deshalb ist eine Herz-Kreislauf-Überwachung unbedingt angeraten. Auch reduziert Xylazin die Darmmotorik und hemmt die Insulinfreisetzung; es kann zu einer Hyperglykämie kommen. „Wenn wir Xylazin verwenden, dann wird die Menge genau berechnet und mit anderen Medikamenten kombiniert, um die Nebenwirkungen möglichst klein zu halten. Es ist schlimm, dass wir unseren Haustieren bei der Verwendung von Xylazin durch Sorgfalt und die Suche nach Alternativen die bestmögliche Sicherheit geben, während Menschen in der Drogenhandelsszene anderen Menschen bewusst mit demselben Stoff Schaden zufügen“, so Tordy.
So viel zum Einsatz in der Tiermedizin – zurück zu Xylazin als Streckmittel in Drogen. In den USA wird es zusammen mit Heroin oder Fentanyl auf der Straße verkauft – denn Xylazin ist billig und verstärkt Opioid-Effekte. Die Szenen aus Video-Beiträgen über die neue „Zombie-Droge“ sind erschütternd: Menschen, die mit Xylazin gestreckte Opioide intravenös konsumiert haben, laufen vornüber gebeugt und völlig weggetreten umher oder sitzen eingefallen am Straßenrand, mit tiefen Ulzera oder Hautnekrosen an den Einstichstellen. Bei regelmäßiger intra – bzw. paravenöser Applikation kann es durch lokale Vasokonstriktion zur Minderdurchblutung von Gewebe kommen. Auch von schweren Infektionen dieser Bereiche wird berichtet, bis hin zu nötigen Amputationen.
Bitte klickt für das Video auf das Bild. Screenshot: ZDF Heute, Instagram.
Mediziner in den USA schlagen Alarm, denn gängige Opioid Rezeptorantagonisten wie Naloxon wirken bei Patienten mit Verdacht auf eine Opioid-Überdosis plötzlich nicht mehr. Mit alpha2-Rezeptorantagonisten wie Yohimbin, Atipamezol oder Tolazolin stünden zwar Gegenmittel zur Verfügung, sie gehören jedoch noch nicht zum etablierten Protokoll und die wenigsten Ärzte haben Erfahrung mit ihrem Einsatz.
Ende 2022 wurde auch der erste mit Xylazin assoziierte Todesfall in Europa gemeldet. Ein Brite wurde tot in seiner Wohnung aufgefunden, in den Analysen konnten Fentanyl, Heroin, Kokain und Xylazin nachgewiesen werden. Die Autoren schreiben in ihrem Bericht: „Da Xylazin kein Opioid ist, wurden Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit von Naloxon bei einer Überdosierung geäußert. Wenn man jedoch bedenkt, dass bei den meisten Überdosierungen Opioide eingesetzt wurden, könnte Naloxon einige der atemdepressiven Wirkungen dieser Substanzen aufheben. Es ist zu beachten, dass die sedierende Wirkung von Xylazin bei einer Überdosierung Berichten zufolge zwischen 8 und 72 Stunden anhält, was eine zusätzliche Behandlung erforderlich macht. Ärzte sollten wissen, welche unterstützende Behandlung sie in solchen Situationen anbieten müssen: die Atemfunktion des Patienten sollte durch endotracheale Intubation oder Beatmung aufrechterhalten, die Herztätigkeit mit einem Elektrokardiogramm (EKG) und die Vitalzeichen auf Hyperglykämie überwacht werden. Außerdem sollte eine intravenöse Flüssigkeitssubstitution oder eine Magenspülung durchgeführt werden, um die Substanzen schnellstmöglich aus dem Körper zu bekommen.“
Berichten zufolge haben einige US-Bundesstaaten bereits die Vorschriften für den Umgang und die Lagerung von Xylazin verschärft. Auch sollen im ganzen Land Test-, Behandlungs- und Betreuungsprotokolle erstellt worden sein, um den Opfern besser zu helfen. Und in Europa? In einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks heißt es, das LKA gehe in naher Zukunft nicht von einer Zunahme an Fällen im Zusammenhang mit Xylazin aus. Das liege unter anderem an den unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten. Fentanyl werde zwar auch in Deutschland als Droge konsumiert, aber nicht annähernd im gleichen Ausmaß wie in den USA. Der Missbrauch von Fentanyl sei hier tendenziell eher rückläufig und es bestünden auch keine Hinweise auf eine Zunahme der Verbreitung von Xylazin im Kontext des Fentanylkonsums. In Deutschland kämen Konsumenten zum Großteil über Apotheken oder den Pharmagroßhandel an das Opioid, wird die Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen zitiert. Mit Verunreinigungen sei da eher nicht zu rechnen.
In Deutschland sind die Suchthilfestellen zudem recht gut im Bilde, was die Zusammensetzung der in der Szene konsumierten Drogen angeht. Durch Beobachtungsstellen für Drogen und Drogensucht wird das Drogenkonsumverhalten hierzulande außerdem alle drei Jahre durch epidemiologische Studien erfasst und in Berichten veröffentlicht. In den USA werden diesbezüglich zu wenige Daten gesammelt – dort wird sich hauptsächlich auf die Strafverfolgung konzentriert. Ein US-Mediziner, der in diesem Bereich forscht, kritisiert das dortige Vorgehen: „Wir erfahren erst, was in den Straßendrogen drin ist, wenn es zu spät ist, wenn die Leute entweder tot oder verhaftet sind.“ Die Polizei wisse dort oft nicht mal, welche Drogen im Umlauf seien. Man kann nur hoffen, dass nicht schon das nächste gefährliche Streckmittel in Umlauf ist.
Weitere Quelle:
Löscher, W., Richter A., Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie für die Veterinärmedizin (2016), Enke (Verlag), 978-3-13-219581-3 (ISBN)
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