Was macht das Gehirn, wenn ihm das Auge Informationen liefert, die im Widerspruch zu Sinneseindrücken der Hand stehen? Würzburger Neurologen haben diese Frage am Beispiel eines klassischen Experiments untersucht. Ergebnis: Das Gehirn macht es sich leicht.
Es ist eine gespenstische Vorstellung: Menschen sehen einen künstlichen Arm vor sich auf dem Tisch liegen und wissen ganz genau, dass es sich um einen künstlichen Arm handelt. Trotzdem haben sie das Gefühl, es handele sich um ihren eigenen Arm. Ihr Gehirn gaukelt ihnen quasi vor, der künstliche Arm sei Teil ihres Körpers – auch wenn es vom Verstand her weiß, dass dem nicht so ist.
Rubber-Hand-Illusion (auf Deutsch Puppenhand-Illusion): Unter diesem Namen ist das entsprechende Experiment mittlerweile in die Literatur eingegangen. 1998 haben es die beiden Psychiater Matthew Botvinick und Jonathan Cohen von der Universität Pittsburgh zum ersten Mal durchgeführt und mit den Ergebnissen für Aufruhr gesorgt. Klassischerweise läuft das Experiment wie folgt ab: Die Versuchsperson legt ihre rechte Hand auf einen Tisch. Wissenschaftler verdecken diese Hand und legen eine künstliche Hand daneben, die allerdings wie echt wirkt. Anschließend streicheln sie mit einem Pinsel oder einer Bürste im gleichen Rhythmus sowohl die verdeckte, echte Hand als auch die sichtbare, unechte. Nach kurzer Zeit hat der Großteil der Versuchspersonen das Gefühl, die künstliche Hand sei Teil ihres Körpers.
Was dabei im Gehirn der Versuchspersonen vor sich geht und welche seiner Teile daran mitwirken, den falschen Eindruck zu verursachen: das haben jetzt Wissenschaftler der Universität Würzburg gemeinsam mit Kollegen in Leipzig und London untersucht. Ihre Arbeit wird demnächst im Journal of Cognitive Neuroscience abgedruckt; online ist sie bereits jetzt zu lesen. „Wir sind der Frage nachgegangen, wie das Gehirn Widersprüche zwischen verschiedenen Sinneseindrücken verarbeitet beziehungsweise auflöst“, sagt Dr. Daniel Zeller, Facharzt für Neurologie an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universität Würzburg und Erstautor der neuen Studie. Denn natürlich ist das ein Widerspruch, wenn das Gehirn zum einen Berührungsreize von der eigenen Hand empfängt und gleichzeitig die Pinselstriche auf der Puppenhand sieht und nun versucht, beide Sinnesinformationen zu einer zusammenführen. Dabei hat die Wissenschaftler vor allem interessiert, welche Regionen der Großhirnrinde damit beschäftigt sind, den falschen Eindruck entstehen zu lassen und wie sie dabei vorgehen.
In ihren Experimenten haben die Wissenschaftler ihre Versuchspersonen drei unterschiedlichen Varianten des Puppenhand-Experiments ausgesetzt: Der erste Fall glich dem klassischen Szenario mit der verdeckten eigenen Hand und einer künstlichen Hand an vergleichbarer Position, die synchron mit Pinseln gestreichelt wurden. Die zweite Variante war identisch aufgebaut – allerdings lag die künstliche Hand dabei umgedreht vor den Probanden. In diesem Fall zeigte also nicht, wie bei der eigenen Hand, der Handrücken nach oben, sondern die Handfläche. Auch dabei kamen zwei Pinsel zum Einsatz. Variante Drei verzichtete ganz auf die künstliche Hand. In diesem Experiment wurde allein die Hand der Versuchsteilnehmer mit dem Pinsel gestreichelt; der täuschende Eindruck der Puppenhand fiel weg. Mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) haben die Forscher während der Versuche die Hirnströme der Teilnehmer gemessen und so untersucht, welche Gebiete wann vermehrt aktiv waren. Daraus konnten sie Schlüsse ziehen, wie das menschliche Gehirn vorgeht, wenn es Sinneneindrücke verarbeiten muss, die im Widerspruch zueinander stehen.
„Unsere Ergebnisse sind gut vereinbar mit dem Konzept des sogenannten ‚Predictive Coding‘ bei multisensorischer Integration“, sagt Zeller. Was darunter zu verstehen ist? Vereinfacht gesagt eine Antwort auf die Frage, wie das Gehirn verschiedene Sinneseindrücke, wie beispielsweise Sehen und Fühlen, auf der Basis von Erfahrungen und Erwartungen für sich in Einklang bringt. Wahrnehmungen, die exakt zeitgleich auftreten, werden hierbei bevorzugt als ein Ereignis aufgefasst. „Im Fall der Puppenhand-Illusion könnte das Gehirn zu dem Schluss kommen: Die sichtbare Hand ist aus Plastik und wird in dem gleichen Rhythmus berührt wie meine eigene. Eine Erklärung, die zwar plausibel ist, aber sehr unwahrscheinlich“, erklärt der Neurologe. Die konkurrierende Theorie hingegen sagt: „Ich fühle die Pinselstriche an der zu sehenden Hand – also ist sie meine.“ Diese Theorie ist viel einfacher, stimmt aber nicht ganz mit dem Empfinden der Armposition überein.
Eine Lösung für diesen Widerstreit zweier Theorien könnte im Sinne des Predictive Codings so aussehen: Das Gehirn dreht an der Stellschraube seiner sensorischen Präzision und variiert damit seine Aufmerksamkeitszuteilung. Wenn es auf diese Weise den somatosensorischen Input – sprich: die Empfindung der Armposition – vermindert, verschwindet auch der Widerspruch zwischen den Informationen, die das Auge übermittelt, und denjenigen der Armposition. Genau diese Vorgehensweise zeigte sich in den Messungen der Gehirnströme der Versuchsteilnehmer: Wenn die Probanden bestätigten, dass die Puppenhand-Illusion bei ihnen ausgelöst wurde, zeigten sich im EEG charakteristische Muster. Diese lassen sich so interpretieren, dass das Gehirn störende somatosensorische Informationen aktiv unterdrückt, wenn es mit zwei gegensätzlichen Theorien konfrontiert wird. Originalpublikation: Sensory Processing and the Rubber Hand Illusion—An Evoked Potentials Study. Daniel Zeller et al.; Journal of Cognitive Neuroscience, doi:10.1162/jocn_a_00705; 2014