Wissenschaftler entdeckten nun, dass eine einzige Dosis eines Wirkstoffes, der häufig in der Behandlung der Depression Anwendung findet, innerhalb weniger Stunden zu messbaren Veränderungen im gesamten Gehirn führt.
Die Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben entdeckt, dass der Wirkstoff Escitalopram, der die Verfügbarkeit des Botenstoffes Serotonin beeinflusst, funktionelle Vernetzungen stark verändert - also die synchrone Gehirnaktivität in verschiedenen Hirnarealen in Ruhe. Escitalopram beeinflusst dabei, welche Netzwerke des Gehirns gleichzeitig aktiviert werden, also im Gleichklang „schwingen“, wenn sich das Gehirn im Ruhezustand befindet. Dieser schnelle und weitreichende Effekt von Escitalopram ist außergewöhnlich, denn die antidepressive Wirkung dieser Medikamentenklasse benötigt meist zwei bis drei Wochen, um sich voll zu entfalten. Die aktuelle Studie lässt vermuten, dass die Wirkung der Serotonin-Wiederaufnahmehemmer auf die Ruhe-Vernetzung des Gehirns nur wenige Stunden nach der ersten Einnahme beginnt. Eine Vielzahl von Hirnregionen, sowohl im Hirnstamm als auch in der Hirnrinde, wird von den Nervenzellen versorgt, die ihre Signale über Serotonin weiterleiten. Die Leipziger Forscher haben gesunde Probanden, die noch nie Antidepressiva eingenommen hatten, drei Stunden nach einer einmaligen Dosis von Escitalopram für 15 Minuten in einem Hirnscanner untersucht. Der Scan erfasst den Sauerstoffgehalt des Blutes als ein indirektes Maß für die Aktivität von Hirnregionen. Im Vergleich zu konventionellen Untersuchungen mittels funktionaler Magnetresonanztomografie (fMRT) verläuft dieser Scan im Ruhezustand, ohne dass der Studienteilnehmer im Scanner eine Aufgabe lösen muss, und macht die Architektur sogenannter funktioneller Ruhenetzwerke im Gehirn sichtbar. Vergleich der Netzwerkzentralität zwischen Einmaldosis von 20 Milligramm Escitalopram (rechts) und Placebo (links). Bereiche mit hoher Zentralität sind orange. Drei Stunden nach Einnahme kommt es zu starken Veränderungen der funktionellen Netzwerkarchitektur im gesamten Gehirn. © Schaefer et al., Current Biology 2014 Nach der Einnahme von Escitalopram ließen die Probanden ihren Gedanken freien Lauf, während die Forscher Gehirnscans durchführten, um daraus dreidimensionale Bilder der individuellen Gehirne und deren Netzwerke zu rekonstruieren. Eine computergestützte Analyse erlaubte es ihnen dann, die Zahl der einzelnen Netzwerkverbindungen zwischen diesen dreidimensionalen Bildpunkten zu bestimmen und auf diese Weise das gesamte Gehirn zu erfassen. „Die einmalige Einnahme von Escitalopram reduzierte die funktionellen Ruhenetzwerk-Verbindungen in den meisten Hirnregionen. Allerdings nahm gleichzeitig die Aktivität von Ruhenetzwerken im Kleinhirn und im Thalamus zu“, erklärt Julia Sacher vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften. Diese Beobachtungen liefern Hinweise auf eine wichtige Rolle von Serotonin für die funktionelle Netzwerk-Architektur des gesamten Gehirns. Die Forscher wollen als nächsten Schritt die Variabilität dieser Ruhenetzwerkarchitektur zwischen verschiedenen Patientengruppen untersuchen. Besondere Hoffnungen setzen sie auf Vergleiche zwischen Patienten, die auf die Behandlung durch Antidepressiva unterschiedlich ansprechen. In zukünftigen Experimenten soll getestet werden, ob sich diese Methode dazu eignet, einen Therapieerfolg besser vorherzusagen. Originalpublikation: Serotonergic modulation of intrinsic functional connectivity Julia Sacher et al.; Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2014.08.024; 2014