Die 21-jährige Paula wartet mit gepackter Tasche auf uns. Zuerst denke ich noch, dass die junge Frau vielleicht etwas übertreibt. Das ändert sich, als sie im Rettungswagen schwallartig Blut spuckt.
Der RTW fliegt die Rampe zur Nothilfe hoch. Das ABS stottert. Wenn wir später wieder herauskommen, haben die Reifen dunkle Spuren auf den grauen, fleckigen Asphalt radiert. Der RTW wird mit Blaulicht, laufendem Motor, offenen Türen und aktivierter Innenbeleuchtung direkt vor der Schiebetür der Nothilfe stehen, vor den herumstehenden Passanten und Angestellten der Klinik, deren Gesichter eingefroren sein werden. Und im Patientenraum wird es aussehen wie in einem Schlachthof.
Meine Kollegin Marlene stürzt aus dem RTW, reißt die hinteren beiden Türen auf. Ich knie über der Patientin auf der Trage und versuche, die aufgerissene Arterie zu komprimieren. Meine beiden Gummihandschuhe sind mittlerweile kaputtgegangen, Blut klebt an Wänden, auf Geräten und überall an uns. Aus dem Mund der jungen Frau kommen gurgelnde Geräusche. Sie ertrinkt an ihrem eigenen Blut. Den venösen Zugang hat Marlene vorhin gerade noch so hineinbekommen in die Ellenbeuge, kurz bevor das Venengeflecht durch den Volumenmangel gänzlich kollabierte.
Jetzt endlich die Notaufnahme. Den RTW verlassen, Trage raus und vorbei an aufgerissenen Augen in den Schockraum, in dem alles bereitsteht. Auf dem Boden des Schockraumes sind die Buchstaben der entsprechenden Fachrichtungen geklebt, damit man weiß, wer welche Position bekleidet. Der Anästhesist fixiert die Patientin mit hochgezogenen Augenbrauen und bewegt nur seinen rechten Arm, um den Absauger anzuschalten und anschließend den Schlauch mit dem geöffneten Fingertip zu greifen. Der Leiter des Schockraumes streift die Belegschaft mit seinem Blick, nimmt die Kladde und klickt auf den Kugelschreiber: „Achtung, Übergabe – Ruhe, bitte!“
20 Minuten zuvor sah die Situation noch ganz anders aus. Wir rollten vor die Haustür der 21-jährigen Paula, die sieben Tage zuvor eine Tonsillektomie über sich ergehen lassen musste. Ihre Mandeln waren seit langem mehrfach im Jahr entzündet und irgendwann hatte sie genug davon, ständig außer Gefecht zu sein. Der HNO-Arzt sah die Indikation zur Entfernung der Tonsillen als gegeben und klärte Paula auch über die Risiken auf und dass es jederzeit unerwartet zu Komplikationen kommen könnte. Paula wollte es trotzdem, denn irgendwann sollte endlich Ruhe sein damit.
Die Operation selbst wurde in einer mittelgroßen Klinik durchgeführt. Nach fünf Tagen wurde Paula wieder entlassen – bis sie am siebten Tag Blut schmeckte. Sie zögerte nicht. Ihr HNO-Arzt riet ihr sofort zum Notruf, sollte dies passieren. Sie nahm das Telefon und wählte die 112 und meine Kollegin Marlene und ich kamen ins Spiel. Als der Alarmempfänger piepte, dachte niemand von uns an etwas Böses, oder dass wir diesen Einsatz niemals vergessen würden. Nein – wir dachten zuerst, dass ein grundsätzliches Entsenden als Rettungswagen sogar etwas übertrieben wäre. Diese Denke ist gefährlich und entsteht, wenn man eine gewisse Einsatzkategorie einfach noch nie erlebt hat. Dazu kommt, dass die schwallartige Tonsillen-Massenblutung ein außerordentlich seltenes Krankheitsbild darstellt. In einer Studie trat bei gerade einmal sieben der 6.602 Patienten eine ligaturbedürftige Massenblutung auf. So kam es, dass ich niemanden in meinem Kollegenkreis kannte, der je so einen Einsatz erlebt hätte. Genau wie meine Kollegin und ich.
Die Angst vor einer derartigen Situation ist berechtigt. Es gibt nicht viele Maßnahmen, die sich in diesem Moment als hilfreich erweisen. Die Patientin Paula erhielt zunächst etwas Kühles, um es sich an die entsprechende Stelle zu halten. Da sie bereits mit einer gepackten Tasche vor ihrer Haustür stand, konnte sie auch problemlos in den RTW einsteigen. Marlene und ich kannten die Vorgaben und auch die Forderung der HNO-Ärzte, immer einen venösen Zugang zu etablieren und einen Patienten voranmelden zu lassen. Ich setzte sie also auf den Stuhl und drückte ihr eine Nierenschale in die Hand. Ich sagte ihr, sie solle das Blut nicht schlucken, sondern lieber ausspucken. Den Zugang wollte ich unterwegs legen, was zu diesem Zeitpunkt im Rettungsdienst zwar nicht vorbildlich, aber durchaus üblich war. Bis in die Zielklinik hatten wir vier Kilometer vor uns. Als wir gerade angefahren waren, drückte sich ein Schwall Blut aus Paulas Mund. Sie versuchte es zuerst zurückzuhalten, hustete das Blut dann aber durch den geschlossenen Mund und die Nase. Dann schnappte sie nach Luft. „Sofort anhalten und nach hinten kommen!“, rief ich zu Marlene.
Ich schnallte Paula ab und zog sie mit Marlene zusammen auf die Trage. Marlene griff sich das Zugangsset und etablierte mit bemerkenswerter Zielsicherheit eine graue Nadel in der Armbeuge. Als Paula den Mund öffnete, sprühte ein fingerdicker pulsierender Strahl Blut heraus. Ich hatte eine Kompresse und die Magillzange aus der Schublade gerissen. Die Kompresse faltete ich mehrfach, sodass sie die Form eines Knödels angenommen hatte. Meine Finger griffen die Zange, nahmen die Kompresse auf und schoben sie an den Zähnen vorbei in ihren Mund. Ich presste die Kompresse auf den Bereich, an dem sich einmal eine Tonsille befand. Dann die Infusion im Schuss. Die nächste lag schon bereit. Marlene stürzte ans Steuer und gab Gas. „Notarzt?“, schrie sie nach hinten. „Wir könnten irgendwo ein Rendezvous machen.“ Dabei wäre aber Zeit verlorengegangen, die Paula nicht hatte, also ließen wir es bleiben. Den Patienten kann ein Notarzt in diesem Moment ohnehin nicht retten, sondern nur ein erfahrener HNO-Arzt und ein freier Operationssaal. Wir hatten beides gebucht.
Ich definiere für mich mehrere Eskalationsstufen. Wir trafen die Patientin in Stufe 1 an, in der eine leichte Blutung ohne A-, B- oder C-Problem vorliegt. Hier geht es lediglich darum, Ruhe auszustrahlen und dem Patienten Eis zur äußeren Kühlung auszuhändigen („Eiskrawatte“). Er sollte möglichst sitzend, mit aufrechtem Oberkörper transportiert werden. Das Blut soll der Patient nicht hinunterschlucken, sondern ausspucken. Ein venöser Zugang sollte vorbereitend etabliert werden. Der Patient ist in einer Klinik mit HNO-Abteilung vorab anzumelden. Easy going also.
Stufe 2: Der Patient ist blass und hat auch Atembeschwerden. Eine mittelschwere Blutung im Halsbereich verursacht ein mögliches A-Problem. Wenn der Zustand des Patienten dem Team insgesamt ein schlechtes Bauchgefühl macht, ist es an der Zeit, darauf zu hören und sich darauf vorzubereiten, dass es rapide schlimmer werden kann. An dieser Stelle ist es angezeigt, sich frühzeitig um eine Möglichkeit zu bemühen, Atemwege auch freizuhalten. Dazu sind ein Absauger sowie ein großlumiger Absaugkatheter oder einfach direkt der Schlauch des Absaugers notwendig.
Blutverlust könnte maskiert werden, wenn der Patient viel Blut ungesehen hinunterschluckt. Es drohen massive Schwierigkeiten durch ein sehr schnell progredientes C-Problem, obwohl der Patient augenscheinlich gar nicht so viel Blut verliert. Die Kreislaufsituation ist somit ebenfalls akut bedroht. Der Patient erhält deshalb nach Möglichkeit mindestens einen großlumigen Zugang und Infusionslösung sowie Sauerstoff, wenn er dies toleriert. Muss der Patient sediert werden, erhält die Gabe von Esketamin die Schutzreflexe und senkt den Blutdruck nicht.
Stufe 3: Eine schwallartige Massenblutung bedeutet unmittelbare Lebensgefahr – Sekunden entscheiden. Der Helfer muss sich in unmittelbarer Nähe des Patienten befinden und sofort mit der Kompression der Blutungsquelle beginnen, um den Patienten vor dem Verblutungs- oder Erstickungstod zu retten. Die Schutzreflexe gelten als nicht mehr sicher. Verschiedene Literaturquellen empfehlen hier zwar die Intubation – ich persönlich habe aber live und in Farbe erlebt, dass wir als Rettungsdienstbesatzung in dieser Phase Zeit für nichts hatten, außer das offene Gefäß zu komprimieren und Gas zu geben. Wir reden von einer aufgerissenen Arterie im Halsbereich, die ohne sofortige Intervention ungefähr 500–600 Milliliter Blut pro Minute hinausbefördern kann. Eine Intubation bei einem derartigen Blutverlust bedeutet vor allem für nicht ausreichend geübtes Personal einen aussichtslosen Blindflug, auf dem auch ein Videolaryngoskop wertlos ist. Mein Resümee ist, die präklinische Intubation dringend zu vermeiden und zu versuchen, als oberste Priorität unter Verwendung von Sonder- und Wegerechten in die Klinik zu gelangen. Zur allergrößten Not muss der Patient gleich in der nächstgelegenen Klinik auch ohne HNO-Fachabteilung erstversorgt werden – in einer Klinik hat der Patient grundsätzlich immer die größeren Chancen als in einem Rettungswagen. Und wenig überraschend: Stufe 1 kann wie in diesem Fall sofort zu Stufe 3 werden.
Bei Paula sah ich in diesem Moment die direkte Kompression und Flüssigkeitszufuhr als die einzigen Maßnahmen, die ich sofort und vor allem allein hinten durchführen konnte, bis wir endlich im Schockraum ankamen. Blut strömte mittlerweile auch aus beiden Nasenlöchern. Bis wir die Klinik erreichten, war Paula nicht mehr ansprechbar. Später wurde bei ihr eine Gefäßarrosion der linken A. palatina descendens festgestellt. Das Notfalllabor ergab einen Hb-Wert von 5,3 g/dl. Wir hatten in mehrerlei Hinsicht Glück: Erstens hat Paula sofort reagiert und nicht erst gewartet, „bis es besser wird“. Zweitens lag die Zielklinik nur eine kurze Strecke entfernt und die Klinik selbst bot die erforderliche Kapazität sowie Fachabteilung zur Versorgung. Drittens wurde der OP sofort geblockt. Und viertens haben wir rein intuitiv die Entscheidung „Treat and run“ getroffen, ohne uns mit Unwesentlichem aufzuhalten.
Ich kenne keine Algorithmen-basierte Strategien für einen Notfall wie diesen – vermutlich mangels Evidenz, weil ein derartiges Krankheitsbild zu selten auftritt. In genau diesen Fällen jenseits der Routine besteht unser Handeln dann nur noch aus unkonventionellen Lösungsansätzen, ohne konkreten Plan, mit dem Versuch, parallel zu arbeiten, statt sequenziell. Dass es funktionieren kann, sieht man an diesem Fall: Paula hat überlebt.
Bildquelle: Maan Limburg, Unsplash