Ist Migräne eine metabolische Erkrankung – und wenn ja, lässt sich dort therapeutisch ansetzen? Eine deutsche Migräneklinik nimmt sich der Sache jetzt an.
Migräne betrifft in unterschiedlicher Intensität zwar 10 bis 15 Prozent der Menschheit – aber so richtig klären, was sich hinter dieser Erkrankung verbirgt, konnte die medizinische Forschung bisher nicht. Akuttherapien setzen in erster Linie bei der Schmerzlinderung an. Prophylaktika sind zumindest teilweise neuropharmakologisch ausgerichtet. Aber so richtig zufriedenstellend ist das alles bisher nicht, vielen Patienten kann medikamentös nur begrenzt geholfen werden. Umgekehrt gibt es immer wieder Berichte von Patienten, die durch Lebensstilveränderungen sehr viel erreichen konnten. Was steckt pathophysiologisch dahinter?
Die Neurowissenschaftlerin Dr. Elena Gross aus Basel glaubt, zumindest eine Teilantwort zu haben. Die Migräne sei eine sehr heterogene Erkrankung, aber es gebe immer mehr Hinweise darauf, dass eine große Subgruppe der Betroffenen Stoffwechselprobleme habe. Dabei geht es konkret um den Energiestoffwechsel des Gehirns. Das Gehirn ist dank Blut-Hirn-Schranke für die Energiegewinnung im Wesentlichen auf Glukose angewiesen, außerdem kann es Laktat und Ketonkörper für die Energiegewinnung nutzen. Mehr nicht.
Könnte es sein, dass im Gehirn von bestimmten Migränepatienten ein latenter Energiemangelzustand herrscht, der zum Beispiel durch eine mitochondriale Dysfunktion, durch oxidativen Stress oder auf anderen Wegen hervorgerufen wird? Bewiesen ist das nicht, aber es gibt mittlerweile einen relativ großen Korpus an Forschung zu dem Thema. „Die Theorie ist, dass das Migränegehirn mittels der Migräne warnt, wenn es zu wenig Energie hat“, so Gross, die an der Universität Basel geforscht und 2018 das BioTech-Unternehmen KetoSwiss gegründet hat.
Diese Theorie passe zumindest zur klinischen Präsentation, betont Dr. Caroline Jagella, Chefärztin der Migräne-Klinik Königstein im Taunus. Frühe Symptome einer Migräne ähnelten oft denen einer Unterzuckerung, was die Energiemangelhypothese stützen würde. Dass Schlafentzug Migräne triggern kann bzw. umgekehrt viele Migränepatienten im Anfall erst einmal schlafen, könnte auf eine Rolle von oxidativem Stress hindeuten. Der wird nachgewiesenermaßen durch Schlafentzug verstärkt. Wenn an all dem etwas dran sein sollte, dann wäre es zumindest denkbar, dass präventive Maßnahmen, die auf „mehr Energie“ bzw. „weniger oxidativen Stress“ zielen, bei (zumindest einem Teil der) Migränebetroffenen Erfolge zeitigen könnten.
Jagella und Gross haben nun ein neues Versorgungsangebot für Migränepatienten vorgestellt, das sich einer möglichen metabolischen Genese von Migräne annimmt. Das Programm soll in Kürze an der Klinik in Königstein ausgewählten ambulanten Migränepatienten angeboten und dort dann auch wissenschaftlich begleitet werden. Es handelt sich um eine Ernährungs- und Lebensstilintervention mit mehreren Säulen und begleitet von digitaler Dokumentation durch die Patienten.
Komponenten sind unter anderem eine Ernährungsumstellung in Richtung Vollwertkost mit dem Ziel, den Blutzucker zu stabilisieren und den oxidativen Stress zu senken. Dazu werden nach Bedarf unterschiedliche Mikronährstoffe supplementiert. Zentrale Komponente ist schließlich eine Supplementierung mit Ketonkörpern, konkret einem speziell für die Migräneversorgung entwickelten Produkt von KetoSwiss, das u. a. Betahydroxybutyrat (BHB) enthält.
Jagella betonte bei der Vorstellung des neuen Versorgungsangebots, dass man sich bei den Themen metabolische Migräne allgemein und im Speziellen Migräneprophylaxe mit Supplementierung von Ketonkörpern noch ganz am Anfang befinde. Sie hoffe, mit dem Königsteiner Angebot dazu beitragen zu können, nötige Daten zu generieren. Eingebettet ist das Ganze in ein leitliniengemäßes Versorgungskonzept, wie es an dieser und anderen Migränekliniken ohnehin angeboten wird.
Eine zentrale Frage dabei ist die der Patientenselektion. Wenn die Hypothese lautet, dass nur eine Teilmenge aller Migränepatienten eine metabolische oder zumindest relevant metabolisch mitbestimmte Migräne aufweisen, dann müssen diese identifiziert werden. Hier gibt es Vorarbeiten. An der Neuropädiatrie des Universitätsspitals Basel lief eine kürzlich in Cephalalgia publizierte, randomisierte Studie mit BHB, an der 41 Patienten teilnahmen. Gross war daran beteiligt.
In dieser Studie gab es zwar keinen signifikanten Effekt von BHB auf die Migräne. Es konnte allerdings post-hoc eine metabolisch-inflammatorische Signatur identifiziert werden, die mit einem Ansprechen auf BHB korrelierte. Zu den Biomarkerkandidaten zählen hochnormales CRP und ein hochnormaler HbA1c-Wert. Auch Schilddrüsenparameter und phosphatstoffwechselbezogene Parameter seien vielversprechend, so Gross.
Auf therapeutischer Seite gibt es neben der BHB-Studie bisher lediglich durchweg kleinere klinische Studien, die sich die ketogene Diät im Zusammenhang mit Migräne angesehen haben. In Turin beispielsweise wurden 50 Patienten entsprechend behandelt. 38 davon hielten über sechs Monate durch und bei diesen gab es eine deutliche Symptomreduktion. Das Problem an der ketogenen Diät ist, dass sie auf Dauer kaum umsetzbar ist. Das Königsteiner Programm versucht deswegen, die ketogene Diät jetzt quasi nachzubauen, durch eine Verbindung von Supplementen einerseits und weniger eingreifenden und damit langfristiger tragbaren Ernährungsinterventionen andererseits. „Unseres Wissens werden wir weltweit die erste Klinik sein, die das in dieser Weise testet“, so Jagella.
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