Mit Wurminfektionen ist nicht zu spaßen – denn die Parasiten gehen auf Wanderschaft. Wohin es die ungebetenen Gäste im schlimmsten Fall verschlägt, mussten ein Deutscher und eine Australierin am eigenen Leib erfahren.
Manchmal ist es für Ärzte nicht leicht, eine Diagnose zu stellen: unspezifische Symptome, fehlende diagnostische Mittel, Seltenheit der Erkrankung oder mangelnde Mitarbeit der Patienten können das Ganze erschweren. Zwei aktuelle Fälle zeigen die möglichen Konsequenzen einer späten Diagnose.
Der erste Fall handelt von einem 50-jährigen Mann aus Leipzig, der sich mit schweren Unterbauchschmerzen vorstellt. Seine Vorerkrankungen belaufen sich auf Typ-2-Diabetes, COPD und eine vor fünf Jahren operierte Leistenhernie. Eine Immunsuppression liegt nicht vor.
Die Ärzte machen einen CT-Scan und finden Hinweise auf ein mögliches hepatisch metastasiertes Malignom. Daraufhin führen sie eine Koloskopie durch – und finden einen Darm voller Würmer. Eine Biopsie ergibt eine ausgeprägte eosinophile Entzündungsreaktion als Folge der Wurminfestation, der Verdacht eines Malignoms bestätigt sich nicht.
Starker Befall durch Madenwürmer im Darm des Patienten. Credit: Julian Riedel, Ulrich Halm, Christian Prause, Florian Vollrath et al.Bei den Würmern handelt es sich um Enterobius vermicularis, auch Madenwurm genannt. Er infiziert den Dickdarm und wird auf fäkal-oralem Weg übertragen. Er ist der häufigste Helminthen-Erreger der westlichen Welt und kommt vor allem in kleinen Kindern vor. Ein Befall der Leber ist allerdings eine Seltenheit – weltweit gibt es erst sechs bekannte Fälle.
Der Patient berichtet später, dass er schon über mehrere Jahre hinweg Würmer in seinem Stuhl beobachtet hatte. Da er aber keinen Arzt aufsuchte, konnten sich die Madenwürmer ungestört vermehren. Die Ärzte vermuten, dass die langjährige Entzündungsreaktion des Darms schließlich zu einer Störung der Schrankenfunktion der Darm-Mukosa geführt hat und so die Madenwürmer in die Leber gelangen konnten.
Der Patient wird mit Albendazol behandelt und nach zwei Monaten können keine Madenwürmer mittels Klebestreifenpräparat mehr nachgewiesen werden. Eine Sonografie zeigt keine anhaltende hepatische Wurminfestation oder Thrombose.
Dieser Fall zeigt, wie wichtig ein frühzeitiger Arztbesuch ist. Madenwürmer sind zwar weitverbreitet und behandelbar – eine Behandlung kann aber nur erfolgen, wenn sich der Patient auch zum Arzt begibt.
Im zweiten Fall geht es um eine 64-jährige Patientin aus Australien, die – anders als der Leipziger Patient – schon sehr früh ärztliche Hilfe aufsuchte. Es dauerte aber eineinhalb Jahre, bis endlich die Ursache gefunden werden konnte. Währenddessen macht sie eine wahre Leidensodyssee durch.
Alles beginnt im Januar 2021, als die Patientin plötzlich anhaltende Bauchschmerzen und Durchfall bekommt. Wenige Wochen später entwickelt sich trockener Husten und Nachtschweiß. Ein CT-Scan zeigt multifokale Milchglastrübungen in der Lunge sowie Leber- und Milzläsionen. Die Diagnose der Ärzte lautet chronische eosinophile Pneumonie und die Patientin wird auf Prednisolon gesetzt. Mitte 2021 kommt noch die Diagnose hypereosinophiles Syndrom (HES) hinzu und die Medikation wird um Mycophenolat erweitert.
Die Behandlung lindert die Beschwerden zwar, aber ganz verschwinden sie nicht. Ab Anfang 2022 leidet die Patientin über Monate hinweg an Vergesslichkeit und einer fortschreitenden Depression. Die Ärzte machen ein MRT des Gehirns und finden eine Läsion im rechten Frontallappen. Eine offene Biopsie folgt – mit unerwartetem Ergebnis.
Als die operierende Neurochirurgin Dr. Hari Priya Bandi mit ihrer Pinzette eine Anomalie am Gehirn anheben möchte, hält sie plötzlich einen zappelnden, 8 cm langen roten Wurm zwischen den Pinzettenspitzen. „Das hatten wir definitiv nicht erwartet“, sagte Bandi später. „Alle waren schockiert.“
Der Wurm wird an verschiedene Labore in Australien geschickt und als Larve im dritten Stadium der Spezies Ophidascaris robertsi identifiziert. Diese Nematoden befallen eigentlich Pythons und wurden noch nie zuvor im Menschen gefunden.
Nach der Entfernung des Wurms durchläuft die Patientin eine medikamentöse Behandlung aus Ivermectin und Albendazol, um mögliche Eier des Wurms abzutöten. Die immunsuppressive Medikation wird eingestellt, indem sie eine 10-wöchige Entwöhnung mit Dexamethason durchläuft. Daraufhin normalisieren sich ihre Blutwerte und die Läsionen in Lunge und Leber verschwinden. Die psychischen Beschwerden bessern sich zwar, halten aber weiterhin an. Ebenso unverändert bleiben die Milzläsionen, welche möglicherweise eine andere Ursache haben, so spekulieren die Ärzte.
Eine große Herausforderung war für die Ärzte in diesem Fall das Finden der richtigen Behandlung. Die Infektion führte zu einem HES, welches unbehandelt lebensgefährlich werden kann. Da die Ursache – die Infektion – allerdings nicht gefunden werden konnte, konnte nur das Symptom – die übermäßige Vermehrung der eosinophilen Granulozyten – mittels Immunsuppressoren behandelt werden. Aber gerade diese Reduktion der Immunabwehr könnte der Grund sein, warum der Wurm schließlich bis ins Gehirn vordringen konnte.
So unterschiedlich die beiden Fälle auch sind, sie haben eines gemeinsam: Die langfristige Infektion hat dazu geführt, dass die Würmer in andere Organe vordringen und erheblichen Schaden anrichten konnten. Der Befall der Leber durch Madenwürmer ist eine absolute Seltenheit, der Befall des Gehirns durch einen Pythonwurm sogar einmalig.
Eine frühzeitige Diagnose – gefolgt von einer gezielten Behandlung – hätten das vermutlich verhindern können. Aber wie soll man eine Diagnose stellen, wenn sich der Patient nicht vorstellt oder der Wurm noch nie im Menschen vorgekommen ist und es keine passenden Tests gibt? Trotz großer medizinischer Fortschritte stehen Ärzte auch heute noch vor großen Herausforderungen – und müssen auch mal um die Ecke denken.
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