Ein 73-jähriger Patient verliert plötzlich sein Gedächtnis. Doch schon am nächsten Tag ist es zurück – und der Patient wieder neurologisch unauffällig. Was steckt dahinter?
Ein 73-jähriger Patient wird in die Notaufnahme gebracht. Seine Ehefrau hatte den Notruf abgesetzt, nachdem er von der Gartenarbeit ins Haus gekommen war und einen verwirrten Eindruck gemacht hatte. Er schien sich nicht mehr an die Geschehnisse des Tages erinnern zu können. So fragte er seine Frau wiederholt, ob das Auto in der Werkstatt sei, obwohl er es am Vormittag selbst dorthin gefahren hatte.
Bei Vorstellung in der Notaufnahme macht der Patient einen ratlosen Eindruck. Er fragt alle zwei Minuten, wie er denn hier gelandet sei. Er verneint körperliche Beschwerden. Die Vitalparameter sind bis auf einen erhöhten Blutdruck (170/95) unauffällig. In der Untersuchung fällt eine zeitliche (Jahr korrekt, Monat und Tag können nicht genannt werden), örtliche und situative Desorientiertheit auf. Seinen Namen, Geburtstag und Wohnort kann er aber prompt nennen. Die weitere neurologische Untersuchung ist unauffällig. Unter der Verdachtsdiagnose einer transienten globalen Amnesie (TGA) wird der Patient zur Überwachung stationär aufgenommen.
Am Folgetag ist die Desorientiertheit verschwunden, der Patient ist beschwerdefrei und neurologisch unauffällig. Er kann sich aber nicht daran erinnern, wie er ins Krankenhaus gekommen ist. Es wird ein EEG durchgeführt, welches einen unauffälligen Befund zeigt. Im MRT des Schädels zeigt sich eine Diffusionsrestriktion im Hippocampus rechts (s. Abbildung unten). Der Patient wird mit der Diagnose TGA entlassen und darüber aufgeklärt, dass keine negativen Folgen für seine Gesundheit zu erwarten sind.
Die TGA ist eine akute neurologische Erkrankung, die zu einer vorübergehenden Amnesie führt. Mit einer Inzidenz von 3–8/100.000 pro Jahr ist sie deutlich seltener als die neurologischen Blockbuster wie ischämischer Schlaganfall, Hirnblutung, Migräne-Attacke oder epileptischer Anfall. Vor allem in der Altersgruppe von 50–70 Jahren, in der die meisten TGA-Fälle auftreten, ist die Erkrankung aber häufig genug, dass einem das Krankheitsbild in der Notaufnahme immer mal wieder begegnet. Grund genug also, sich die Leitlinie zur TGA, deren neue Version dieses Jahr erschienen ist, einmal genauer anzuschauen.
Bei der TGA kommt es zu einer plötzlich einsetzenden Amnesie. Die Amnesie ist sowohl retrograd (zuvor erlebte Dinge werden vergessen), als auch anterograd (es können keine neuen Informationen gespeichert werden). Von der retrograden Amnesie sind vor allem kurz zurückliegende Ereignisse betroffen (die letzten Stunden und Tage), länger zurückliegende Ereignisse werden hingegen besser erinnert. Die Patienten erscheinen verwirrt und hilflos, sie sind zur Zeit und Situation meist nicht oder unvollständig, zur Person aber stets orientiert. Typisch für die TGA ist zudem das ständige Stellen derselben Fragen.
Bis auf die Amnesie bestehen keinerlei neurologische Defizite, auch komplexe motorische Aktivitäten können von den Betroffenen meist ohne Probleme durchgeführt werden. Für den Fall, dass sich in der Untersuchung weitere neurologische Ausfälle zeigen, sollte unbedingt an andere Differentialdiagnosen gedacht werden. Die Amnesie bildet sich in der Regel bis zum Folgetag vollständig zurück, eine amnestische Lücke für einige Stunden bleibt aber bestehen. So können sich die Patienten in der Regel am nächsten Tag nicht daran erinnern, wie sie im Krankenhaus gelandet sind.
Der TGA gehen in der Mehrheit der Fälle Ereignisse voraus, die als Auslöser infrage kommen. Eine ausgeprägte körperliche Anstrengung, wie die schwere Gartenarbeit im Fallbericht, ist ein möglicher Auslöser. Aber auch emotionale Belastungen (z. B. Hund gestorben), ein Sprung ins kalte Wasser oder Geschlechtsverkehr kommen als Auslöser in Frage.
Die genaue Ursache der TGA ist nicht bekannt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine vorübergehende Funktionsstörung der Hippocampi. Diese werden sowohl für die Gedächtniskonsolidierung von neuen Inhalten als auch für den Abruf von Gedächtnisinhalten benötigt, eine Beeinträchtigung in diesem Teil des Gehirns erklärt also die Symptome der TGA. Warum aber die Hippocampi ihre Arbeit einstellen, bleibt rätselhaft. Diskutiert werden eine ischämische Genese, ein Zusammenhang mit Migräne oder eine venöse Kongestion (venöser Rückstau durch Valsalva-ähnliche Manöver). Wahrscheinlich spielen verschiedene Faktoren eine Rolle und die jeweils zugrundliegende Ursache unterscheidet sich je nach Patient.
Die Diagnose einer TGA wird klinisch gestellt, wenn eine akut beginnende und ausgeprägte Neugedächtnisstörung besteht und der Patient keine fokal-neurologischen Defizite oder Bewusstseinsstörung zeigt. Voraussetzung für die Diagnosestellung ist außerdem, dass die Symptome nicht länger als 24 Stunden anhalten und dass dem Beginn kein Trauma oder epileptischer Anfall vorangegangen ist. Wichtig sind die genaue Erhebung der Fremdanamnese und eine gründliche neurologische Untersuchung. Wenn z. B. zusätzlich eine auch nur milde Bewusstseinsstörung vorliegt, können die Symptome Hinweise für eine gefährliche Herpes-Enzephalitis sein. Auf die leichte Schulter sollte man die Symptome also nicht nehmen.
Zusätzlich zur klinischen Präsentation kann die Bildgebung die Diagnose stützen. Meist findet man im MRT eine DWI-Läsion im Bereich des Hippocampus. Die höchste Trefferquote im MRT besteht 24–72 Stunden nach Symptombeginn. Ein unauffälliges MRT schließt eine TGA aber nicht aus. Eine weitere apparative Diagnostik ist meist nicht nötig. Bei rezidivierenden TGAs sollte ein EEG zur Abgrenzung von (allerdings sehr seltenen) transienten epileptischen Amnesien erfolgen.
Typischer MRT-Befund bei einer transienten globalen Amnesie. Diffusionsrestriktion im rechten Hippocampus. Axialer Schnitt, DWI-Sequenz. Credit: Szabo et al., Diffusion-weighted MRI in transient global amnesia and its diagnostic implications. Neurology. 2020.
Das Schöne an der TGA ist die Prognose – im Gegensatz zu vielen anderen neurologischen Erkrankungen ist diese nämlich sehr günstig. Die Defizite bilden sich bis zum Folgetag zurück, auch wenn sich manche Patienten noch für einige Tage weniger leistungsfähig fühlen. Auch die Veränderungen im MRT verschwinden mit der Zeit und es gibt keine Hinweise, dass eine stattgehabte TGA ein Risikofaktor für zukünftige Schlaganfälle oder die Entwicklung einer Demenz wäre. Und so ist es nicht nur für den Patienten und die Angehörigen, sondern auch für den Behandler schön, über die günstige Prognose aufzuklären.
Bildquelle: Annie Spratt, Unsplash