Einen Gesundheits-Check mithilfe nur weniger Haare statt etlicher Röhrchen voll Blut? Ob die Haaranalyse wirklich was taugt, lest ihr hier.
Als Person, die sich nicht nur wissenschaftlich, sondern auch auf Social Media viel mit dem Thema Ernährung auseinandersetzt, werde ich nahezu täglich mit Werbeanzeigen für Haaranalysen zur Überprüfung meines Mikronährstoffstatus konfrontiert. Und damit bin ich gewiss nicht allein – die Kategorien „Food“ und „Gesundheit“ zählen zu den zehn beliebtesten Themen auf Instagram und erreichen daher eine entsprechend große Zielgruppe. Doch was ist dran am Versprechen, sich lediglich wenige Haare abschneiden zu müssen, um eine umfangreiche Diagnostik des Mikronährstoffstatus und noch dazu das individuelle Patentrezept zur Lösung der eigenen gesundheitlichen Probleme zu erhalten?
Wird mir eine Werbeanzeige ausreichend häufig präsentiert, zähle ich definitiv zu der Gruppe an Personen, die früher oder später zumindest auf der Website jenes Produktanbieters landet. Und zugegeben: Das Werbeversprechen der Haaranalyse klingt zunächst durchaus verlockend. Wenige Haare einsenden und ohne weiteren Aufwand erhalte ich zu einem vergleichsweise günstigen Preis eine Auswertung über meinen Mikronährstoffstatus und meinen individuellen Nährstoffbedarf. Die Auswertung der über 70 analysierten Mikronährstoffe soll gleichzeitig einen Fahrplan zur Lösung meiner gesundheitlichen Beschwerden bieten – nämlich indem mir entsprechende Nahrungsergänzungsmittel zum Kauf empfohlen werden, die meine vermeintlich individuell ermittelten Mängel ausgleichen sollen. Das alles ohne Terminvereinbarung, ohne Gang zum Arzt und ohne unangenehme Blutentnahme – klingt so weit ziemlich komfortabel. Aber sind die Ergebnisse auch (haar)genau und entsprechende Empfehlungen valide?
Für die Mikronährstoffdiagnostik werden normaler- und zuverlässigerweise Proben aus Blutserum oder -plasma verwendet. Aber auch Vollblut oder Urin können der Bestimmung bestimmter Mikronährstoffe dienen. Haare kommen ebenfalls als biologischer Marker zum Einsatz; bloß nicht – und das ist wissenschaftlicher Konsens – als Marker zur Mikronährstoffbestimmung. Dass die Analyse mithilfe eigener Haar-Strähnchen dafür standardmäßig nicht geeignet ist, hängt insbesondere mit unzuverlässigen Messergebnissen und fraglicher Aussagekraft ebendieser zusammen. Es fehlt etwa die Evidenz darüber, ob und in welchem Umfang die einzelnen Nährstoffe tatsächlich im Haar eingebaut werden. Dies erklärt unter anderem, dass es keine klare Korrelation zwischen den Ergebnissen einer Haaranalyse und den Analysewerten einer Blutuntersuchung gibt.
Außerdem ist zu bedenken, dass die im Haar eingelagerten Substanzen dem Stoffwechsel des Körpers gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Deshalb spiegeln die Resultate von Haaranalysen, wenn überhaupt, den Zustand der Nährstoffversorgung während des Zeitraums wider, in dem das Haar gewachsen ist – nicht aber den aktuellen oder kurzfristigen Versorgungsstatus. Mögliche Verfälschungen der Messung können weiterhin durch Haarfärbungen oder -behandlungen verursacht werden. Aufgrund dieser Tatsachen ist die vielbeworbene Haaranalyse als aussagekräftige Diagnosemethode für die aktuelle Mikronährstoffversorgung also gänzlich unbrauchbar.
Moment mal: Wenn Haare überhaupt nicht geeignet sind, um den Mikronährstoffstatus zu bewerten, warum boomen dann die Produkte entsprechender Anbieter? Einerseits aufgrund von pseudowissenschaftlichen Erklärungen der Analysemethode, die bei Laien Vertrauen in das Verfahren erwecken. Andererseits aufgrund des geschickten Influencer-Marketings, dem auf Social Media ohnehin häufig irrational Glauben geschenkt wird.
Hinzu kommt, dass angesichts des allseits bekannten und etablierten Verfahrens, Haaranalysen zum Nachweis von Drogen oder Alkohol zu nutzen, die Wenigsten auf die Idee kommen, dieses Verfahren zum Nachweis von Mikronährstoffen überhaupt anzuzweifeln oder zu hinterfragen. Diese fehlende kritische Auseinandersetzung mit dem Nachweisverfahren spielt den Anbietern natürlich in die Karten.
Sicherlich bedienen sich nicht einzig Haaranalyse-Unternehmen irreführender Werbung, aber es macht eben einen elementaren Unterschied, ob ein Werbeversprechen lediglich die Geldbörse der bezirzten Kunden leert, oder noch dazu deren Gesundheit gefährdet. Herausgeschmissenes Geld ist für Kunden nämlich nur das geringste Problem – zu befürchten ist vielmehr die Gefahr, dass ein vorhandener Mikronährstoffmangel nicht verlässlich diagnostiziert wird und Verbraucher sich rundum versorgt in Sicherheit wägen, obwohl eine gezielte Mikronährstoff-Supplementation indiziert wäre. Der unentdeckte Mangel würde sich währenddessen möglicherweise weiter verschärfen, woraus schlimmstenfalls irreversible Schäden resultieren könnten.
Andersherum kann als Ergebnis der Analyse ein angeblicher Mikronährstoffmangel „diagnostiziert“ werden, obwohl dieser klinisch gar nicht vorliegt. Die Folge: Passende Präparate zur Behebung des vermeintlichen Mangels werden unmittelbar angeboten und von vielen Verbrauchern in der Annahme, sie würden ihrer Gesundheit etwas Gutes tun, gekauft und eingenommen. Dass sich blind auf die „Diagnose“ verlassen wird, kann fatale Folgen haben, sollte es zu einer klinisch relevanten Überdosierung einzelner Mikronährstoffe kommen.
Abschließend kommen wir zu dem Ergebnis, dass Haaranalysen nichts weiter als an den Haaren herbeigezogene Geschäftsmodelle sind. Sie lohnen sich allenfalls für die Betreiber, die sich durch ihren bestenfalls nutzlosen, schlimmstenfalls gesundheitsgefährdenden Service Geld in die eigenen Taschen spülen. Nicht aber für die Kunden, denen meist über Instagram oder andere soziale Netzwerke falsche Hoffnung auf die Lösung ihrer gesundheitlichen Probleme gemacht wird.
Insofern ist nicht nur von der Durchführung einer Haaranalyse als solches abzuraten, sondern auch das blinde Verlassen auf derartige Auswertungen als absolut riskant zu bewerten. Eine ärztliche Abklärung und Validierung der Ergebnisse, insbesondere der sich daraus ergebenden Empfehlung zur Einnahme von Supplementen ist nicht nur anzuraten, sondern unbedingt notwendig. Besser noch: Man spart sich gleich das Geld für die zwecklose Haaranalyse und lässt sich bei Verdacht auf einen Mangel ärztlich untersuchen.
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