Wissenschaftlern ist es nun gelungen, Resistenzmechanismen gegen Retroviren in chronisch SIV-infizierten Immunzellen zu identifizieren. Ihre Ergebnisse geben Einblicke in antivirale Mechanismen und Überlebensstrategien von CD4-T-Zellen.
Zum Krankheitsbild der Retroviren HIV-1 und SIV – die Erreger von AIDS bei Menschen beziehungsweise Affen – gehört eine starke Verringerung bestimmter Immunzellen im Körper. Allerdings gibt es Fälle, in denen einige dieser Zellen die Fähigkeit erworben haben, die Infektion mit den Retroviren unbeschadet zu überstehen. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) in Göttingen haben nun die Mechanismen untersucht, die mit dem Überleben bestimmter Immunzellen verbunden sind. Die Ergebnisse geben Einblicke in antivirale Mechanismen und Überlebensstrategien von chronisch SIV-infizierten Immunzellen, sogenannten CD4-T-Zellen. Die Immunschwäche AIDS kann heutzutage zwar erfolgreich behandelt werden, allerdings nur durch die andauernde Einnahme einer Kombination starker antiviraler Medikamente. Ohne diese Behandlung verläuft die Krankheit bei fast allen Infizierten auch heute noch tödlich. Nur wenige Patienten, die sogenannten Long-Term Non-Progressors, bilden eine Ausnahme. „Für die Entwicklung neuer Therapieansätze sind vor allem die Immunzellen von Interesse, die es schaffen, die Infektion zu überstehen“, sagt Dr. Manfred Wirth, der die Arbeiten am HZI betreute. Bei der Infektion mit den AIDS-Erregern sinkt die Anzahl der sogenannten CD4-T-Helferzellen im Körper stark ab. Akut infizierte humane T-Zellen sterben normalerweise schon kurz nach der Infektion. Kultiviert man diese Zelllinien allerdings im Labor und infiziert sie dort mit den Viren, so kann man eine Sub-Population von Zellen erhalten, die zwar selbst Virus herstellen, aber die Infektion unbeschadet überstehen. Als Modellvirus für HIV wurde in diesem Fall das Affenvirus SIV herangezogen, da sich beide Viren sehr ähneln.
Wirth und seine Kollegen haben mit SIV akut und chronisch infizierte menschliche CD4-T-Zellen, die am DPZ hergestellt wurden, untersucht: Sie erstellten Genexpressionsprofile, die mithilfe einer neuartigen Netzwerkanalyse-Methode interpretiert wurden. Die Analysen gaben darüber Aufschluss, wie aktiv bestimmte Gene und Proteine im Körper sind. „Wir haben durch diese Analysen herausgefunden, welche Faktoren und Reaktionswege für das Überleben der infizierten Zellen wichtig sind“, sagt Wirth. Das Ergebnis zeigt, dass vielfältige Veränderungen notwendig sind, um die Infektion unbeschadet zu überstehen. Ausschnitt aus dem Protein-Protein-Netzwerk chronisch SIV-infizierter CD4+ T-Zellen. © HZI/Wirth
Verschiedene lebenswichtige Abläufe waren in den überlebenden Zellen anders reguliert als in den Zellen, die am Virus zugrunde gingen. Die Zellen veränderten die Produktion von Faktoren, die sonst für die frühe Phase einer akuten Infektion mit diesen Immundefizienzviren wichtig sind. Außerdem produzierten sie nach der Infektion Stoffe, die die Wissenschaftler normalerweise in diesen Zellen nicht finden „Der erstaunlichste Fund war, dass in SIV-infizierten humanen CD4-T-Zellen auch Caveolin-1 gebildet wird“, sagt Wirth. „Das kommt sonst in diesen Zellen gar nicht vor.“
Caveoline werden mit verschiedenen Zellfunktionen in Verbindung gebracht und spielen für eine Vielzahl von Steuerungs- und Transportvorgänge in der Zelle eine Rolle. „Da es sonst nicht vorhanden ist, könnte dieses Molekül, alleine oder in Kombination mit den anderen gefundenen zellulären Faktoren, zum Überleben der Immunzellen beitragen“, sagt Wirth. Die Ergebnisse liefern wichtige Hinweise, welche Moleküle man ansprechen kann, um das Überleben der CD4-Immunzellen zu beeinflussen. Dieses Wissen gilt es nun auszubauen, um chronische SIV/HIV-Infektionen zu verstehen und langfristig neue Ansätze für die Therapie dieser Immundefizienzviren zu erhalten. Originalpublikation: Identification of molecular sub-networks associated with cell survival in a chronically SIVmac-infected human CD4+ T cell line Feng Q. He et al.; Virology Journal, doi: 10.1186/1743-422X-11-152; 2014