Menschen mit Erkrankungen wie Krebs oder Diabetes, nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall leiden nicht selten zusätzlich an einer Depression. Wie gut wirken bei ihnen Antidepressiva?
Sind Antidepressiva bei Menschen mit vorausgehenden körperlichen Erkrankungen ebenso sicher wie bei Menschen ohne Vorerkrankungen? Dieser Frage sind Forscher der Charité Berlin und der Universität Aarhus in Dänemark jetzt nachgegangen. In einer systematischen Übersichtsarbeit haben sie den weltweiten Forschungstand zusammengetragen und ausgewertet. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift JAMA Psychiatry veröffentlicht.
„Etwa 20 Prozent der Menschen mit körperlichen Erkrankungen leiden gleichzeitig an einer Depression – beides sollte behandelt werden“, sagt Prof. Christian Otte, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Charité Campus Benjamin Franklin. „Bei der Auswahl des passenden Antidepressivums spielen Gegenanzeigen und Wechselwirkungen mit anderen einzunehmenden Medikamenten eine wichtige Rolle. Doch zum Glück gibt es heute eine Vielzahl an Antidepressiva mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, sodass praktisch bei jeder körperlichen Erkrankung mindestens ein passendes Präparat zur Behandlung einer Depression infrage kommt.“
Dennoch ist für Betroffene und behandelnde Ärzte weiterhin offen: Sind Antidepressiva im jeweiligen Fall tatsächlich wirksam und auch sicher? „Bisher gab es auf diese Frage keine gesicherte Antwort“, so Otte. „Denn Zulassungsstudien von Antidepressiva werden fast ausschließlich mit körperlich gesunden Studienteilnehmenden durchgeführt.“
Um den weltweit aktuellen Stand der Forschung zusammenzuführen, hat das Studienteam medizinische Datenbanken nach Meta-Analysen durchsucht. Dabei hat das Team strenge Auswahlkriterien angelegt: „In unsere Arbeit haben nur solche Analysen Eingang gefunden, die Daten randomisierter kontrollierter Studien zusammengefasst haben, da sie am besten geeignet sind, Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten zu untersuchen“, sagt Dr. Ole Köhler-Forsberg, Depressionsforscher an der Universität Aarhus. „Wir haben insgesamt 52 hochwertige Meta-Analysen ausfindig gemacht und für 27 unterschiedliche körperliche Erkrankungen ausgewertet. Darunter waren vor allem Krebs-, Herz- und Stoffwechselerkrankungen sowie rheumatologische und neurologische Krankheiten.“
„Wir konnten zeigen, dass Antidepressiva bei depressiven Patientinnen und Patienten mit körperlicher Erkrankung tatsächlich ähnlich wirksam und sicher sind wie bei Betroffenen ohne eine solche Erkrankung“, so Otte. Zwar verursachten die Antidepressiva etwas häufiger Nebenwirkungen als Placebo, doch sehen die Forscher keine generellen Sicherheitsbedenken für einen Einsatz bei körperlich Erkrankten.
„Diese Ergebnisse sind eine gute Nachricht für Betroffene mit Depressionen und körperlichen Erkrankungen – und sie sind klinisch hochrelevant“, erklärt Otte. „Denn oftmals ist die Lebensqualität insbesondere durch die Depression stark beeinträchtigt. Auch weiß man, dass sich der Verlauf der körperlichen Erkrankung bei gleichzeitigem Auftreten einer Depression verschlechtert. Ergänzend zu anderen Therapiemaßnahmen kann eine Gabe von Antidepressiva den Betroffenen also sehr helfen.“
Die Forscher gehen davon aus, dass die Studienergebnisse in die Nationale Versorgungs-Leitlinie Depression eingehen werden. „Uns hat überrascht, wie wenige große Studien es überhaupt zu dieser Thematik gibt, insbesondere auch bei häufigen Konstellationen wie etwa einer Krebserkrankung und gleichzeitiger Depression. Hier besteht aus unserer Sicht weiterhin großer Forschungsbedarf“, sagt Otte. In zukünftigen Projekten möchte er gemeinsam mit seinem Team herausfinden, ob Antidepressiva womöglich auch über die Bekämpfung einer Depression hinausgehende Wirkungen haben und ob sie beispielsweise einzelne Symptome einer gleichzeitig vorhandenen körperlichen Erkrankung lindern können.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: David Monje, unsplash