In Deutschland könnte es bald ein weiteres Alzheimer-Medikament geben: Experten erwarten die EMA-Zulassung von Lecanemab. Hier findet ihr Antworten auf die wichtigsten Fragen.
In Deutschland wird es vermutlich bald eine neues Alzheimer-Medikament geben: Die EMA entscheidet in den nächsten Monaten über die Zulassung des Wirkstoffes Lecanemab. Ein positives Votum gilt als wahrscheinlich, der Wirkstoff kann dann unter dem Handelsnamen Leqembi® verschrieben werden. In den USA wird Leqembi® schon eingesetzt. Die Alzheimer Forschung Initiative (AFI) beantwortet mit Prof. Stefan Teipel, Leiter der Klinischen Forschung des DZNE am Standort Rostock/Greifswald und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der AFI, die wichtigsten Fragen zum neuen Medikament.
Leqembi® wirkt auf Grundlage einer passiven Immunisierung. Es ist ein Antikörper, der sich gegen Ablagerungen aus dem Protein Beta-Amyloid richtet. In der Zulassungsstudie hat der Antikörper nach 18 Monaten den geistigen Abbau von Patienten um 27 Prozent verlangsamt.
Leqembi® wäre in Deutschland das erste Medikament, das an einer der grundlegenden Krankheitsursachen ansetzt. Trotzdem kann es die Alzheimer-Krankheit weder stoppen noch heilen. Der Krankheitsverlauf kann verzögert werden. Die Wirkung bei Erkrankten wird von vielen Alzheimer-Experten aber als eher gering eingestuft. „Mit Leqembi® kann man einen Krankheitsaufschub von fünf bis sieben Monaten erreichen. Es gibt die Hoffnung, dass sich der Effekt mit längerer Einnahme noch erhöht. Dafür haben wir aber bisher keine Daten. Ob diese Wirkung für Patientinnen und Patienten im Alltag spürbar sein wird, ist daher aktuell noch unklar“, erklärt Teipel.
In der Zulassungsstudie sind bei 17 Prozent der Probanden lokale Hirnschwellungen und Mikroblutungen aufgetreten. In den meisten Fällen verliefen diese symptomlos, aber einige Erkrankte hatten einen schwerwiegenden Verlauf. „Die Behandlung mit Leqembi® kann gravierende Nebenwirkungen haben. Deshalb ist eine engmaschige Kontrolle bei einer Behandlung sehr wichtig“, betont Teipel.
Nur Alzheimer-Patienten in einem frühen Krankheitsstadium kommen für eine Behandlung in Frage. Erkrankte mit bereits fortgeschrittenen Symptomen oder einer anderen Form der Demenz werden nicht von einer Behandlung profitieren. Bei bestimmten Gruppen ist die Gefahr von Nebenwirkungen besonders groß. Deshalb müssen Aufwand, Nutzen und Risiken vor Behandlungsbeginn individuell überprüft werden. „Es muss im Einzelfall immer genau abgewogen werden, wer mit Leqembi® behandelt werden kann. Bei Erkrankten, die Blutverdünner nehmen, und solchen, die eine zweifache Kopie des ApoE4-Gens tragen, wäre ich eher zurückhaltend. Die Gefahr von Hirnblutungen ist für diese Patientinnen und Patienten erhöht“, so Teipel. ApoE4 ist ein Gen, dass das Risiko einer Alzheimer-Erkrankung erhöht. Da die Behandlung zeitintensiv und mit aufwändigen Untersuchungen verbunden ist, müssen Patienten außerdem noch mobil und ausreichend belastbar sein.
„Wie viele Erkrankte für eine Behandlung geeignet sind, ist noch unklar. Das hängt unter anderem davon ab, mit welchen Auflagen eine EMA-Zulassung verbunden sein wird. Aktuell gibt es jährlich rund 200.000 Neuerkrankungen und eine ähnlich hohe Zahl von Menschen, die an einer leichten kognitiven Störung leiden, also an einer Vorstufe der Alzheimer-Krankheit. Von diesen beiden Gruppen wird aber nur ein geringer Prozentsatz für eine Behandlung in Frage kommen.“
Weil nur bestimmte Erkrankte für eine Behandlung geeignet sind, ist zunächst eine gründliche Diagnostik wichtig. Dazu kommt unter anderem entweder eine Liquor-Untersuchung oder eine Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zum Einsatz. Teipel empfiehlt außerdem einen Test zum Nachweis des Alzheimer-Risikogens ApoE4. „Ein ApoE-Gentest sollte gemacht werden, weil das wichtig ist für die Risikoabschätzung von Nebenwirkungen.“
Wird eine Behandlung vom Erkrankten gewünscht und vom Facharzt befürwortet, dann wird Leqembi® alle zwei Wochen durch eine Infusion verabreicht. Nach Angaben der Hersteller dauert eine Behandlung ca. eine Stunde. „Wegen der Gefahr von Hirnschwellungen und -blutungen müssen die Patientinnen und Patienten innerhalb der ersten 15 Behandlungsmonate alle drei Monate zur Magnetresonanztomographie kommen. Treten Unregelmäßigkeiten oder Beschwerden auf, dann muss die Kontrolle durch MRTs engmaschiger erfolgen, zum Beispiel wöchentlich oder zweiwöchentlich“, sagt Teipel.
Eine Behandlung kann nur in spezialisierten Praxen oder Einrichtungen stattfinden, die über die nötigen diagnostischen, therapeutischen und personellen Ressourcen verfügen. „Eine Behandlung können hierzulande universitäre und nicht universitäre Gedächtnissprechstunden aber auch Schwerpunktpraxen anbieten. Nicht alle diese Einrichtungen haben aber aktuell die nötigen Kapazitäten, um Nervenwasseruntersuchungen durchzuführen. Außerdem fehlen in der Regel Infusionsplätze. Da müsste bei einer Zulassung von Leqembi® nachgerüstet werden“, erklärt Teipel.
Für die Kontrolle der Nebenwirkungen werden Magnetresonanztomographen und vor allem erfahrene Radiologen gebraucht. „Hier sehe ich einen möglichen Engpass. Eine lokale Hirnschwellung oder Mikroblutung auf einem MRT-Bild zu erkennen und zu beurteilen, ob diese Veränderungen im Verlauf zugenommen haben, ist sehr anspruchsvoll, zugleich aber wichtig für die Sicherheit der Patienten. Radiologinnen und Radiologen müssten im Falle einer Zulassung entsprechend geschult werden.“
Wie teuer eine Behandlung sein wird, ist noch nicht bekannt. In den USA betragen die Kosten für das Medikament alleine 26.500 Dollar im Jahr, das sind umgerechnet knapp 25.000 Euro. Das beinhaltet noch nicht die Kosten für die Durchführung der Infusionen und der Sicherheits-MRTs. Fachleute rechnen damit, dass eine Behandlung auch hierzulande ähnlich teuer sein wird. Der Preis für ein neu zugelassenes Medikament wird für das erste Jahr vom Hersteller festgesetzt. Die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Alzheimer Forschung Initiative.
Bildquelle: Ana Municio, Unsplash