Dass Kinder und Jugendliche stark von sozialen Medien geprägt werden, ist nicht neu. Wie aber wirken sich die Aufwärtsvergleiche zu den Online-Idolen auf das Selbstbewusstsein und Wohlbefinden aus?
Eine aktuelle Studie des Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) zeigt, dass der Gebrauch von sozialen Medien mit einem geringeren Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen zusammenhängt. Dabei gingen die DIPF-Forscher vor allem der Frage nach, wie dieser Zusammenhang entsteht. Ergebnis: Eine zentrale Rolle kommt sozialen Aufwärtsvergleichen zu. Die Studie ist jetzt im wissenschaftlichen Fachmagazin Communications Psychology erschienen.
„Wir haben herausgearbeitet, dass Kinder und Jugendliche durch den Gebrauch von sozialen Medien ständig Vergleichen mit Personen ausgesetzt sind, die sie für sozial bessergestellt halten – die sie zum Beispiel hübscher finden oder die ihnen wohlhabender, beliebter und glücklicher vorkommen“, erläutert Studienautorin Dr. Andrea Irmer. „Außerdem konnten wir zeigen, dass diese sozialen Aufwärtsvergleiche mit dem Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen zusammenhängen. Je mehr sie also mit dem scheinbar besseren Leben von anderen Personen in den sozialen Medien konfrontiert waren, desto schlechter fühlten sie sich.“
Und nicht nur das: „Unsere Untersuchung ergab weiterhin, dass die Aufwärtsvergleiche den Zusammenhang zwischen der Nutzung von sozialen Medien und dem geringeren Wohlbefinden erst herstellen. Sie scheinen also ein zentraler Faktor zu sein“, so Irmer.
Die DIPF-Forscher führten die Studie mit insgesamt 200 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 14 Jahren sowie jeweils einem Elternteil durch. Eingesetzt wurden Online-Fragebögen, die die Probanden zuhause im Alltag ausfüllen konnten. Die Untersuchung umfasste vier Teile:
Für die statistische Auswertung nutzten die Forscher Mehrebenen-Strukturgleichungsmodelle, um die Zusammenhänge zwischen den Variablen zu analysieren. Insgesamt gingen sie auf zwei Wegen vor: Zum einen verglichen sie die Kinder interindividuell. Dabei schauten sie, ob Kinder, die im 14-Tage-Schnitt mehr soziale Medien nutzten, über ein geringeres Wohlbefinden als die anderen Untersuchten berichteten. Zum anderen betrachteten die Wissenschaftler jedes Kind einzeln – und das an jedem Tag. Hierbei analysierten sie, ob das Kind an Tagen, an denen es mehr soziale Medien nutzte als normalerweise, über ein geringeres Wohlbefinden berichtete. Auch die Rolle der Aufwärtsvergleiche untersuchten die Forscher auf diese zwei Arten. Von dem intraindividuellen Ansatz erhoffen sie sich mehr Hinweise auf Möglichkeiten, die Kinder bei Bedarf gezielt zu fördern.
Im Vergleich der Kinder untereinander kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Teilnehmer, die mehr soziale Medien nutzten, ein geringeres Selbstwertgefühl und eine schlechtere Stimmung aufwiesen. Auch in der täglichen Einzelbetrachtung stellten die Forscher fest, dass die Untersuchten bei einer verstärkten Nutzung von sozialen Medien über ein geringeres Selbstwertgefühl berichteten, nicht aber über eine generell schlechtere Stimmung. Die Nutzung von sozialen Medien ging auch mit sozialen Aufwärtsvergleichen einher. Diese Aufwärtsvergleiche zeigten im Gruppendurchschnitt wie in der täglichen Einzelbetrachtung Zusammenhänge zu einem geringeren Selbstwertgefühl und zu einer schlechteren Stimmung.
Anschließend arbeitete das DIPF-Team heraus, dass erst die Aufwärtsvergleiche den Zusammenhang zwischen der allgemeinen Nutzung sozialer Medien und dem Wohlbefinden herstellen. Im Gruppenvergleich galt dies für beide Dimensionen von Wohlbefinden, in der Einzelbetrachtung nur für das Selbstwertgefühl. Irmer hält fest: „Je nach Analysemethode besteht zumindest ein Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und dem Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen. Dabei spielen die in den Medien stattfindenden sozialen Aufwärtsvergleiche eine entscheidende Rolle.“
Bisherige Forschungsarbeiten zum Zusammenhang von sozialen Medien und Wohlbefinden haben teilweise zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt. Die neuen DIPF-Befunde und damit das Berücksichtigen der Variable „soziale Aufwärtsvergleiche“ helfen eventuell, diese Heterogenität besser zu erklären. Irmer nennt zudem denkbare pädagogische Implikationen: „Es könnte sinnvoll sein, Kinder und Jugendliche stärker darüber aufzuklären, dass soziale Medien nicht die komplette Realität abbilden, sondern bei vielen Akteuren viel mehr die Tendenz besteht, sich besonders positiv darzustellen – bis hin zum Einsatz von Filtern zur Verschönerung von Gesichtsproportionen.“
Zugleich schränken die Wissenschaftler ein, dass zusätzliche Studien notwendig sind, um die neuen Befunde zu erhärten und die Hintergründe der Zusammenhänge besser zu verstehen. Weiterhin könnten die Ergebnisse dadurch beeinflusst worden sein, dass an der Studie vorwiegend Kinder aus sozial bessergestellten Familien teilgenommen haben und dass sich die Untersuchung vorwiegend auf soziale Medien mit vielen visuellen Inhalten konzentriert hat. Ebenso könnten weitere Variablen, die bislang nicht berücksichtigt wurden, von Bedeutung sein – etwa die soziale Interaktion im Freundeskreis.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Prateek Katyal, unsplash