Bei erhöhten TSH-Werten zücken Ärzte manchmal zu schnell ihren Rezeptblock – jeder vierte Betroffene nimmt L-Thyroxin unnötig ein. Worauf es bei der Bestimmung der Schilddrüsenfunktion ankommt, lest ihr hier.
„L-Thyroxin gehört zu den meistverordneten Medikamenten überhaupt“, sagt Prof. Joachim Feldkamp. Aber ist die Behandlung überhaupt bei allen gerechtfertigt? Der Endokrinologe schätzt, dass etwa 25 % der Patienten, die regelmäßig L-Thyroxin einnehmen, das eigentlich gar nicht müssten. Auf der Pressekonferenz zur Hormonwoche der Deutschen Gesellschaft der Endokrinologie weist Prof. Feldkamp, Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Infektiologie am Klinikum Bielefeld Mitte, auf die Problematik der Hypothyreose-Therapie hin.
Die Kontrolle der Schilddrüsenfunktion gehört zur Routine in Hausarztpraxen. Dazu bestimmen Ärzte zunächst oft den Wert des Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH), der normalerweise zwischen 0,3 und 4,2 mU/L liegt. Ein erhöhter Wert deutet auf eine Hypothyreose hin – die Schilddrüse arbeitet nicht mehr richtig und produziert zu wenig Schilddrüsenhormone. Manche Ärzte zücken dann voreilig den Rezeptblock. Feldkamp: „Einzelne Messungen sind mit großer Vorsicht zu genießen. Sie rechtfertigen fast nie eine Therapieentscheidung.“ Nicht hinter jedem erhöhten Wert stecke eine krankhaft bedingte Schilddrüsenunterfunktion.
Der erhöhte Wert kann auch einen vorübergehenden Mehrbedarf an Schilddrüsenhormonen widerspiegeln. Dazu gehören etwa akuter Schlafmangel, körperliche Anstrengung, Infektionen oder Adipositas. Zudem schwankt der TSH-Wert im Tagesverlauf. Morgens sind die Werte meist höher als nachmittags. Auch die Jahreszeit spielt laut einer aktuellen Studie eine Rolle: Im Winter sind die Werte tendenziell höher als im Sommer. Wenn die Patienten ansonsten keine Beschwerden haben, sollte vor der therapeutischen Gabe des Schilddrüsenhormons Thyroxin der TSH-Wert daher nochmals kontrolliert werden – mindestens zwei Monate, besser sechs Monate später. „In 50 bis 60 Prozent der Fälle misst man dann einen Normalwert“, meint Feldkamp.
Von entscheidender Bedeutung für die Einordnung des TSH-Werts sind nicht die Laborwerte selbst, sondern die Symptome des Patienten: Wurde der Wert routinemäßig im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung erhoben? Oder waren neu aufgetretene Beschwerden wie Übergewicht und gestörte Gewichtsregulation trotz verringertem Appetits, Depression oder hohes Schlafbedürfnis der Anlass, das Blut zu untersuchen?
Wenn tatsächlich Beschwerden vorliegen, muss die Schilddrüse weiter untersucht werden. Dazu gehört die Bestimmung der freien Schilddrüsenhormone T3 und T4, der Nachweis von Antikörpern gegen das eigene Schilddrüsengewebe wie TPO-Ak, TG-Ak und TRAK und eine Ultraschalluntersuchung des Organs. Meist ist die Ursache dann schnell gefunden: Die Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis steckt hinter vielen neu entdeckten Hypothyreosen.
Vorsicht ist vor allem bei älteren Patienten geboten, so der Endokrinologe. Da der TSH-Wert im Alter steigt, ist nicht jeder über 80-Jährige mit erhöhtem TSH-Wert behandlungsbedürftig. Im Gegenteil: Eine Übertherapie kann diesen Patienten sogar schaden. Wird der TSH-Wert zu stark gedrückt, erhöht sich z. B. das Risiko für Vorhofflimmern.
Auch bei Patienten, die schon lange Schilddrüsenhormone einnehmen, lohnt es sich, nachzuhaken und die Therapie kritisch zu hinterfragen. „Ich kenne Patienten, die über Jahrzehnte L-Thyroxin eingenommen haben, aber gar nicht genau wissen, wieso überhaupt“, sagt Feldkamp. Früher habe man zum Beispiel per se jeden Schilddrüsenknoten mit einer Hormongabe behandelt, heute würde man die Knoten zunächst beobachten oder vorrübergehend L-Thyroxin zusammen mit Jod verschreiben.
Manchmal stellt sich dann heraus, dass die Betroffenen von der Hormongabe überhaupt nicht profitierten. Allerdings sollten Patienten die Hormone nicht einfach so absetzen, sondern die Dosis schrittweise reduzieren – natürlich zusammen mit dem behandelnden Arzt.
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