Bei jüngeren Herzinfarktpatienten wird oft nicht nur die Infarktarterie revaskularisiert. Aber wie sieht es bei den Älteren aus? Die FIRE-Studie liefert erste Erkenntnisse für neue Empfehlungen.
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung erleiden immer mehr ältere Menschen einen Herzinfarkt. Das Risiko periprozeduraler Komplikationen, sowohl von Blutungen als auch von Ischämien, ist in diesem Patientengut höher als bei jüngeren Menschen und oft entscheidend für die Prognose.
Dass bei jüngeren Betroffenen mit ST-Hebungs-Myokardinfarkt und koronarer Mehrgefäßerkrankung eine komplette Revaskularisation unter Einbeziehung auch von stenosierten Nicht-Infarktarterien (non-culprit lesions) im Vergleich zur alleinigen Revaskularisation der Infarktarterie (culprit lesion) die bessere Strategie ist, konnte bereits durch die große COMPLTE-Studie und eine die COMLETE-Daten einschließende Metaanalyse gezeigt werden (hier und hier).
Der Vorteil einer kompletten Revaskularisation bei älteren Menschen ist dagegen noch unklar, da dieses Patientenkollektiv in den konventionellen randomisierten kontrollierten Studien der Vergangenheit oft nur eingeschränkt thematisiert wurde. In den Leitlinien gibt es bislang noch keine spezifischen Empfehlungen für die Behandlung älterer Menschen. Dr. Simone Biscaglia vom Universitätsklinikum Santa Anna in Ferrara aus Italien ging in der FIRE-Studie der Fragestellung nach, welche Revaskularisationsstrategie für Patienten über 75 Jahre am sichersten und wirksamsten ist. Die Ergebnisse des FIRE-Trials wurden auf dem ESC-Kongress in Amsterdam vorgestellt. Parallel wurden die Ergebnisse im New England Journal of Medicine veröffentlicht.
An der FIRE-Studie waren 34 Zentren in Italien, Spanien und Polen beteiligt. In die Studie eingeschlossen wurden 1.445 Patienten über 75 Jahre (mittleres Alter 80 Jahre, maximal 84 Jahre, 36,5 % Frauen) mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) oder einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und bestehender koronarer Mehrgefäßerkrankung. Probanden hatten eine erfolgreiche perkutane Koronarintervention (PTCA) der Culprit-Läsion und mindestens eine nicht-infarktbezogene (non-culprit) Läsion (Gefäßdiameter > 2,5 mm, angiographische Stenose 50–99 %) und wurden 1:1 randomisiert in die „Physiology-guided“-Gruppe (n = 720) oder die „Culprit-only“-Gruppe (n = 725) zugeteilt. Es wurden mehr NSTEMIs (64,8 %) als STEMIs (35,2 %) eingeschlossen.
Bei den Patienten, die in den Physiology-guided-Arm eingeschlossen wurden, wurde mittels Druckdraht die hämodynamische Relevanz der Non-Culprit-Läsion gemessen und nach der Behandlung der Culprit-Läsion eine PTCA aller funktionell relevanten Läsionen durchgeführt. Dies konnte entweder im Rahmen der Index-Prozedur oder des Index-Krankenhausaufenthalts durchgeführt werden. In der Culprit-only-Gruppe wurde ausschließlich die Infarktarterie behandelt. Es wurden weder eine funktionelle Testung noch eine Revaskularisation vorhandener Non-Culprit-Läsionen durchgeführt. Primärer Endpunkt der Studie war die Häufigkeit der kombinierten Ereignisse Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall und eine erneute ungeplante Revaskularisation im ersten Jahr nach der erfolgten PTCA. Als wichtigen sekundären Endpunkt hatten die Forscher die Kombination aus kardiovaskulären Todesfällen und Myokardinfarkten festgelegt. Der Sicherheitsendpunkt der Studie setzte sich aus Kontrastmittel-induziertem akuten Nierenversagen, Schlaganfall oder Blutung innerhalb eines Jahres zusammen.
Der primäre Endpunkt wurde bei 21 % in der Culprit-only-Gruppe und bei 15,7 % in der Physiology-guided-Gruppe (Hazard Ratio 0,73; 95%-Konfidenzintervall 0,57–0,93; p = 0,01) dokumentiert. Die Number Needed to Treat (NNT), um einen primären Endpunkt zu vermeiden, lag bei 19. Der sekundäre Endpunkt lag bei 13,5 % vs. 8,9 % (HR 0,64; 95%-KI 0,47–0,88; p = 0,005) mit einer NNT von 22. Die Gesamtmortalität (9,2 % vs. 12,8 %; HR 0,70, 95%-KI 0,51–0,96, p = 0,027), die kardiovaskuläre Mortalität (5 % vs. 7,7 %, HR 0,64, 95%-KI 0,42–0,97, p = 0,034), ein Myokardinfarkt (4,4 % vs. 7 %; HR 0,62; 95%-KI 0,40–0,97, p = 0,035) und eine erneute Revaskularisation (4,3 % vs. 6,8 %; HR 0,63; 95%-KI 0,40–0,98, p = 0,041) waren in der Physiology-guided-Gruppe signifikant geringer als in der Culprit-only-Gruppe. Bei dem Auftreten von Schlaganfällen bestand zwischen den beiden Gruppen kein Unterschied (1,7 % vs. 1 %; HR 1,73; 95-%-KI 0,68–4,40; p = 0,25). Hinsichtlich des Sicherheitsendpunktes zeigte sich kein relevanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen (22,5 % vs. 20,4 %; HR 1,11; 95%-KI 0,89–1,37; p = 0,37).
Als Limitation der Studie ist das Open-Label-Design zu nennen. Aufgrund von Komorbiditäten, kognitiven Einschränkungen und Z. n. Bypassoperationen bei älteren Patienten werden die Ergebnisse wahrscheinlich nicht vollständig auf ein allgemeines Patientengut übertragbar sein. Zudem ist unklar, ob eine konventionelle Angiographie-basierte komplette Revaskularisation zu ähnlichen Ergebnissen geführt hätte. Zu den Stärken der Studie zählen das randomisierte Design und die hohe Patientenzahl.
„Eine Physiology-guided komplette Revaskularisation bei Patienten und Patientinnen über 75 Jahre mit Myokardinfarkt und koronarer Mehrgefäß-Erkrankung ist sicher und wirksam“, fasste Dr. Simone Biscaglia, die Ergebnisse des FIRE-Trials auf dem ESC-Kongress in Amsterdam zusammen. Interessant seien aber die Ergebnisse des Langzeit-Follow-up und ob diese Effekte bestehen bleiben.
Die FIRE-Studie bestätigt zusammenfassend das Ergebnis der COMPLETE-Studie. Allerdings bestehen zwischen beiden Studien größere Unterschiede. Das Alter der Teilnehmer war in der FIRE-Studie im Mittel höher als in der COMPLETE-Studie (80 versus 62 Jahre). Anders als in der COMPLETE-Studie wurden in der FIRE-Studie auch viele Patienten mit NSTEMI eingeschlossen. Zudem erfolgte eine Revaskularisation von Nicht-Infarktarterien in der FIRE-Studie nur im Fall von per physiologischer Testung (Druckdraht- oder Angiografie-basierte FFR-Messung) als hämodynamisch relevant identifizierten Koronarstenosen. Die FIRE-Studie schließt damit die bislang bestehende Wissenslücke zum Benefit einer kompletten Revaskularisation bei älteren Patienten (≥75 Jahre) mit akutem Myokardinfarkt (STEMI/NSTEMI) und koronarer Mehrgefäßerkrankung.
Nach den Ergebnissen der Studie ist eine komplette Revaskularisation auch bei Infarktpatienten dieser Altersgruppe mit einer Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen einschließlich Todesfällen assoziiert. Das Ergebnis der FIRE-Studie weist im klinischen Alltag den Weg in Richtung einer umfassenderen Revaskularisierung auch bei den Betagteren. Ob die Studie den Weg in die Leitlinien findet, bleibt abzuwarten. Sicherlich wären weitere Studien mit diesem speziellen Patientenkollektiv (≥ 75 Jahre) wünschenswert.
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