„Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort!“ Gilt das auch für die Ernährung? Eine aktuelle Studie liefert Antworten. Lest hier, wie sich kulinarische Verfehlungen auf den Körper auswirken.
Auch wer keine streng restriktive Ernährung praktiziert und einfach nur darauf achtet, sich insgesamt ausgewogen und bedarfsgerecht zu ernähren, erfreut sich am gelegentlichen Schlemmen. Selbst stringente Ernährungsansätze „erlauben“ gewöhnlich regelmäßige Cheat-Days, um die Darbenden bei Laune zu halten und der Gefahr entgegenzuwirken, in Dogmatismus abzugleiten. Von leichteren gastrointestinalen Befindlichkeitsstörungen abgesehen werden dem sporadischen Junkfood-Konsum keine gravierenden gesundheitlichen Folgen nachgesagt. Interventionsstudien, die das belegen, sind allerdings rar.
Eine kürzlich in Nature Immunology publizierte Studie eines internationalen Forschungsteams vom Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) könnte allen, die am Cheat-Day fettreich-faserarme Kost bevorzugen, aber nun den Geschmack vermiesen. Aus den Ergebnissen geht hervor, dass bereits sehr kurzzeitige, wiederholte Abweichungen von der gesunden Ernährungsroutine – explizit eine ballaststoffarme Kost mit hohem Fettanteil – das Immunsystem unter Erhöhung des Infektionsrisikos signifikant schwächen. Wie groß ist die Gefahr wirklich, durch kurze, aber wiederholte Disziplinlosigkeit beim Essen seiner Gesundheit zu schaden?
Zunächst untersuchten die Wissenschaftler um Prof. Nicola Gagliani in einem mehrzyklischen Cross-Over-Experiment an Mäusen die Wirkung einer mehrfach wiederholten Umstellung von einer ausgewogenen auf eine fettreiche und ballaststoffarme Ernährung. Die Interventionsdauer beider Varianten betrug jeweils drei Tage. Ein analoges Versuchsprotokoll mit einer Interventionsdauer von je fünf Tagen wurde im Anschluss mit freiwilligen menschlichen Probanden durchgeführt.
Im Tiermodel wie in der Humanstudie zeigte sich, dass bereits die erste Umstellung auf fettreich und ballstoffarm zu einer Veränderung der intestinalen Besiedelung führt, die sich besonders in einer Reduktion von Bakterien manifestiert, die Ballaststoffe zu kurzkettigen Fettsäuren metabolisieren. Letztere – allen voran die Propionsäure (C3) – sind in den letzten Jahren als gesundheitsrelevante Metaboliten identifiziert worden (hier und hier), die ihre Wirkung über eine modulierende Funktion im Immunsystem, speziell auf die ins Entzündungsgeschehen involvierten regulatorischen T-Zellen (bes. CD4+), entfalten.
In der UKE-Studie führte bereits der erste Umstieg auf ballaststoffarme und fettreiche Kost zu einer raschen Depression sowohl der mucosalen als auch der systemischen Immunkompetenz, die sich im Mausexperiment in einer signifikant erhöhten Anfälligkeit für gastrointestinale Infektionen etwa mit Salmonellen und Listerien widerspiegelte. Die Studienautoren erklären ihre Ergebnisse mit einer Drosselung der CD4+-T-Zellfunktion und der Zytokinproduktion aufgrund einer beeinträchtigten mTOR-Aktivität als Reaktion auf den Mangel an Ballaststoffen bzw. den daraus mikrobiell produzierten kurzkettigen Fettsäuren. Die immunregulatorische Bedeutung einer mTOR-Inhibition auf das angeborene wie das adaptive Immunsystem ist bereits durch frühere Arbeiten (bspw. Thomson et al. 2009) belegt.
Nach Beendigung der Cheat-Days erholte sich mit Zufuhr gesunder, faserreicher Nahrung das CD4+-System rasch. Mucosales und systemisches Immunsystem fanden zu alter Stärke zurück. Die Conclusio: Kurzfristige Umstellungen auf ungesunde Ernährung der untersuchten Art führen zu einer vorübergehenden Schwächung der Schleimhaut- und Systemimmunität, die ein für die Dauer des ungesunden Essens anhaltendes Zeitfenster für erhöhte Infektionsanfälligkeit öffnet.
Entwicklungsbiologen diskutieren seit Langem, ob es in frühen Phasen der Evolution omnivorer Organismen einen Selektionsdruck für die schnelle Reaktion auf wiederholte Veränderungen des Nahrungsangebotes gegeben hat. Folgte etwa nach längeren Phasen mit limitierter Nahrung ein kurzes Intervall mit üppigem und vielfältigem Angebot, wäre eine rasche metabolische Adaptation vorteilhaft. Im Prinzip entspricht dieser Wechsel aus Alltagsernährung und gelegentlichem Schlemmen unserer heutigen Ernährungsroutine.
Ob die Fähigkeit zur schnellen gastrointestinalen und metabolischen Anpassung an veränderte Nahrungsangebote bei Omnivoren eine genetische Manifestation erfahren hat, ist noch ungeklärt. Die aktuellen Studienergebnisse sprechen dafür, dass unser Darm-Mikrobiom sehr schnell auf kurzfristige Ernährungsumstellungen mit Veränderungen der Mikroben-Komposition reagiert, das Immunsystem aber hinterherhinkt. Die Hypothese einer genetischen Manifestation der Fähigkeit, sehr schnell auf veränderte Nahrungsangebote zu reagieren, wird somit durch die aktuellen Studienergebnisse in Bezug auf das Immunsystem nicht gestützt.
Die eingangs geäußerte Befürchtung, die Studie könnte jedweden Schlemmertag vermiesen, kann wohl entkräftet werden. Sonst leistungsstarke Immunsysteme dürften auch die nächsten weihnachtlichen Völlereien ohne nachhaltige Folgen überstehen. Mit immunstärkender Bewegung an frischer Luft lassen sich die Negativeffekte vermutlich mindern, auch wenn der innere Schweinehund mit dem Ruf „Plenus venter non movet libenter“ nach dem Sofa schreit. Es sollte halt nicht zu oft passieren (das Schlemmen, die Bewegung schon). Gesunde Ernährung schließt gelegentliches über die Stränge schlagen nicht aus, zumal eine gute psychische Verfassung ihrerseits immunstärkend wirkt. Ergo: „Man muss auch gönnen können“ – auch sich selbst.
Bildquelle: Sander Dalhuisen, Unsplash