Im Oktober ist Leberkrebs-Awareness-Monat – Zeit um einen genaueren Blick auf die besonderen Herausforderungen dieser Krebserkrankung zu werfen. Leberkrebs ist zwar vergleichsweise selten, hat aber eine besonders schlechte Prognose und gehört zu den häufigsten Krebstodesursachen. Das liegt unter anderem an der späten Diagnose: So werden mehr als 35 % der Leberkrebsfälle erst im Stadium IV entdeckt, mit einer relativen 5-Jahres-Überlebensrate von weniger als 5 %. Hingegen sieht die Prognose im Stadium I und II mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 55 % bzw. 35 %, die nächsten 5 Jahre zu überleben, deutlich besser aus.1 Auch wenn sich die Prognose beim fortgeschrittenen Leberkarzinom mit der Verfügbarkeit von immunmodulatorischen Therapien bereits verbessert hat,2,3 ist die Früherkennung entscheidend: Denn dann ist Leberkrebs in der Regel besser therapierbar – manchmal sogar heilbar – und auch die Leberfunktion der Betroffenen ist meistens noch gut erhalten.4
Ein Screening-Angebot im Rahmen der gesetzlichen Vorsorge für die Allgemeinbevölkerung gibt es nicht. Jedoch sollen Menschen mit erhöhtem Risiko für Leberkrebs gezielt kontrolliert werden – denn Leberkrebs entwickelt sich besonders häufig aus einer bestehenden Lebererkrankung. In bis 90% der Fälle geht dem hepatozellulären Karzinom (HCC) eine Leberzirrhose voraus.5 Dabei wandelt sich gesundes Lebergewebe in vernarbtes Bindegewebe um, was mit erheblichen Funktionseinbußen der Leber einhergeht. Gründe für die Entstehung einer Leberzirrhose – und damit Risikofaktoren für ein HCC – sind neben Alkoholkonsum auch chronische Infektionen mit den Hepatitis-Viren B und C.6 Aber auch nicht-alkoholbedingte Fettlebererkrankungen, abgekürzt NAFLD, spielen in den westlichen Industrienationen eine immer größere Rolle: In Europa und den USA ist die NAFLD inzwischen die häufigste Ursache einer chronischen Lebererkrankung. Der Anteil von NAFLD bei den chronischen Lebererkrankungen ist in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen, was mit einem Anstieg metabolischer Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Adipositas assoziiert ist.7
Das Wissen um diese Risikofaktoren ist gleichzeitig auch eine große Chance – denn so können Menschen mit erhöhtem HCC-Risiko identifiziert und gezielt im Rahmen eines Früherkennungsprogramms gescreent werden.
Dieses umfasst gemäß der S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des hepatozellulären Karzinoms und biliärer Karzinome“:2
Hierbei handelt es sich um einfach umzusetzende Maßnahmen, die durch einen gezielten Einsatz bei HCC-Risikogruppen viel erreichen können. Diese Basis-Diagnostik kann durch innovative Ansätze ergänzt werden, die eine HCC-Früherkennung noch weiter verbessern können. Dazu gehört der GAAD Score – ein zertifizierter Algorithmus, der zusätzliche Parameter berücksichtigt und einen HCC-Risiko-Score liefert: Dabei wird neben dem Biomarker AFP auch PIVKA-II* (Protein-induziert durch Vitamin-K-Abwesenheit) im Humanserum bzw. -plasma quantifiziert und mit Alter und Geschlecht in einem Algorithmus kombiniert. Der Score liegt zwischen 0 und 10 und steigt mit zunehmendem Risiko. Die Überschreitung eines bestimmten Schwellenwertes weist auf das Vorliegen eines HCC hin.8,9 Besonders im Frühstadium des HCC zeigt der GAAD Algorithmus eine gute klinische Leistung und konnte im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie ein HCC im Frühstadium (BCLC** 0/A) mit einer Sensitivität von 78,9 % (67,6 % - 87,7 %) und einer Spezifität von 91,3 % (86,7 % - 94,8 %) nachweisen. Mehr zur Interpretation des GAAD Scores und wie sie diesen in ihren Laboralltag integrieren können, erfahren Sie hier.
Die Leber hat ein Image-Problem und die Stigmatisierung bei Lebererkrankungen ist hoch. Es kommt immer noch vor, dass sich Patient:innen mit Lebererkrankungen im ärztlichen Gespräch rechtfertigen (müssen) oder das Gefühl haben selbst schuld zu sein. Hier ist eine offene Kommunikation über die vielfältigen Gründe für Leberkrebs wichtig. Auch im Gespräch mit noch nicht Erkrankten ist eine Aufklärung über etwaige Risikofaktoren von Bedeutung, um das Bewusstsein für die Erkrankung zu schärfen. Dadurch nehmen die Patient:innen Vorsorgeuntersuchungen frühzeitiger in Anspruch und die Chancen für eine kurative Behandlung steigen.
Wollen Sie mehr zu den Themen „Stigmatisierung bei HCC-Patient:innen“ und „HCC-Früherkennung“ erfahren? Im Rahmen der Podcast-Reihe ExpertenDialoge teilen Prof. Wedemeyer und Dr. Wirth ihre Erfahrungen aus dem klinischen Alltag.
→ Hier geht’s zur Folge
* Eine andere Bezeichnung für PIVKA-II ist Des-Gamma-Carboxy-Prothrombin (DCP).
** Barcelona Clinic Liver Cancer (BCLC) ist ein klinisches Klassifikationssystem zur Stadieneinteilung.
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