Eine ältere Patientin hat Sprachstörungen und ist verwirrt. In der Klinik diagnostizieren Ärzte eine Meningoenzephalitis – doch der Auslöser überrascht.
In der Notaufnahme des Spitals Thun stellt sich eine 76-jährige Frau mit Fieber, Kopfschmerzen, Verwirrtheit und Beeinträchtigung der Sprechmotorik (Dysarthrie) vor. Sie sagt, ihre Beschwerden hätten etwa 24 Stunden vor der Aufnahme begonnen.
Die Patientin hatte in ihrer Vorgeschichte einen erfolgreich therapierten Tumor der Bauchspeicheldrüse, ein sogenanntes VIPom. Bekannt ist außerdem eine Parkinson-Krankheit, eine arterielle Hypertonie und ein Typ-2-Diabetes. Die Medikation selbst mit Levodopa plus Decarboxylasehemmer, Mirtazapin, Rivotril®, Insulin, Pankreas-Enzymen, Esomeprazol, ASS, Metoprolol und Enalapril bot keinen Anhaltspunkt, um ihre akuten Beschwerden zu erklären. Auch die weitere Anamnese hinsichtlich möglicher Infektionen durch Reisen, nahe Angehörige oder Tiere war unauffällig.
Die klinische Untersuchung vor Ort ergibt einen Glasgow-Coma-Score von 14 (keine Bewusstseinsstörung), eine Sauerstoffsättigung von 91 Prozent, einen Hypertonus, eine Druckempfindlichkeit des Abdomens und einen Meningismus.
Das alles spricht für eine Meningoenzephalitis.
Daraufhin erhält die Frau eine empirische Antibiotika-Therapie mit Ceftriaxon und Amoxicillin sowie eine antivirale Therapie mit Aciclovir. Außerdem wird ihr Dexamethason verabreicht. Sie spricht zwar gut auf die Wirkstoffe an, aber einige Symptome wie ihre Dysarthrie, ihre Ataxie, ihre leichte Parese des linken Beins und ihr Meningismus, sind auch nach einigen Tagen noch zu beobachten.
Eine Polymerase-Kettenreaktion des Liquors bleibt ohne Ergebnis; Hinweise auf Infektionen mit dem Varizella-Zoster-Virus oder dem Herpes-simplex-Virus 1 und 2 finden ihre Ärzte nicht. Deshalb setzten sie Aciclovir ab.
Dann endlich kommen die Resultate der Blutkulturen, was die Ärzte auf die richtige Spur bringt. Das mikrobiologische Labor fand Flavobacterium-Spezies, zu dem Zeitpunkt noch ohne weitere Spezifikation.
Dieser Befund ist höchst ungewöhnlich: Zur Gattung Flavobacterium gehören zahlreiche fischpathogene Arten, die zu schweren Nekrosen führen können. Flavobacterium lindanitolerans ist in Süßwasserfischen oder im Boden zu finden – bislang scheinbar ohne große Relevanz in der Humanmedizin. Die Schweizer Ärzte und Mikrobiologen berichten daher nun vom ersten dokumentierten Fall dieser Art.
Kiemeninfektion beim Königslachs durch Flavobacterium columnare. Credit: Wikipedia Commins/Columnaris Disease Chinook Gill from Aquatic Animal Health Program.
Die Ärzte ersetzen Amoxicillin, Dexamethason und Ceftriaxon nach dem Befund durch Sulfamethoxazol/Trimethoprim in Kombination mit Ciprofloxacin – aufgrund von Hinweisen aus der Literatur. Flavobacterium-Spezies zeigen in vitro Resistenzen gegen Beta-Laktam-Antibiotika, sind aber gegenüber Chinolonen und Sulfamethoxazol/Trimethoprim meist empfindlich.
Am folgenden Tag gelingt es dem Labor, Flavobacterium lindanitolerans anhand der MALDI-TOF-Massenspektrometrie zu identifizieren. Dabei wird die Proteinsignatur einer Probe der Reinkultur mit Datenbanken abgeglichen. Aufgrund der experimentell ermittelten minimalen Hemmkonzentration entschließt sich das Team, die antimikrobielle Therapie am siebten Tag erneut umzustellen: auf intravenöses Levofloxacin plus orales Levofloxacin.
Die Patientin spricht auf das neue Regime gut an. Sie konnte nach 14 Tagen das Krankenhaus verlassen und erhält im Anschluss eine geriatrische Reha. Dort verbessern sich ihr mentaler Status, ihre Dysarthrie und ihr Gang weiter.
Das Besondere an dieser Patientengeschichte: Hier handele es sich um den ersten dokumentierten Fall einer Meningoenzephalitis und Bakteriämie durch Flavobacterium lindanitolerans, schreiben die Autoren.
Zwar ist Flavobacterium in der Umwelt weit verbreitet. Forscher konnte solche Bakterien aus Böden, aus Süß- und Meerwasser-Proben und aus infizierten Fischen isolieren. Obwohl sie bei Fischen Krankheiten verursachen können, sind Infektionen beim Menschen äußerst selten. In der Literatur fanden sich nur Einzelfälle, jedoch keine Meningoenzephalitis. Dass der Nachweis überhaupt geglückt ist, schreiben die Autoren der MALDI-TOF-Massenspektrometrie als moderner Methode zur Identifizierung von Bakterien zu. „Wie bei seltenen Krankheitserregern häufig zu beobachten, ist auch bei unserem Patienten der Eintrittsweg der Bakterien in den menschlichen Körper unbekannt“, heißt es im Fallbericht.
Quelle:
Zurbuchen et al.: First Case of Meningoencephalitis and Bacteraemia with Flavobacterium Lindanitolerans. Eur J Case Rep Intern Med, 2023. doi: 13;10(8):0039
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