Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen stehen im Verdacht, die Gesundheit zu gefährden. Doch Verbände kritisieren das geplante Verbot und sehen die Patientenversorgung in Gefahr. Zu Recht?
Sie verleihen Teflonpfannen, Outdoor-Textilien, Kartons, aber auch Dialyse- und Beatmungsgeräten, Herzschrittmachern, Kathetern, Instrumenten für die minimalinvasive Chirurgie oder Schläuchen der pharmazeutischen Industrie besondere Eigenschaften: Beschichtungen aus Per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Mehr als 10.000 unterschiedliche Moleküle dieser Klasse sind bekannt.
PFAS haben wasser- und fettabweisende Eigenschaften. Sie sorgen dafür, dass chirurgische Instrumente oder implantierbare Medizinprodukte inert sind und dass Materialien bei Interventionen nicht am Gewebe kleben bleiben. Ihre besonderen Eigenschaften sind auf die Stabilität der Kohlenstoff-Fluor-Bindung zurückzuführen. Genau das macht sie aber auch zu „Ewigkeitschemikalien“: Durch Sonnenlicht oder Mikroorganismen werden sie kaum abgebaut. PFAS reichern sich in der Umwelt an und landen über die Lebensmittelkette auch im menschlichen Organismus.
So haben Blutuntersuchungen eine erhebliche Belastung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland mit PFAS ergeben. Und laut den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) haben schätzungsweise 97 Prozent aller US-Amerikaner PFAS im Blut. Nach Angaben des US Geological Survey (USGS), einer Abteilung des US-Innenministeriums, sind 45 Prozent des US-Trinkwassers mit PFAS kontaminiert.
Zwar sind die Effekte von PFAS auf die Gesundheit noch Thema wissenschaftlicher Studien, doch Verdachtsmomente häufen sich mittlerweile. Eine Studie bringt PFAS und andere endokrine Disruptoren mit Leberschäden in Verbindung. Forscher warnen auch vor Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit von Frauen. Und eine ältere Studie aus dem Jahr 2012 kam zum Schluss, dass Kinder, die hohen PFAS-Konzentration ausgesetzt waren, schlechter durch Impfungen geschützt werden. Solche Chemikalien scheinen die Immunreaktion auf Antigene zu beeinträchtigen. Die United States Environmental Protection Agency (EPA) wiederum berichtet von Entwicklungsstörungen bei Kindern und von höheren Risiken bei einigen Krebsarten, unter anderem Prostata-, Nieren- und Hodenkrebs.
Für das Umweltbundesamt (UBA) und für weitere Behörden aus Deutschland, aus den Niederlanden, aus Dänemark, Schweden und Norwegen ist das Grund genug, ein umfassendes Verbot dieser Chemikalien zu fordern. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat bis 25. September 2023 erörtert, welche Einschränkungen bei PFAS möglich und sinnvoll sind. Zahlreiche Firmen der Medizintechnik, der Umwelttechnik, des Maschinen- und des Anlagenbaus sind gegen Restriktionen aller Art.
Experten der Deutschen Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) kritisieren, ein Verbot werde „erhebliche Auswirkungen auf die Patientenversorgung spätestens ab Mitte des Jahrhunderts haben und die Uhr in der Medizin um mehrere Jahrzehnte zurückdrehen“. Sie fordern als Alternative einen risikobasierten Ansatz.
Zu klären sei, welche Gefahren von Medizinprodukten, in denen überwiegend Polymere mit niedrigem Gefährdungspotenzial (Polymers of low concern) verbaut seien, tatsächlich ausgingen, schreiben DIVI-Experten. Alternativsubstanzen stehen kurz- und mittelfristig nicht zur Verfügung. Herstellern bleibt nur, Ausnahmeregelungen zu beantragen. Laut DIVI ist mit knapp 10.000 solcher Anträge zu rechnen. Die Bearbeitung wird viel Zeit in Anspruch nehmen.
Hinzu kommt als Problem: Bis 26. Mai 2024 müssen alle Medizinprodukte mit höherem Risiko in der EU neu zertifiziert werden, eine Forderung der Medical Device Regulation (MDR). Hersteller arbeiten mit Hochdruck daran. „Wenn nun statt PFAS ein anderes Material verwendet wird, beginnt der Zulassungsprozess von vorn“, sagt Andreas Markewitz, medizinischer Geschäftsführer der DIVI. „Bislang wurde noch kein alternativ einzusetzendes Material gefunden oder entwickelt.“ Er fordert, Medizinprodukte vom geplanten PFAS-Verbot auszunehmen.
Das bestätigt auch Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender der Drägerwerk Verwaltungs-AG: „Die Entwicklung und Zulassung von Alternativen, wenn es sie denn überhaupt gäbe, wäre in den vorgeschlagenen Fristen nicht machbar, weil deren klinische Validierung und Biokompatibilitätsprüfung sehr zeitaufwendig sind, nicht zuletzt aufgrund der hohen regulatorischen Anforderungen an die Medizintechnik.“
Verbände plädieren für einen risikoadaptierten Weg, wie er im Zuge der Chemikalienverordnung REACH eigentlich vorgesehen ist – und nicht für ein generelles Verbot mit Einzelausnahmen. Laut Umfrage haben rund ein Drittel aller betroffenen Firmen aufgrund der Datenlage keinen Antrag auf Ausnahmen vom Verbot eingereicht.
Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Mächtige Verbände betreiben Lobbyarbeit gegen Planungen der EU. Kurzfristige Verbote würden die Versorgung gefährden, das steht außer Frage. Langfristige Ausnahmen wiederum verhindern den nötigen Druck auf Hersteller, neue Materialien zu entwickeln.
Dazu ein Blick auf die Konkurrenz aus der Energie- und Umwelttechnik. Auch sie wäre von Einschränkungen bei PFAS massiv betroffen. Doch die Forschung schläft nicht. Ionomr und Ionosys, zwei Start-ups, arbeiten an Polymeren für saubere Technologielösungen wie Brennstoffzellen, Wasserstofferzeugung und eine Reihe von Energiespeicheranwendungen.
„Trotz großer Fortschritte bei der Entwicklung von Alternativen würden fluorierte Werkstoffe von vielen in der Technologiewelt immer noch als ,alternativlos’ wahrgenommen“, sagt Lisa Langer von Ionysis. „Zusammen mit Firmen wie Ionomr sind wir dabei, das Gegenteil zu beweisen. Wir waren selber überrascht, wie sehr das Thema durch den geplanten PFAS-Bann an Traktion gewonnen hat.“ Genau das ist der Knackpunkt: Erst ein Verbot baut den wohl erforderlichen Druck auf, aktiv zu werden.
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