Landarztmangel, technikscheue Altärzte und das Damoklesschwert neuer Pandemien – die Allgemeinmedizin in Deutschland muss sich einigen Herausforderungen stellen. Wir sprechen dazu mit DEGAM-Vizepräsidentin Prof. Eva Hummers.
DocCheck News: Welche medizinischen und politischen Herausforderungen kommen auf die Allgemeinmedizin in Deutschland zu – was sind Ihre Top 3?
Prof. Eva Hummers: Ein Problem ist sicher die Überalterung der Hausärzteschaft mit einem Median von etwa Mitte 50, also ein Nachwuchsproblem. Gemeinsam mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung impliziert das einen erhöhten Versorgungsbedarf. Und dann kommen Pandemien noch schnell mal dazwischen, sodass wir wirklich überlegen müssen, wie man die Versorgung zukünftig sicherstellen kann. Gerade in strukturschwachen Regionen auf dem Land oder eben auch für Menschen in Vorstädten, wo ein Praxisstandort vielleicht nicht so attraktiv ist. Ich denke, da muss sich grundlegend etwas ändern, denn so wie die meisten Hausarztpraxen heute noch aufgestellt sind, wird es halt nicht gehen. Es werden weniger Ärzte mehr Menschen versorgen müssen, da muss man vielleicht auch ein bisschen entrümpeln und gucken, was ist wirklich zielführend im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung – und was eben auch nicht.
Hier zeigen sich schon zwei wichtige Aspekte, als erstes mal die Versorgung auf dem Land, Stichwort Landarztquote. Wie nehmen Sie das wahr – ist das erfolgreich? Wie kriegt man gerade junge Ärzte aufs Land?
Das ist total schwierig, denn einerseits ist bekannt, dass nur die aufs Land gehen, die entweder vom Land kommen oder viele Kontakte im Studium dazu hatten. Andererseits nehme ich die Landarztquote als nicht sonderlich erfolgreich wahr. Die Idee, dass sich jemand mit 18, 19, 20 Jahren da für den Rest seines Lebens festlegen soll – mit einer Strafzahlung von einer Viertelmillion – das ist irgendwie auch absurd. Und zumindest in Niedersachsen, wo ich herkomme, ist das auch kein Erfolg. Es gibt nicht so viele Bewerbungen, es gibt keine Mittel für die Fakultäten, besondere Programme aufzustellen. Das soll irgendwie noch aus Hausmitteln gemacht werden – und das macht die Sache nicht attraktiver. Vielleicht müsste man Anstrengungen unternehmen, alle Studierenden mehr aufs Land zu bringen oder ansonsten bei der Auswahl der Medizinstudierenden auf mehr Diversität achten.
Das wäre mein zweiter Punkt, der Nachwuchs an sich. Wer interessiert sich denn heute für das Fach Allgemeinmedizin? Inwiefern ist das überhaupt noch attraktiv für junge Studenten?
Wir nehmen eigentlich an der Stelle sogar eine etwas zunehmende Attraktivität wieder wahr – das war schon schlechter. Wir merken, dass die Exposition zur hausärztlichen Arbeit, also die Block-Praktika, die Möglichkeit, in einer Hausarztpraxis ein PJ zu machen, doch bei vielen auch ein Türöffner ist. Das sind eben nicht mehr nur die, die das aus dem eigenen, familiären Hintergrund kennen – das sind zwar noch viele, aber es sind eben auch welche, die sich sagen „Mensch, das ist ja richtig spannend, was ihr da in der Praxis macht und das war ein tolles Praktikum, ein tolles PJ. Ja, solche Medizin kann ich mir vorstellen.“
Wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Familie und Allgemeinmedizin aus? Auch die jungen Ärzte legen viel Wert auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance.
Ich glaube, dass das hier eher besser geht als in vielen anderen Fächern und dass vielleicht auch die hohe Frauenquote dabei kein Zufall ist. Es ist immer noch so, dass Familienarbeit weitgehend an Frauen hängenbleibt – auch wenn ich dann immer frage, wieso diese Kinder so wenig Väter haben, die präsent sind – aber naja, das ist ein anderes Thema. Ich denke, dass das in der Allgemeinmedizin wirklich gut geht, weil es aus der Position eines kleinen Betriebs oder auch aus der Position der Praxisinhaberin ja viel leichter möglich ist, zu gestalten, als dass in Kliniken der Fall ist, wo zwei Stellen auf fünf Leute zu verteilen irgendwie die Arithmetik von Chefärzten übersteigt – in vielen Fällen immer noch.
Ein Thema, das Sie auch in der Pressekonferenz zur DEGAM angesprochen haben, ist die Technik und dass Vernetzung besser gelingen muss. Wie sieht es da in Sachen Telemedizin aus – ist der ärztliche Nachwuchs aufgeschlossener oder wird das Thema in der Bürokratie untergehen?
Ich hoffe nicht, dass es in der Bürokratie untergeht. Wir haben während Covid wirklich einen Schub erlebt – auch weil es einfach notwendig war. Ich denke schon, dass sich viele Jüngere damit leichter tun, weil sie mit diesen Techniken aufgewachsen sind und das nicht so fremd ist wie für den alten, 60-Jährigen, der das jetzt plötzlich der 80-jährigen Patientin erklären soll. Aber sowohl die jüngeren Großeltern, die jetzt mit den Enkeln chatten, als auch die nachfolgende Ärztegeneration wird mit den neuen Medien vertrauter sein. Sicher wird es da auch eine schnelle Weiterentwicklung geben, die eine Herausforderung bleiben wird, aber ich halte es für notwendig, so etwas einzubeziehen, weil es sonst nicht machbar ist. Es ist ja auch in vielen Fällen gut umsetzbar und ein Vorteil.
Was sagen Sie zum Trend der Entwicklung großer Einheiten wie MVZs im Gegensatz zur Tradition der Einzelpraxen – gerade auch auf dem Land?
Ich glaube, dass die Einzelpraxen als Modell auf die Dauer zwar vielleicht nicht aussterben, aber weniger werden. Gründe dafür sind unter anderem die Arbeitszeit, die Verfügbarkeit mit breiten Abdeckzeiten und dass nicht mehr viele Leute ganz alleine irgendwo arbeiten wollen, sondern da ein Teamgedanke im Vordergrund steht. Das muss nicht unbedingt ein MVZ sein, das kann auch eine große Gemeinschaftspraxis sein. Da gibt es Modelle, in denen das gut funktioniert, in denen Kollegen sich das teilen. Es kann aber eben auch ein MVZ sein. Ich denke, da werden wir erstens eine Ausweitung von diversen Strukturen brauchen, vielleicht auch noch ganz neue Sachen, aber sicher der Hang zu mehr Teamarbeit und weniger „Ich bin hier allein auf weiter Flur.“
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