Für Risikopatienten wird es bald Zeit, an ihre saisonale Influenza-Impfung zu denken. Doch während Gesundheitspolitiker weiterhin auf umstrittene Neuraminidase-Hemmer setzen, haben Forscher nun Strategien zur langfristigen Immunisierung gefunden.
Ein Blick zurück: Laut Schätzungen des Robert-Koch Instituts (RKI) in Berlin führte die Grippesaison 2012/2013 zu 7,7 Millionen Arztbesuchen und 3,4 Millionen Arbeitsunfähigkeiten – ein Rekordwert seit 2004/2005. Das muss nicht sein, falls sich Risikopatienten impfen lassen. Von September bis November sollte ihr Weg in Richtung Praxis führen, da erste Grippefälle bereits im Dezember auftreten.
Der aktuelle Influenzaimpfstoff setzt sich laut WHO- und EMA-Empfehlung aus den Antigenen folgender Virusvarianten zusammen: A/California/07/2009 (H1N1) pdm 09-ähnlich, A/Texas/50/2012 (H3N2)-ähnlich sowie B/Massachusetts/2/2012-ähnlich. Für quadrivalente Vakzine kommt eine Variante von B/Brisbane/60/2008 noch hinzu. Wie das Paul-Ehrlich-Institut berichtet, stehen mittlerweile rund 13,4 Millionen Dosen zur Verfügung (Stand: 5. September). Alle bereits genehmigten Impfstoffe werden ebenfalls aufgelistet. Neben bekannteren Präparaten gibt es Vakzine speziell für Allergiker. Entsprechende Präparate werden nicht in Hühnereiern, sondern in Zellkulturen hergestellt und sind frei von Antibiotika, Aldehyden oder Stabilisatoren.
Senioren gelten neben Menschen mit Vorerkrankungen als weitere Zielgruppe für Influenza-Impfungen. Aufgrund der zunehmenden Immunoseneszenz ist bei ihnen die Antikörper-Produktion deutlich vermindert. Darauf reagieren Hersteller mit einem Serum, das Wirkverstärker enthält. Amerikanische Forscher veröffentlichten jetzt neue Forschungsergebnisse. Carlos A. Diazgranados aus Swiftwater, Pennsylvania, hat im Auftrag des Herstellers untersucht, ob Grippe-Spaltimpfstoffe mit der vierfachen Dosis bei Senioren besser wirken als konventionelle Vakzine. Er nahm 31.989 gesunde Bürger ab 65 in seine Studie auf. Die Probanden erhielten zwei Grippesaisons lang entweder konventionelle oder hoch dosierte Vakzine. Bei Laboruntersuchungen zeigte sich, dass der neue Impfstoff zu deutlich höheren Antikörper-Titern führte. Insgesamt mussten 529 Senioren wegen Influenza das Bett hüten: 228 (1,4 Prozent) in der „Hochdosis-Gruppe“ und weitere 301 (1,9 Prozent) nach Standard-Impfungen. Rein rechnerisch ließe sich durch die neuen Vakzine eine von vier Erkrankungen vermeiden, schreibt Diazgranados. Der Impfstoff ist für Amerika zugelassen, aber nicht für Europa.
Trotz aller Effizienz bleibt bei Vakzinen ein Problem: Patienten müssen Jahr für Jahr in die Praxis. Hersteller setzen bei der Produktion auf Hämagglutinin mit variablen Elementen. Ein amerikanisches Forscherteam unter Leitung von Rafi Ahmed ging jetzt neue Wege. Virologen gelang es, aus der stabilen Stammregion des Hämagglutinins von Vogelgrippeviren (H5N1) Impfstoffe zu produzieren. Erste Tests am Menschen verliefen erfolgreich. Da saisonale Influenzaviren gleiche Stammregionen wie H5N1 aufweisen, sollten Patienten durch heterologe Immunisierungen gegen die alljährliche Virusgrippe geschützt werden, und zwar für lange Zeit. Um dies zu belegen, sind etliche Studien erforderlich.
Ein weiteres Thema aus der Impfstoffforschung: Pandemrix® sollte Bürger vor dem Virusstamm A/California/7/2009 (H1N1) schützen, bekannt als Schweinegrippe. Doch warum traten bei Kindern vereinzelt Fälle von Narkolepsie auf, davon 70 Prozent in Finnland beziehungsweise Schweden? Wissenschaftler vermuteten, dass Personen mit einer genetischen Prädisposition betroffen sind. Bei ihnen verwechselt das Immunsystem virale Bausteine mit dem Neurotransmitter Hypocretin (Orexin) – eine „molekulare Mimikry“, wie Emmanuel Mignot aus Palo Alto schreibt. Die Kehrseite der Medaille: Schwedischen Forschern gelang es nicht, Mignots Experimente zu reproduzieren – weder im heimischen Labor, noch vor Ort in Kalifornien. Daraufhin zog „Science“ eine Veröffentlichung zurück, und das Rätselraten geht weiter.
Neben Impfungen setzten Gesundheitsbehörden stark auf Neuraminidase-Hemmer. Wie das hessische Gesundheitsministerium berichtet, wurden im Bundesland von 2005 bis 2007 für rund 13,7 Millionen Euro Grippemittel erworben: mehr als 900.000 Dosen Oseltamivir-Pulver und 300.000 Dosen Tamiflu®. Jahr für Jahr kommen zirka 18.000 Euro an Lagerkosten hinzu. Oppositionsvertreter kritisieren diese Strategie mit Hinweis auf Publikationen der Cochrane Collaboration. So wurde die Zeit bis zur deutlichen Besserung grippaler Symptome bei Erwachsenen um 16,7 Stunden verkürzt, Kinder litten 29 Stunden weniger. Prophylaktisch eingesetzt, verringerte sich die Zahl an Erkrankungen zwar um 55 Prozent. Patienten zahlten mit psychiatrischen Nebenwirkungen jedoch einen hohen Preis. Befürworter argumentieren, Oseltamivir senke bei rechtzeitiger Anwendung die Mortalität und die Schwere möglicher Folgeerkrankungen. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.