Viele deutsche Praxen blieben heute zu – Ärzte protestierten gegen eine „praxenfeindliche Gesundheitspolitik“. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Zukunft aller Niedergelassenen.
Wer heute zu seinem Haus- oder Facharzt wollte, könnte vor verschlossenen Türen gestanden haben. Grund ist ein bundesweiter Streik der Haus- und Fachärzte, an dem zehntausende Praxen teilnehmen. Ihre Inhaber protestieren gegen die aktuelle Gesundheitspolitik.
Um welche inhaltlichen Punkte es den Niedergelassenen geht, zeigen die unterschiedlichen, lokal organisierten Aktionen auf und ist ebenso auf der professionell eingerichteten Website ausführlich nachzulesen. Grob zusammengefasst richtet sich die Kritik an eine „untätige“ Politik und Krankenkassen, die „auf dem ambulanten Auge blind“ seien und alle notwendigen Punkte verschliefen oder willentlich ignorierten. Dringend müsse es darum gehen, die GOÄ zu überarbeiten, Budgetierungen sowie die ärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfungen abzuschaffen, Digitalisierungsmaßnahmen (ohne drohende Bußgelder) sinnvoll zu gestalten, eine Entbürokratisierung anzugehen und die Honorare anzupassen.
Insbesondere eine Anhebung der Honorare sorgte dafür für einen hitzigen Schlagabtausch. Die Forderungen der Niedergelassenen hat dabei konkrete Grundlage. „Die Praxen werden weiter ausgehungert durch Inflation, Energiepreissteigerungen und seit Jahren unzureichende Finanzierungsabschlüsse mit den Krankenkassen“, so das Ärztebündnis. Die postwendende Antwort des Bundesgesundheitsministers mag bei den Ärzten ironisch bis sarkastisch angekommen sein: „Am Brückentag schließen viele Praxen, wie die Apotheker wollen auch sie mehr Geld. Im Mittel (Median) verdienen sie aber nach Abzug aller Kosten um die 230.000 Euro pro Jahr.“ Lauterbach schob hinterher: „Soll der Beitragssatz für Arbeitnehmer steigen, damit das Honorar weiter steigt?“
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Dass der Minister nicht mit den korrekten Zahlen arbeite, legten die Haus- und Fachärzte ihrerseits mit einer anderen Rechnung dar. Laut Virchowbund haben die Praxen einen Überschuss von 172.903 Euro im Jahr, von denen allerdings noch Abzüge wie Altersversorgung, Kranken- und Pflegeversicherung und Einkommenssteuer abgehen.
Neben dem fachlichen Dissens kritisiert das Bündnis aus 20 ärztlichen Verbänden die Kommunikation an sich. Zuletzt war die politische Bereitschaft sowie die Ernsthaftigkeit an der Thematik bereits nach einem gemeinsamen Brandbrief ans BMG vermisst worden. Aus dem Ministerium war das Schreiben als eine von vielen Postwurfsendungen abgetan worden. „In Verbindung mit seiner lapidaren Bemerkung ‚tempi passati‘ macht dies das ganze Ausmaß seiner Missachtung gegenüber allen deutschen Praxisärzten deutlich. Das ist in dieser Form bislang einzigartig“, erklärte Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes.
Der heutige Protest ist – nicht nur, aber auch – deshalb zum Casus Lauterbach mit klarer Kampfansage gemacht worden. Für die Protestkampagne „Praxis in Not“ entwickelten Virchowbund, KVen und Verbände den Claim „Stoppt Lauterbach!“. Ergänzend stellen sie Protest-Material bereit, unterstützen in konkreten Maßnahmen und geben Anleitung zum Widerstand.
Außerdem sei eine ernste Gefahr der Verstaatlichung der Medizin abzusehen, der entgegengetreten werden müsse. Auf die bis dato ausbleibenden Reformen in so vielen essenziellen Gebieten wird ein „flächendeckendes Sterben von Facharztpraxen durch frühe Pensionierungen und abgeschreckten Nachwuchs […] die Folge sein. Je dünner dann die Facharztpraxisdichte wird, umso leichter können nach und nach Krankenhäuser zur kompletten ambulanten fachärztlichen Versorgung ermächtigt werden. Ist das erstmal geschafft, richtet die schiefe Ebene des Wettbewerbs, der durch die duale Finanzierung der Krankenhäuser entsteht, den Rest. Am Ende steht eine Primärversorgung in kommunalen Primärversorgungszentren durch Gemeindeschwestern und den Restbestand an Hausärzten, fachärztliche Versorgung ambulant und stationär am Krankenhaus. Faktisch wäre das Gesundheitswesen in wenigen Jahren dann zu 70–80 % in staatlicher Hand. Für Patienten und Patientinnen wird es weniger Ärzte, weniger Medizin, weniger Termine geben“, fasst der Virchowbund gegenüber DocCheck News zusammen.
Daneben seien die Etablierung von Gesundheitskiosken nach Lauterbachschem Vorbild, primärärztlichen Versorgungszentren und Gesundheitsregionen Beispiele für den Umbau in eine arztfreie Versorgungsstruktur mit „paramedizinischen Berufen wie der Community Health Nurse“.
Wie wichtig der Protest ist, weiß man auch bei der Bundesvertretung der Kassenärzte: „So schmerzhaft das sein mag: Das Szenario massenhaft geschlossener Praxen wie heute droht als Dauerzustand im ganzen Land“, sagte KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. „Die Kolleginnen und Kollegen sowie ihre Teams sind am Limit. Und mit der Fortsetzung der aktuellen Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wird es die qualitativ hochwertige haus- und fachärztliche Versorgung, die von allen wertgeschätzt wird, in der jetzigen Form nicht mehr lange geben.“
Letztlich mag die entsprechende Unterstützung der KVen die Teilnahmebereitschaft unter den Ärzten noch einmal gesteigert haben – auch vor dem Hintergrund, dass diese für ihre Patienten einen flächendeckenden Not- und Bereitschaftsdienst etablierten. Der ärztliche Bereitschaftsdienst sowie ein Patienten-Navi halfen weiter dabei, dass keine ernstzunehmenden Versorgungslücken aufkamen.
Ob die heutigen Schließungen ausreichend sind, um die Politik wachzurütteln, wird von den Niedergelassenen bezweifelt. Viel eher stellt man sich auf langfristigen und auch länger andauernden Protest ein.
Welche Pfeile die Ärzte dabei noch im Köcher hätten, berichtet der Virchowbund den DocCheck News: „Aktuelle Umfragen in der Ärzteschaft zeigen, dass die Bereitschaft auch zu mehrtägigen Praxisschließungen hoch ist. Zudem werden wir unsere Mitglieder in einer Sonderveranstaltung informieren, welche Optionen sie haben, sich gegen die aktuell praxenfeindliche Gesundheitspolitik zu wappnen, von Selektivverträgen bis (teilweiser) Zulassungsrückgabe.“
Bildquelle: Juliana Romão, unsplash