Na, wie viele Sterne hat euer Krankenhaus? Bewertungssysteme funktionieren bei Restaurants, für Ärzte sind sie in meinen Augen eine Katastrophe. Denn im Kampf um die Patientengunst geht’s nicht immer fair zu.
Kaum etwas, was in anderen Bereichen der freien Wirtschaft gut funktioniert, lässt sich problemlos eins zu eins auf das Gesundheitssystem übertragen. Unternehmerische Tricks, die vielleicht in einem Stahlbetrieb funktionieren und durch Einsparungen zu mehr Gewinn führen, können in einer Klinik dazu führen, dass mehr Menschen Komplikationen haben und sterben. Zuletzt las ich davon, dass Bewertungssysteme und öffentliche Meldungen über Komplikationen den Patienten helfen sollen, die besten Kliniken rauszusuchen.
Das klingt doch gut. Klinik A hat viele Komplikationen, da gehe ich lieber nicht hin. Klinik B hat super Bewertungen, wenige Komplikationen – da gehe ich hin. Das klappt bei Restaurants, warum soll das also nicht bei Kliniken funktionieren? Weil es nicht so einfach ist. Eigentlich nichts im Gesundheitssystem ist so einfach, wie es scheint.
Bewertungssysteme führen dazu, dass ein Anreiz geschaffen wird, möglichst gute Bewertungen zu erhalten – und nicht mehr möglichst gut die Bevölkerung zu versorgen. Ich kenne beispielsweise zwei Kliniken in der näheren Umgebung, die aus diesem Grund bei Elektiv-Operationen wie Leistenhernien-OPs oder der Implantation von Knie- oder Hüftprothesen übergewichtige Menschen ablehnen. Anders als bei der notfallmäßigen Versorgung eines Herzinfarkts gibt es nämlich keine Pflicht, elektive Operationen durchzuführen.
Deshalb lehnen manche Kliniken die Behandlung und OP übergewichtiger Patienten mittlerweile schlichtweg ab. Übergewichtige Menschen haben nämlich nachweislich ein deutlich höheres Risiko für postoperative Komplikationen. Übergewichtige Patienten benötigen mehr Pflegebedarf (in Zeiten des Fachkräftemangels), haben eine schlechtere Wundheilung, leiden unter mehr Infektionen bis hin zu einer Lungenentzündung, haben häufiger Thrombosen oder Lungenembolien und entwickeln häufiger ein akutes Nieren- oder Leberversagen. Sie sind schlechter zu mobilisieren, liegen länger im Aufwachraum und kommen häufiger auf Intensivstationen. Kurzum: Adipöse Menschen kosten einfach mehr Geld. Allgemein haben adipöse Menschen ein erhöhtes Risiko, postoperativ zu versterben – die Maximalvariante einer Komplikation – und unter Umständen gibt es dann gar kein Geld.
Wenn ich aber immer die gleiche Summe X für eine Operation oder Intervention bekomme, auf der anderen Seite aber erwartbare Komplikationen meinen Gewinn schmälern können, gibt es nur eine Lösung: Ich lehne die komplizierten und ggf. teuren Patienten am besten direkt ab. Und das tun einige Kliniken mittlerweile ganz erfolgreich. Im Fall der zwei mir bekannten Kliniken wird ab einem BMI von 30 rigoros gesagt: „Sie nehmen erstmal ab, vorher operieren wir gar nichts.“
Was dazu führt, dass wir immer wieder Patienten hier in unserer Klinik haben, die sich dann bei uns vorstellen, weil sie in der anderen Klinik abgelehnt wurden. Wir operieren diese Patienten, weil eine Mobilisation, Sport und damit eine effektive Gewichtsabnahme oft schmerzbedingt gar nicht mehr möglich ist. Wir implantieren auch Hüft-TEPs bei Patienten mit fortgeschrittenen Herzerkrankungen, die in diesen Elitekliniken abgelehnt werden. Dort gibt es nämlich gar keine Intensivstationen – zu teuer, zu pflegeintensiv.
Wir haben deshalb auch viele Komplikationen – weil unsere Patienten eben nicht schlank und gesund, sondern meist übergewichtig und krank sind. Die orthopädische Spitzenklinik nebenan mit den 5-Sterne-Bewertungen lacht sich ins Fäustchen, weil dort nur schlanke und weitestgehend gesunde Patienten operiert werden. Das ist aber nicht zwingend ein Qualitätsindikator, schon gar nicht für die Qualität der implantierten Prothesen.
Im Wesentlichen sind diese besseren Bewertungen und der geringe Anteil von Komplikationen ein Ausdruck einer Selektion. Wer ist besser? Wer 100 junge, ansonsten gesunde Menschen operiert und darunter eine schwere Komplikation hat? Oder aber jemand, der 100 multimorbide und sehr alte Menschen operiert und darunter 5–10 Komplikationen hat?
Wenn wir Gesundheit als Wettbewerb gestalten, wird es wie bei jedem anderen sportlichen Wettbewerb auch nur einige, wenige Gewinner und viele Verlierer geben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Du – genau Du – zu diesen Verlierern gehörst, ist wesentlich größer, als die Wahrscheinlichkeit, dass Du zu den Gewinnern gehörst. Das sollte allen klar sein.
Bildquelle: Nong, Unsplash