Ein höherer Blutdruck hängt mit depressiven Symptomen zusammen – oder ist es doch eher anders herum? Trotz gegensätzlicher Ergebnisse scheint ein Zusammenhang klar zu sein. Lest hier, welcher.
Laut Hochdruckliga leiden circa 20 bis 30 Millionen Menschen in Deutschland an einer arteriellen Hypertonie. Es wird davon ausgegangen, dass ein Drittel der behandelten Hypertoniker derzeit nicht optimal eingestellt ist. Es kommt hinzu, dass etwa jeder Zehnte sich nicht behandeln lässt, obwohl er von seiner arteriellen Hypertonie weiß. Aus diesem Grund ist es wichtig, zu verstehen, dass unser Herz-Kreislauf-System und unsere psychische Gesundheit in einer komplexen Wechselwirkung stehen.
Bereits frühere Studien konnten einen Zusammenhang zwischen der Herzgesundheit und einer psychischen Erkrankung herstellen. Eine Studie aus dem Jahr 2015 mit mehr als 35.000 Patienten zeigte, dass das Risiko, innerhalb von vier Jahren eine Herzschwäche zu entwickeln, einen weiteren Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden, oder an einer kardiovaskulären Erkrankung zu versterben bei Patienten mit Depression und hohem Blutdruck um 83 % – und bei solchen mit Depression und niedrigem Blutdruck um 36 % – höher war als bei jenen, die normale Blutdruckwerte und keine depressiven Symptome aufwiesen.
Die Studie umfasste die Daten von in Schottland lebenden Patienten mit koronarer Herzerkrankung, Diabetes oder Schlaganfall. Das Vorliegen einer Depression wurde mittels des Hospital Anxiety and Depression Score-Fragebogens erhoben. Der gemessene systolische und diastolische Blutdruck wurde in mehrere Kategorien klassifiziert: sehr hoch (> 160 / > 100 mmHg), hoch (140–159 / 90–9 mmHg), normal (130–139 / 80–89 mmHg), gut kontrolliert (120–129 / 80–84 mmHg) oder niedrig (< 120 / < 80 mmHg).
Eine andere Studie aus dem Jahr 2022 legte nahe, dass der diastolische Blutdruck höchstwahrscheinlich neurotische Charakterzüge verursacht, so die Schlussfolgerung der chinesischen Wissenschaftler. Wenn man den diastolischen Blutdruck unter Kontrolle halte, könne man neurotisches Verhalten, aber auch Ängste verringern, lautet die Empfehlung der Forscher. Ebenso zeigte eine Metaanalyse aus dem Jahr 2022, dass Angst- und Panikstörungen sowie Depression bei Erwachsenen – unabhängig vom Alter – zu größeren Blutdruckschwankungen während des Tages führen als bei Menschen ohne diese Erkrankungen. Zudem sank in den ausgewerteten Daten der systolische Blutdruck nachts nicht wie bei Gesunden um 10 bis 20 % ab.
Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig konnte nun die Zusammenhänge zwischen einem höheren Blutdruck und depressiven Symptomen, Wohlbefinden und emotionsbezogener Hirnaktivität zeigen. Dies könnte für die Entwicklung von einer arteriellen Hypertonie relevant sein. Zudem fand das Forscherteam eine mögliche Antwort für die Nicht-Einnahme einer verschriebenen antihypertensiven Medikation.
Dr. Lina Schaare und ihr Forscherteam werteten die psychologischen und medizinischen Daten von rund 500.000 älteren Menschen aus der UK Biobank aus. Zu Studienbeginn betrug das Durchschnittsalter der Studienteilnehmer 58 Jahre, gut die Hälfte waren Frauen. Die Auswertung erfolgte anhand umfangreicher psychologischer, medizinischer und bildgebender Daten aus der Biobank. Die Ergebnisse der Auswertung der Daten bestätigten, dass ein aktuell erhöhter systolischer Blutdruckwert mit weniger depressiven Symptomen, größerem Wohlbehagen und geringerer emotionsbezogener Gehirnaktivität im Zusammenhang steht.
Aber die Studie der Max-Planck-Wissenschaftler lieferte noch ein ganz anderes Ergebnis: Sie konnten zeigen, dass die arterielle Hypertonie als Krankheit mit mehr depressiven Symptomen und einem geringeren Wohlbefinden einhergeht. Dieser Zusammenhang zeigt sich überraschenderweise schon Jahre vor der eigentlichen Diagnosestellung.
Auch wenn die Ergebnisse der Studie auf den ersten Blick gegensätzlich sind, geben sie nach Meinung der Autoren Hinweise darauf, wie psychische Faktoren die Behandlung von Hypertoniepatienten erschweren können. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Patienten ihre Medikamente nicht einnehmen, weil diese die Stimmung verschlechtern. „In der Klinik beobachten wir, dass die Betroffenen sich häufig müde und abgeschlagen fühlen und dann ihre Medikamente gegen den höheren Blutdruck nicht nehmen, weil das zusätzlich auf die Stimmung schlägt“, erklärt Arno Villringer, Letztautor der Studie.
Die Forscher beschreiben zudem ein Verstärkungslernen. Dies bedeutet, dass bei Menschen, die sich bei einem höheren Blutdruckwert psychisch und auch körperlich gut fühlen die Gefahr besteht, dass sich ein dauerhaft erhöhter Blutdruck oder gar eine arterielle Hypertonie entwickelt. Beispielsweise steigt mit dem Blutdruck auch die Schmerzschwelle an. Diese Personen halten zwar Schmerz und Stress besser aus, doch auf lange Sicht werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach eine manifeste arterielle Hypertonie entwickeln, erklären Schaare und Kollegen.
Die Forscher sind davon überzeugt, dass diese Ergebnisse ihrer Studie die Grundlage für neue Überlegungen über den Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheit und die Ursachen einer arteriellen Hypertonie sein sollten. Für die Behandlung von Depression und arterieller Hypertonie könnte solch ein Perspektivenwechsel neue Ansätze für Therapie und Prävention ermöglichen, die die Wechselwirkung von psychischer und physischer Gesundheit in den Vordergrund stellen, resümieren die Studienautoren.
Auch wenn noch einige Fragen offen sind, zeigen die vorgestellten Studien eindrucksvoll, wie eng das Herz-Kreislauf-System und die psychische Gesundheit miteinander verzahnt sind. Dieses Wissen sollte bei der Behandlung der Patienten berücksichtigt werden.
Quellen
B. Jani, S. Barry, J. Cavanagh, G. Der, N. Sattar, F. Mair. Blood Pressure control, presence of depressive symptoms and clinical outcomes at 4 years in patients with cardiometabolic disease. ESC 2015.
Cai L, Liu Y, He L. Investigating genetic causal relationships between blood pressure and anxiety, depressive symptoms, neuroticism and subjective well-being. General Psychiatry 2022;35:e100877.
Shahimi, N.H., Lim, R., Mat, S. et al. Association between mental illness and blood pressure variability: a systematic review. BioMed Eng OnLine 21, 19 (2022).
Schaare, H.L., Blöchl, M., Kumral, D. et al. Associations between mental health, blood pressure and the development of hypertension. Nat Commun 14, 1953 (2023).
Bildquelle: Li Yang, unsplash