Die Behandlungsmöglichkeiten in der Onkologie haben sich über die letzte Dekade verbessert und sind deutlich individueller geworden: Die molekularen Eigenschaften des Tumors spielen inzwischen bei vielen Tumorentitäten eine wichtige Rolle bei der Wahl der Therapie. Immer häufiger wird über zielgerichtete Therapien, personalisierte Medizin und Präzisionsonkologie gesprochen. Seit ein paar Jahren erweitern tumoragnostische Therapien den Werkzeugkasten in der Onkologie. Aber was ist das eigentlich genau und wie sind diese Therapieansätze einzuordnen?
Bisher richtete sich die Wahl der Therapie primär nach der Lokalisation des Primärtumors und seiner Histologie. Zudem kamen, vor allem im letzten Jahrzehnt, durch entitätsspezifische Zulassungen weitere Therapiemöglichkeiten für eine zielgerichtete Behandlung bei Vorliegen bestimmter molekularer Veränderungen auf den Markt. Die sogenannten agnostischen Ansätze sind zwar unter den zielgerichteten Therapien einzuordnen und greifen vom Prinzip her an einer bestimmten zellulären Struktur an1, haben jedoch einen vollständig anderen Denkansatz:
Aus dem Altgriechischen übersetzt bedeutet „agnostisch“ = „ohne Wissen“. Demnach ist für tumoragnostische Ansätze prinzipiell kein Wissen zur Krebsart, der Lokalisation des Primärtumors und den weiteren histologischen Eigenschaften notwendig. Was zählt ist allein der Nachweis spezifischer molekulargenetischer Veränderungen im Tumor.2
Basis der Idee des entitätsunabhängigen Therapieansatzes war die Identifikation von Treiberalterationen. Dies sind unterschiedliche genetische Alterationen, insbesondere aktivierende Mutationen oder Fusionen, welche die Entstehung und/oder die Ausbreitung einer malignen Erkrankung „treiben“.1
In der EU sind bislang zwei tumoragnostische Therapien zugelassen – beides Inhibitoren der Tropomyosin-Rezeptor-Kinasen TRKA, TRKB und TRKC (codiert jeweils von den neurotrophen Tyrosin-Rezeptor-Kinase[NTRK]-Genen NTRK1, NTRK2 bzw. NTRK3).3 In den nächsten Jahren wird sich die Therapielandschaft weiter verändern: Die Anzahl an Biomarkern, für die es zugelassene zielgerichtete oder auch tumoragnostische Therapien gibt, wird zunehmen.
Aktuell hat die FDA beispielsweise neben den beiden TRK-Inhibitoren bereits folgenden tumoragnostischen Therapieansätzen eine Zulassung erteilt: Zweien Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) bei Nachweis von Defekten der homologen DNS-Reparatur (mismatch repair deficiency, dMMR), sowie einem ICI bei Vorliegen einer Mikrosatelliten-Instabilität (MSI-H) oder einer hohen Tumormutationslast (TMB-H). Weiterhin ist bei Nachweis einer RET-Genfusion ein RET-Inhibitor, sowie die Kombination aus einem BRAF- und einem MEK-Inhibitor bei Vorliegen einer BRAF V600E-Mutation zugelassen.4
Klassischerweise wird die Wirksamkeit einer Therapie im Rahmen randomisierter kontrollierter Studien (RCTs) bei einer bestimmten Tumorart im Vergleich zum bisherigen Therapiestandard untersucht und bewertet. Das funktioniert bei den tumoragnostischen Therapien nicht. Denn Treiberalterationen wie NTRK-Genfusionen kommen zwar bei vielen verschiedenen Tumorarten vor, sind jedoch mit einer Prävalenz von durchschnittlich 0,3 % bei Erwachsenen über alle soliden Tumorarten hinweg relativ selten.5 Würde man klassische RCTs durchführen wollen, müsste man je nach untersuchter Entität 17 bis 105 Jahre rekrutieren, um eine aussagekräftige Anzahl an Patient:innen einzuschließen.6
Aus diesem Grund sind für die Entwicklung tumoragnostischer Arzneimittel andere Studienkonzepte notwendig. Um eine akkurate Bewertung dieser rein Biomarker-gerichteten Therapien gewährleisten zu können – auch bei kleiner Probandenzahl – wurden weitere Studienkonzepte wie Basket-, Umbrella- und Plattformstudien entwickelt. Die Wirksamkeit der beiden TRK-Inhibitoren wurde im Rahmen von Basket-Studien untersucht.3
Basket- oder Korb-Studie
Der Biomarker-gerichtete Ansatz ist innovativ, jedoch hat er nicht automatisch einen festen Platz in der Behandlungspraxis – hier zeigt sich bei unterschiedlichen Entitäten ein heterogenes Bild: Das tumoragnostische Therapiekonzept wird noch nicht einheitlich in allen Leitlinien solider Tumore abgebildet. Da sich die individuelle Therapieentscheidung nach wie vor an dem Ursprung des Primärtumors und der jeweiligen Leitlinie orientiert, bleibt die Herausforderung bestehen, sowohl bisher als auch zukünftig zugelassene tumoragnostische Therapien in den Behandlungsalltag zu integrieren.
Die DGHO hat in ihrem Positionspapier „NTRK-Inhibitoren als sog. tumoragnostische Arzneimittel“ Stellung dazu genommen.3 Demnach ist die Einordnung von TRK-Inhibitoren heterogen und hängt vor allem von der Tumorentität und dem Alter der Patient:innen ab:
„Die Einleitung einer Therapie mit NTRK-Inhibitoren erfolgt entitätsspezifisch unter Berücksichtigung verfügbarer Therapieoptionen und patientenindividueller Faktoren.“
„Die Entscheidung zum Einsatz eines NTRK-Inhibitors wird bei einem pädiatrischen Patienten mit fortgeschrittenem infantilem Fibrosarkom oder infantilem hochgradigen Gliom und wenigen oder keinen weiteren Therapieoptionen früher gestellt werden als bei einem erwachsenen Patienten mit metastasiertem, solidem Tumor, für den mehrere zugelassene Arzneimittel zur Verfügung stehen.“
Für Onkolog:innen bedeutet die veränderte Therapielandschaft in Zukunft ein Umdenken: Je mehr zielgerichtete Therapien es geben wird – einschließlich einer zunehmenden Anzahl entitätsunabhängier Therapien – desto weniger Sinn macht es zum Zwecke der Therapieplanung das Vorhandensein einzelner oder nur ausgewählter Biomarker im Tumorgewebe zu testen. Vielmehr ist es sinnvoll, sofort zu Beginn ein umfassendes molekulares Tumorprofiling (CGP) durchzuführen, um alle möglichen therapierelevanten Veränderungen zu identifizieren und Patient:innen eine geeignete personalisierte Therapie anzubieten. Darunter fallen bisherige Indikations-spezifische zielgerichtete Therapien, tumoragnostische Ansätze sowie insbesondere bei seltenen Tumorarten, wie z.B. dem Pankreaskarzinom, der Einschluss in geeignete klinische Studien. Das Gute ist: Die technischen Möglichkeiten und erfahrene Anbieter validierter CCP-Tests gibt es bereits.
_____________________________________________________
Referenzen: