Fahrtwind und Klimaanlage können die Augen reizen. Aber was, wenn die Trockenheit zum Dauerzustand wird? Wie ihr das Sicca-Syndrom diagnostiziert und was wirklich hilft, lest ihr hier.
Das „trockene Auge“, oder auch „trockenes Auge Syndrom“ genannt, wird im Fachjargon auch als Keratokonjunktivitis sicca (KCS) bezeichnet. Bei der KCS handelt es sich um eine durch den Verlust der Homöostase des Tränenfilms hervorgerufene multifaktorielle Erkrankung der Augenoberfläche (Kornea, Hornhaut) und Konjunktiva (Bindehaut) mit vielseitigem Beschwerdebild und weltweit geschätzter Prävalenz zwischen 5–50 %.
Um die Komplexität des trockenen Auges und dessen Therapiemöglichkeiten verstehen zu können, sollte man sich mit der Zusammensetzung und den Aufgaben des Tränenfilms befassen.
Der Tränenfilm liegt als dünne Flüssigkeitsschicht auf der Konjunktiva und Kornea auf. Verteilt wird er durch den regelmäßigen Lidschlag. Für die Dauer bis zum nächsten Lidschlag sollte der Tränenfilm auf der Oberfläche verweilen. Die Tränen fließen dann beim nächsten Lidschlag über die nasal gelegenen Tränenwege ab. Der Tränenfilm versorgt die gefäßfreie Hornhaut mit Nährstoffen und Sauerstoff und schützt außerdem bis zu einem gewissen Maß vor Bakterien und Viren.
Die Hauptbestandteile des Tränenfilms bilden drei Schichten. Die an die Kornea grenzende innere Schicht, ist die Schleim- oder Muzinschicht. Diese wird von den Becherzellen der Konjunktiva gebildet und sorgt unter anderem dafür, dass die darüberliegende wässrige Schicht haften bleibt.
Die mittlere Schicht ist die wässrige Schicht. Sie dient der Versorgung mit Nährstoffen wie Glucose und Sauerstoff und weist antibakterielle Eigenschaften durch enthaltenes IgA, Lysozyme und Lactoferrin auf. Die wässrige Schicht wird großteils von der Tränendrüse, die sich superotemporal des Auges zwischen Auge und Augenbraue befindet, und den akzessorischen Tränendrüsen gebildet.
Die äußerste Schicht ist die sogenannte Lipidschicht. Diese wird von den an der oberen und unteren Lidkante befindlichen Meibom-Drüsen sezerniert. Die Lipidschicht ist wichtig, um ein zu schnelles Verdunsten des Tränenfilms zu verhindern.
Wird eine dieser drei Schichten in unzureichender Menge und/oder mangelhafter Zusammensetzung gebildet und auf der Augenoberfläche verteilt, führt das in weiterer Folge zu dem Erkrankungsbild eines trockenen Auges.
Das Krankheitsbild kann in zwei große Hauptgruppen unterteilt werden. Man unterscheidet hierbei eine hyposekretorische (Mangel der wässrigen Phase des Tränenfilms) und eine hyperevaporative Form (erhöhten Verdunstung des Tränenfilms).
Das Beschwerdebild umfasst subjektive Beschwerden, wie brennende, trockene Augen mit Fremdkörpergefühl als hätte man ein Sandkorn im Auge und Juckreiz. Vermehrte Lichtempfindlichkeit und verschwommenes, unscharfes Sehen können auftreten. Auch ein Druckgefühl hinter dem Augapfel wird teilweise beschrieben und ein vermehrter Tränenfluss (Epiphora) kann auftreten. Die Konjunktiva und Lidkanten können bei begleitender Blepharitis (Lidrandentzündung) gerötet und geschwollen sein.
Sind die bakteriziden und viruziden Bestandteile des Tränenfilms in unzureichender Menge vorhanden, bedeutet das außerdem, dass Bindehaut, Lidrand und auch Hornhautentzündungen häufiger auftreten können. Diese Entzündungen und deren Therapie hat dann wiederum Auswirkungen auf den Tränenfilm, was oft zu einem Teufelskreis führt, den es bei der Therapie der KCE zu unterbrechen gilt.
Ursächlich können exogene und endogene Faktoren oder oft auch eine Kombination aus beidem sein. Zu den exogenen Faktoren zählen alle austrocknenden Faktoren, also Klimaeinflüsse wie extreme Hitze oder Kälte, Zugluft durch Ventilatoren, Klimaanlagen und Fahrtwind. Aber auch Rauch, Staubexposition, Augen Make-up und das Tragen von Kontaktlinsen zählen dazu. Das office-eye-syndrome, also vermehrte Bildschirmarbeit, die dazu führt, dass man weniger blinzelt, hat in den letzten Jahren zusätzlich zu einer steigenden Inzidenz der KCE geführt.
Zu den endogenen Faktoren zählen Erkrankungen der Tränendrüse, sowie deren altersbedingte Atrophie und Fibrose. Störungen des Lidschlusses, Augenentzündungen, Blepharitis, vorangegangene Augenoperationen wie zum Beispiel Zustand nach keratorefraktivem Eingriff, also einem Lasereingriff der Hornhaut zur Erlangung von Brillenfreiheit. Auch die Einnahme verschiedenster Medikamente und unsere Sexualhormone – und damit auch das Alter – haben einen Einfluss auf den Tränenfilm und dessen Produktion und Zusammensetzung. Des Weiteren stehen auch Erkrankungen wie das Sjögren-Syndrom, Diabetes mellitus und Rheumaerkrankungen in Zusammenhang mit einem trockenen Auge.
Viele weitere Erkrankungen und auch eine genetische Prädisposition können ein trockenes Auge begünstigen – es wäre zu viel, diese alle hier aufzuzählen. Zeigen möchte ich hiermit aber, dass das Finden der Ursache für das trockene Auge nicht einfach ist.
Zusätzlich zur Anamnese werden Lider, Lidkanten, Lidstellung, Lidschluss, Lidschlussfrequenz als auch die Wimpern beurteilt. Bei der Untersuchung der Konjunktiva und Kornea können an der Spaltlampe unter anderem eine konjunktivale Rötung, Schleimfäden, muköse Plaques und/oder lidkantenparalelle konjunktivale Falten (LIPCOF) feststellbar sein. Die Strukturen können mit speziellen Färbemitteln kurzzeitig angefärbt werden. Mit Hilfe von Fluoreszein können Defekte der Hornhaut dargestellt werden. Fluoreszein ist gelb und verteilt sich im Tränenfilm, der der Kornea aufliegt. Bei der KCS treten typischerweise kleine, punktförmige Epitheldefekte (Defekte der äußersten Schicht der Hornhaut), vorwiegend im Bereich der unteren Hornhaut auf, die mittels Kobaltfilter an der Spaltlampe beurteilt werden können.
Mittels Fluoreszeinfärbung kann auch die Tränenfilmaufrisszeit, Break-up-time (BUT) genannt und gemessen werden. Nach vollständigem Lidschluss sollen hierbei die Augen ohne weiteres Blinzeln offengehalten werden und es werden die Sekunden gezählt, wie lange der Tränenfilm ohne „aufzureißen“ stabil, also intakt bleibt. Bei KCS ist die BUT typischerweise sehr gering bis nicht vorhanden. Im Normalfall, bei stabilem Tränenfilm, sollte die Zeit zumindest 10 Sekunden betragen. Mittels Keratograph kann die Messung auch nicht invasiv dargestellt werden (NIBUT, Non Invasive BUT).
Zur weiteren Diagnostik stehen weitere Färbemethoden wie Lissamingrün oder Bengalrosa, mit dem die Bindehaut untersucht werden kann, zur Verfügung. Außerdem kann ein Schirmertest (1. Messung der Reiz- und 2. Reflex-Sekretion) und ein Jones-Test (Basissekretion) für die Beurteilung der wässrigen Phase durchgeführt werden. Auch der Tränenabfluss kann mit unterschiedlichen Methoden überprüft werden. Bei der Interferometrie wird die Dicke und Struktur der Lipidschicht beurteilt.
Die Tränenfilmosmolarität und Tränenmeniskushöhe kann gemessen werden und die Meibomdrüsen können mittels Meibographie dargestellt werden. In schweren, die Hornhautsensibilität und Hornhautintegrität beeinträchtigenden Fällen kann die Hornhautsensibilität mittels Cochet-Bonnet Aesthesiometer beurteilt und gemonitort werden.
Zusammenfassend stehen verschiedenste Untersuchungsmethoden und Geräte zur Untersuchung (nicht alle sind hier angeführt) zur Verfügung, die Aufschluss über die Tränenfilmzusammensetzung und den Schweregrad der Erkrankung geben können. Des Weiteren muss auch erwähnt werden, dass es aufgrund der Komplexität des Erscheinungsbildes und der verschiedenen Ursachen für eine KCE bis heute keinen Test in der Diagnostik gibt, der als Goldstandard gesehen werden kann. Anamnese und eine Kombination aus unterschiedlichen Untersuchungen ergeben letztendlich ein Gesamtbild, welches individuell interpretiert und therapiert werden muss.
Die Therapie ist abhängig von der zugrunde liegenden Ursache und dem Schweregrad der Erkrankung und wird meist nach Stufenschema durchgeführt.
Eine Modifikation der Umwelteinflüsse wird zu jeder Therapie zusätzlich angeraten. Dazu zählen:
Frauen sind häufiger von einem trockenen Auge betroffen – hier kann speziell auch auf Make-up im Augenbereich und die richtige Augenhygiene eingegangen werden.
Bestehende topische und systemische Therapie wird augenärztlich evaluiert und, wenn erforderlich und möglich, verändert. Lidrandhygiene mit warmen Kompressen und Blepharitisbehandlung stellen außerdem einen Grundstein der Behandlung dar.
Regelmäßige Anwendung von Tränenersatzmitteln – spezielle Augengels, Augensprays und Augensalben – können Linderung verschaffen. Hierbei sollte die Wahl des geeigneten Präparates davon abhängig gemacht werden, welche Phase (Muzin, Lipid oder wässrige) des Tränenfilms beeinträchtigt ist. Aus diesem Grund ist eine primäre augenärztliche Abklärung (bei spezialisierten Augenärzten) vor wahllosem Eintropfen mit rezeptfreien Tränenersatzmitteln durchaus auch sinnvoll und empfehlenswert. Neben rezeptfreien Tränenersatzmitteln ist bei stärkerer Ausprägung der Erkrankung auch oftmals eine Verordnung von rezeptpflichtigen Medikamenten (topische Kortikosteroide, Antibiotika, Cyclosporin, uvm.) erforderlich.
Bei einem chronisch trockenen Auge ist nahezu immer gleichzeitig ein Entzündungsprozess im Gange. Entweder entsteht eine KCE aufgrund einer Entzündung durch Bakterien oder Demodexmilben oder wird im Verlauf durch das Austrocknen der Augenoberfläche und damit unzureichender Schutzbarriere ausgelöst. Bei der Therapie sollte also auch eine Inflammation berücksichtigt und therapiert werden.
Die Therapiemöglichkeiten sind nahezu unbegrenzt und richten sich nach der zugrunde liegenden Ursache, den im Vordergrund bestehenden Beschwerden und, nicht zuletzt, unseren Patienten. Welche Therapie kann in welchem Aufwand zugemutet werden und wird dann auch vom Patienten durchgeführt? Über verschiedenste lokale Medikamentenapplikation bis hin zu systemischer Therapie und chirurgischer Intervention steht eine Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Darunter fallen diverse Salben, Gels, Sprays, Tropfen, punctum plugs, therapeutische Kontaktlinsen, Wärmeapplikation und Laserbehandlungen, chirurgische Interventionen, wie die laterale Tarsorrhaphie, Unterlidkorrektur bei Ektropium, Tränenpünktchenverödung und vieles mehr.
So schnell die Diagnose trockenes Auge auch gestellt werden kann, so benötigt eine genaue Untersuchung mit Herausfinden der Ursache(n) und das Finden einer individuell passenden Therapie, die teilweise auch über die Zeit adaptiert werden muss, Zeit. Da die KCS eine chronische Erkrankung ist, ist außerdem in den meisten Fällen eine konsequente, weiterführende, erhaltende Therapie unerlässlich. Das trockene Auge ist eine häufig vorkommende, die Lebensqualität und das Sehvermögen teilweise stark beeinträchtigende Erkrankung. Spezielle Diagnostik und Therapie sind erforderlich und können – frühzeitig eingesetzt – Spätfolgen minimieren.
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