Zur Unterstützung der Traumatherapie einfach mal MDMA schmeißen? Das könnte tatsächlich funktionieren – in Australien ist der Wirkstoff bereits zugelassen. Wie die Lage bei uns ist, erfahrt ihr hier.
Bereits seit 2017 betrachtet die Food and Drug Administration (FDA) die psychoaktive Droge 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin, kurz MDMA, als einen vielversprechenden Therapiezusatz bei Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Damals verlieh die amerikanische Behörde der Substanz eine „Breakthrough Therapy Designation“ – ein Weg, chancenreiche Behandlungen schneller durch den Zulassungsprozess zu bekommen.
Nun haben Ergebnisse einer neuen Phase-III-Studie den möglichen Nutzen von MDMA weiter unterstrichen. Das Team um die Neurologin Jennifer Mitchell von der University of California, San Francisco, hatte bereits 2021 eine erste Phase-III-Studie zur Effektivität einer MDMA-unterstützten Psychotherapie veröffentlicht. In beiden Untersuchungen durchliefen die Teilnehmer 18 Wochen lang psychotherapeutische Sitzungen. Dreimal nahmen sie in diesem Rahmen entweder MDMA oder ein Placebo ein. Das Ergebnis: Die Droge reduzierte die PTBS-Symptome im Vergleich zum Placebo signifikant. Bei Abschluss der Studie erfüllten 71 Prozent der Testpersonen die Kriterien für eine PTBS nicht mehr, in der Placebo-Gruppe waren es 48 Prozent. Das sind deutliche Zahlen – sollte nun also die Zulassung möglichst schnell kommen?
„Dazu ist es noch zu früh“, findet Dr. Ulrike Schmidt, Stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Bonn. Die akuten Effekte seien zwar beeindruckend, doch es gebe zu viele offene Fragen. Allen voran die langfristigen Wirkungen und Nebenwirkungen, die in beiden Studien nicht erfasst wurden – darauf weisen auch die Autoren selbst hin.
Zudem zweifelt Schmidt an, dass der Vergleich mit einem nicht-aktiven Placebo ausreicht. In manchen Studien nutzen Forscher eine geringere Dosis von MDMA als Kontrolle. „Als weitere Möglichkeit, sozusagen als aktives Placebo, wird Methylphenidat diskutiert“, sagt Schmidt. Diese Droge kann zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt werden. Der Vorteil: Methylphenidat hat ebenfalls stimulierende Eigenschaften, aber einen anderen Wirkmechanismus als MDMA. So könnten die Behandelten während der Studienuntersuchung weniger unterscheiden, ob sie MDMA oder das Placebo erhalten.
In der neuen Studie hatten Mitchell und ihr Team zudem die repräsentierten Personengruppen ausgeweitet, um ethnisch vielfältige PTBS-Betroffene einzuschließen. Das sei ein guter Anfang, sagt Schmidt. „Trotzdem braucht es noch naturalistischere Untersuchungen.“ Denn auch hier galten strenge Ausschlusskriterien. So durfte niemand teilnehmen, der mit bestimmten anderen psychischen Erkrankungen wie etwa einer Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde. „In der Realität erfüllen aber gerade Menschen mit traumatischen Belastungen in der Kindheit häufig die Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung“, so Schmidt. Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine Abhängigkeit von Suchtmitteln kämen ebenfalls nicht selten bei Betroffenen vor – beides verbot eine Teilnahme an den Studien. Es sei außerdem wichtig zu ergründen, bei welchen Traumatypen MDMA funktionieren könnte – immerhin mache es für das klinische Bild der PTBS einen großen Unterschied, ob Patienten etwa einen Unfall im Erwachsenenalter oder eine chronische Misshandlung in der Kindheit verarbeiten.
Bisher steht bei der Behandlung von PTBS die Expositionstherapie im Vordergrund, dazu zählt beispielsweise die traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie. Bei der MDMA-unterstützten Psychotherapie hingegen wird nicht gezielt über Details traumatischer Erlebnisse gesprochen. Schmidt glaubt nicht, dass auf diese Komponente der PTBS-Therapie für eine nachhaltige Wirkung vollständig verzichtet werden kann. „Es wäre interessant zu sehen, wie sich MDMA auf den Effekt einer klassischen Expositionstherapie auswirkt.“
Viele Aspekte sind also ungeklärt – auch der Wirkmechanismus und ein mögliches Suchtrisiko nach der Behandlung sollten im Fokus der Forschung stehen. Schmidt betont: „Ich bin weder für noch gegen eine MDMA-Therapie. Mein klarer Standpunkt: Man kann aktuell noch nicht sagen, wie hilfreich und sicher die Methode langfristig ist.“
Dennoch könnte es sein, dass die FDA bald die Zulassung auf Basis der erfolgreichen Phase-III-Studien erteilt. Einen entsprechenden Antrag plant die Multidisciplinary Association für Psychedelic Studies (MAPS) noch für dieses Jahr. In Australien sorgte bereits die Therapeutic Goods Administration (TGA) Anfang 2023 für heftige Diskussionen, als sie MDMA zur Behandlung von PTBS durch zertifizierte Psychiater freigab (DocCheck berichtete). Und in der Schweiz können Patienten über Ausnahmebewilligungen schon seit acht Jahren außerhalb von medizinischen Studien mit MDMA behandelt werden – sofern die üblichen Therapien bei ihnen nicht ausreichend wirken.
Wie lange es bis zu einer Zulassung in Deutschland dauert, ist schwer abzusehen. Schmidt glaubt: „Wenn die FDA grünes Licht gibt, wird es auch bei uns recht schnell gehen.“ Mit der reinen Zulassung ist es jedoch nicht getan. In der praktischen Umsetzung muss noch vieles in die Wege geleitet werden, etwa das Training und die Zertifizierung von Ärzten, welche die Substanz dann tatsächlich verabreichen dürfen. Das kann dauern: In Australien wurde bisher niemand mit dieser Therapie behandelt, obwohl es seit Juli erlaubt wäre.
Quellen
Dr. Ulrike Schmidt, stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Bonnhttps://www.ukbonn.de/psychiatrie-und-psychotherapie/klinik/ambulante-behandlung/ambulanz-fuer-traumafolgestoerungen/
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