Als MDS werden eine Reihe von Erkrankungen des Knochenmarks bezeichnet, bei denen zu wenig funktionstüchtige Blutzellen gebildet werden. Zunächst kommt es aufgrund einer Ansammlung von Schäden am Erbgut (DNA) der hämatopoetischen Stammzellen zur vermehrten Bildung unreifer Blutzellen (Blasten) und somit zu einer defekten Ausreifung in der myeloischen Zelllinie im Knochenmark. Die Folge sind zu wenige funktionierende Blutzellen oder Blutzellen mit verkürzter Lebensdauer. Dies führt zu einem Zellmangel, der sich je nach Art der betroffenen Zellen in einer Anämie (Erythrozytenmangel), Leukozytopenie (Leukozytenmangel) oder Thrombozytopenie (Thrombozytenmangel) niederschlägt. Es können auch mehrere Zelllinien gleichzeitig betroffen sein (Panzytopenie).1
Die Inzidenz der MDS liegt bei etwa 4 bis 5 Erkrankten pro 100.000 Einwohner im Jahr. Damit gehören die myelodysplastischen Neoplasien zu den häufigsten malignen hämatologischen Erkrankungen in Deutschland. Die Inzidenz steigt deutlich ab einem Alter von 70 Jahren auf über 30 pro 100.000 Einwohner an.2 Das mediane Erkrankungsalter liegt bei etwa 75 Jahren. Dabei sind Männer etwas stärker betroffen als Frauen.2 Häufig entwickelt sich bei MDS-Patient:innen die Erkrankung im Laufe der Zeit weiter zu einer akuten myeloischen Leukämie (AML).3
Da unter dem Begriff myelodysplastische Neoplasien eine Gruppe von Erkrankungen zusammengefasst wird, sind die Symptome insbesondere in der Frühphase der Erkrankung oft nicht eindeutig und auch häufig typisch für andere Erkrankungen. Zudem entwickeln sich die Symptome meist langsam.1 Das häufigste Symptom ist die Anämie aufgrund einer Verminderung der roten Blutkörperchen und tritt bei 70 bis 80 % der Betroffenen auf.2 Sie führt zu typischen Beschwerden wie Atemnot, Erschöpfung, Kopfschmerzen und Herzrasen. Die Symptome gehen häufig mit einem klinischen Befund von verringerten Hämoglobinwerten unter 10 bis 8 g/dl einher.2 Seltener tritt ein Mangel oder eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit der weißen Blutkörperchen (Leukozyten), konkret der neutrophilen Granulozyten, auf, wodurch eine erhöhte Infektanfälligkeit begünstigt wird. Die Symptome sind vermehrt auftretende Infekte des Bronchialsystems und der Haut.1 Bei etwa der Hälfte der Betroffenen lässt sich bei Erstdiagnose eine Thrombozytopenie nachweisen.2 Deren Symptome sind vermehrtes Zahnfleischbluten, Hämatome nach Stößen und Petechien. Bei etwa 10 % treten auch schwere Blutungen in den Harnwegen, dem Gastrointestinaltrakt aber auch in der Retina und dem zentralen Nervensystem auf.2
Um eine Diagnose stellen zu können, werden Blut und Knochenmark untersucht.2 Im Rahmen eines Blutbilds werden die Mengenverhältnisse der verschiedenen Typen von Blutzellen sowie ihre Form und Größe analysiert. Ergänzend werden Blutwerte wie z. B. LDH, Ferritin und das Serum-Erythropoetin (sEPO) bestimmt. Neben dem Blut wird auch das Knochenmark analysiert. Dazu wird mittels Knochenmarkpunktion die Form, Größe und Anzahl der enthaltenen Zellen untersucht. Für eine Diagnose ist vor allem das Verhältnis von unreifen Blasten zu reifen Blutzellen wichtig. Zudem erfolgt eine genetische Untersuchung auf das Vorhandensein bestimmter Mutationen (Genmarker), um eine Aussage über das Risikoprofil der Erkrankung und die Erfolgswahrscheinlichkeit bestimmter Therapieoptionen treffen zu können.1
MDS können entweder aufgrund genetischer Veränderungen als eigenständige Krankheit (primäre MDS bzw. De-novo-MDS) oder als Folge einer Chemo- oder Strahlentherapie auftreten (sekundäre MDS, ca. 10 % der Fälle).2 Bei den primären MDS sind die Risikofaktoren bislang weitgehend unbekannt. Neuere Forschungen geben Hinweise, dass bestimmte Mutationen der Keimzellen mit einem erhöhten familiären Risiko für die Entstehung von MDS verbunden sind.4 Die Risikofaktoren für die Entstehung sekundärer MDS sind besser bekannt. Insbesondere die Behandlung von Lymphomen und Brustkrebs kann durch eine Bestrahlungs- und/oder Chemotherapie zur Entstehung von MDS führen. In den meisten Fällen tritt ein MDS zwei bis sechs Jahre später auf.2 Eine weitere Ursache sind langjährige Expositionen (zehn bis 20 Jahre) gegenüber benzolhaltigen Stoffen und organischen Lösungsmitteln (z. B. in Kerosin, Benzin oder Lacken).2
Mithilfe des International Prognostic Scoring System (IPSS)- bzw. dem 2012 aktualisierten IPSS-Revised (IPSS-R)-Prognose-Scores wird das individuelle Risiko der Patient:innen abgeschätzt.5,6 Es werden die nachweisbaren Karyotypveränderungen, der Blastenanteil im Knochenmark sowie die Anzahl und der Schweregrad der Zytopenien herangezogen. Der IPSS-R nutzt eine erweiterte Anzahl an zytogenetischen Kategorien, gewichtet den Anteil an Knochenmarkblasten anders und definiert die Ausprägung der Zytopenien genauer. Die ermittelte prognostische Risikogruppe lässt auf die Lebenserwartung und das Risiko einer Transformation in eine AML schließen.5,6 Mit dem IPSS-M (Molekular) steht zudem ein weiterer Prognosescore zur Verfügung, welcher auch die Bedeutung von somatischen Mutationen berücksichtigt.7
MDS-Erkrankungen werden entsprechend ihrer IPSS- bzw. IPSS-R-Prognose-Scores in Niedrigrisiko-MDS und Hochrisiko-MDS eingeteilt, was die Therapieplanung wesentlich beeinflusst. Daneben spielen bei der MDS-Behandlung weitere Faktoren wie das Alter, Komorbiditäten und der Allgemeinzustand, aber auch Erwartungen und Ziele der Patient:innen eine Rolle.2
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